rheinische ART
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rheinische ART 04/2012

 

ARCHIV 2012

Revival für die Ikonen der Moderne

  

Sturm in Wuppertal

 

Wie das Rheinland in Berlin Geschichte schrieb

 

Franz Marc, Die Blauen Fohlen, 1913
Kunsthalle Emden – Stiftung Henri und Eske Nannen und Schenkung Otto van de Loo

 

Es waren in der Tat kulturell stürmische Zeiten. Junge Wilde malten gegen den Zeitgeist, agierten ungestüm, unkonventionell, boten Kunst abseits des Bekannten. Im März 1912 eröffnete der Kunsthändler Herwarth Walden in Berlin seine Galerie „Der Sturm“. Der Name war Programm, denn Walden sah sich als Vermittler und Anreger der neuen Kunstrichtungen. So galt denn seine erste Schau auch den Werken der Expressionisten – und war ein Ereignis. Die Kunstkritik aber reagierte, angesichts roter Affen und blauer Pferde statt naturalistischer Tierbilder, mehrheitlich ablehnend: die neue Galerie galt als Irrenhaus, die gezeigten Bilder als „tollwütige Pinseleien“, vom Besuch wurde abgeraten.

 

DABEI begann mit dieser Exposition ein neues, fesselndes Kapitel der Kunstgeschichte. Jetzt, hundert Jahre nach dem legendären „Sturm“-Debüt in Berlin, erinnert das Von der Heydt-Museum Wuppertal mit einer Ausstellung der Spitzenklasse an diesen einzigartigen Kunsttreffpunkt.

   Rund 200 Meisterwerke, die so gut wie alle einmal im „Sturm“ in Berlin die Wände zierten, sind zu bestaunen. Darunter Schwergewichte wie die New Yorker Guggenheim-Leihgabe „Fliegende Kutsche“ (1913) von Marc Chagall oder August Mackes „Zirkusszene“ (1913/14) aus der Sammlung Thyssen-Bornemisza/ Madrid. Daneben rücken - präsentiert in einem Raum - fast vergessene Avantgarde-Künstlerinnen wieder ins Blickfeld. So etwa die belgische Kubistin Marthe Donas, die Grafikerin Maria Uhden oder die niederländische Glaskünstlerin und Malerin Jacoba van Heemskerck.

Oskar Kokoschka, Bildnis Herwarth Walden, 1910, Staatsgalerie Stuttgart © Fondation Oskar Kokoschka / VG Bild-Kunst, Bonn, 2011

 

Kreative Mitte Europas

 

Bereits im ersten Jahr ihres Bestehens entwickelte sich die Kunstgalerie zu einem führenden Forum der Moderne in Deutschland. Das Haus war nicht nur Zentrum für hochkarätige zeitgenössische Werke, es war auch ein Ort der Kunstvermittlung und eine Experimentierbühne – und zwar sowohl für avantgardistische Malerei als auch Literatur und Musik. Dichterlesungen und Musikabende wurden hier veranstaltet und die prominentesten Künstlergruppen gingen ein und aus: die Mitglieder der „Blaue Reiter“, die Brücke-Maler, Futuristen, Expressionisten, Kubisten und Dadaisten.
   Die führenden Avantgardisten - darunter zahlreiche umstrittene Maler - stellten bei Walden aus. Ihre Werke hängen heute, millionenschwer, in den berühmtesten Museen der Welt. Mit der Ausstellung „Erster Deutscher Herbstsalon“ stieg die „Sturm“-Galerie 1913 endgültig zur Drehscheibe der modernen Kunst und Kultur in Europa auf, bildete nicht nur das geistige Zentrum Berlins sondern für annähernd 20 Jahre die künstlerische und kreative Mitte des Kontinents.

 

Robert Delaunay, Die drei Fenster, der Turm und das Rad (The Three Windows, the Tower and the Wheel), 1912 The Museum of Modern Art, New York

© L & M Services B.V. The Hague 20110403


Rheinische Impulse

 

Das Rheinland, zu jener Zeit ein Hort der Avantgarde und durch die Sonderbundausstellung in Köln (1912) längst als solcher auch international bekannt, hatte großen Einfluss auf die Entwicklung in Berlin. Der Galerist, Schriftsteller, Komponist und Verleger Herwarth Walden (1878-1941) war ab 1903 mit der berühmten Wuppertaler Lyrikerin und Zeichnerin Else Lasker-Schüler (mehr) verheiratet. Walden hatte bereits zwei Jahre vor dem Galeriestart mit der linksbürgerlichen Kunstzeitschrift Wochenschrift für Kultur und die Künste, die ebenfalls „Der Sturm“ hieß, Furore gemacht. Von Else Lasker-Schüler (1869-1945) heißt es, sie habe ihrem Mann, der eigentlich Georg Lewin hieß, nicht nur den Künstlernamen Herwarth Walden gegeben, sondern den Namen „Der Sturm“ für die Zeitschrift und damit auch für die Galerie geprägt. Die Ehe wurde 1912 geschieden.

Henri Rousseau, Die fröhlichen Spaßmacher (The Merry Jesters), 1906
Philadelphia Museum of Art, The Louise and Walter Arensberg Collection, 1950

 

Albert Gleizes, Fußballspieler (Football Players), 1912/13
National Gallery of Art, Washington, Alisa Mellon Bruce Fund, 1970.11.1 © VG Bild-Kunst, Bonn

   Die Rheinländerin Lasker-Schüler galt als expressionistische Ausnahmeerscheinung. In ihrer Heimat Wuppertal, von der sie selbst klagte, dass es ihr dort zu eng werde, war es vor allem der Barmer Kunstverein unter der Leitung des Kunsthistorikers und Kurators Richart Reiche, der sich zu einer führenden Stätte des Expressionismus entwickelte hatte. Reiche förderte früh zahlreiche noch unbekannte junge Maler, die später - so etwa auch in Berlin - zu Ruhm gelangten wie unter anderem Marc, Nolde, Macke und Erbslöh. Der Barmer Kunstverein besaß zu jener Zeit eine der bedeutendsten Sammlungen moderner Kunst in Deutschland (mehr).
   Von der Heydt-Direktor Gerhard Finckh betont, durch die Impulse von Else Lasker-Schüler hat die Galerie „Der Sturm“ seine eigentlichen Wurzeln in Wuppertal. „…damit kann man sagen: im Rheinland, in dieser rheinischen Kulturszene. Hier in Wuppertal waren die ersten Ausstellungen, die ersten musealen Ausstellungen von Kandinsky, Marc, Macke, auch von den Vorläufern des „Blauen Reiter“ und so weiter. Das hat Herwarth Walden, der Galerist, aufgegriffen und dann in seiner Galerie … in Berlin gezeigt.“

 

Markenzeichen "Sturm"

 

Waldens expressionistische Kunstzeitschrift erreichte in den zehner Jahren schon eine Auflage von rund 10.000 Exemplaren. Zeitschrift und „Sturm“-Galerie, letztere bestand bis 1928 und war eine der wichtigsten Kunsthandelshäuser des Landes, waren nur ein Element im experimentellen Gedankengebäude und Wertesystem ihrer Vertreter. Es war fast eine logische Folge, dass sich unter dem griffigen Namen „Sturm“ eine Reihe anderer Einrichtungen und Aktivitäten ausprägten – subsumiert im sogenannten „Sturm“-Kreis. So erschienen zur selben Zeit im „Sturm“-Verlag die populären „Sturm“-Bücher sowie Kunstmappen, expressionistische Dramen und kunsttheoretische Abhandlungen. Es existierte eine „Sturm“-Kunstschule (1916), eine „Sturm“-Bühne (1918), auf „Sturm“-Abenden wurden regelmäßig futuristische Lesungen gehalten, Präsentationen wurden als „Sturm“-Ausstellungen vermarktet und 1917 eröffnete eine „Sturm“-Buchhandlung. Damit gelang Walden nach heutigem Marketingverständnis die Etablierung eines Markennamens und, wenn man so will, ein Schritt hin zum modernen „Corporate Identity“ - ein verblüffender Nebeneffekt der „Sturm“-Zeiten.

 

Raum für neue Kunstrichtungen: Die bekanntesten bildenden Künstler des frühen 20. Jahrhunderts, von Vertretern des Expressionismus bis hin zum Konstruktivismus, stellten in der „Sturm“-Galerie ihre Werke aus. So etwa die Maler Oskar Kokoschka, Wassily Kandinsky, August Macke, Franz Marc, Robert Delauney und Marc Chagall sowie die Bildhauer und Maler Oskar Schlemmer, Willi Baumeister und der Designer und Fotograf László Moholy-Nagy. Es gab bedeutende Veranstaltungen mit Dichtern, Kunstkritikern und Lyrikern wie Alfred Döblin, Theodor Däubler und August Stramm und mit Komponisten wie Schönberg und Schreyer; auch der geistige Vater der „Sturm“-Idee, Herwarth Walden selbst, nutzte die progressiven Strömungen jener Jahre für Auftritte.

 

Klaus M. Martinetz


Die Ausstellung „Der Sturm – Zentrum der Avantgarde“ ist bis zum 10.06.2012 zu sehen.

Von-der-Heydt-Museum
Turmhof 8
42103 Wuppertal
Tel. 0202 / 563 2626

Öffnungszeiten:
DI, MI 11-18 Uhr
DO, FR 11-20 Uhr
SA, SO 10-18 Uhr

 

 

Die Sonderausstellung ist ein Kooperationsprojekt mit dem Institut für Kunstgeschichte der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Die bislang noch nicht in Gänze erschlossene Geschichte des Unternehmens „Der Sturm“ ist im Rahmen der Kooperation vom Museum und von der Universität weiter beleuchtet und erforscht worden.
   Die Ausstellung soll sowohl das Kulturkonzept des Kreises um Herwarth Walden verdeutlichen als auch die wichtigsten Vertreter des „Sturms“ erfassen. Ziel ist es, chronologisch und thematisch einen visuellen Überblick über das Phänomen „Sturm“ - als Zeitschrift, Galerie, Bühne - zu bieten. Mehr als 30 Kunstwissenschaftler unter der Leitung von Prof. Andrea von Hülsen-Esch haben in drei Jahren die vielfältigen Aspekte des „Sturm“ intensiv bearbeitet und in einem umfangreichen Katalog zu einer spannenden Lektüre zusammen gestellt.

 

 

 

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