rheinische ART
Start | | Über uns | Anzeigen | Impressum | Kontakt | Datenschutz

rheinische ART 11/2014

Archiv 2014

VISUELLER STIMULUS
Japan ist unter uns

 

Dass japanische Farbholzschnitte die impressionistischen Maler beeinflusst haben, ist keine neue Erkenntnis. Selten jedoch hat sich eine Ausstellung so umfassend mit dem Einfluss der japanischen Kunst auf den Impressionismus auseinandergesetzt wie die Schau „Monet, Gauguin, van Gogh … Inspiration Japan“ im Folkwang Museum Essen.

 

Paul Cézanne Montagne Sainte-Victoire, um 1890, Öl auf Leinwand, 65 x 92 cm, Musée d'Orsay, Paris, donation de la petite-fille d'Auguste Pellerin, 1969, © Foto: bpk / RMN - Grand Palais / Hervé Lewandowski

 

Der Japonismus als Quelle der Inspiration, als Offenbarung und Bestätigung künstlerischer Ansätze auf dem Weg zur modernen Kunst ist das Credo der Ausstellung. Dabei geht es nicht nur um japanische Bildsujets (mehr) wie Fächer, Wandschirme oder Kurtisanen, die Eingang in zahlreiche Gemälde der Impressionisten gefunden haben. Es geht um neue Motive und ihre serielle Darstellung, um kompositorische Lösungen und Stilmittel, die nicht nur die Impressionisten (mehr) adaptierten, sondern die noch Matisse und Picasso bis ins 20. Jahrhundert hinein beeinflussen sollten.

 

Kitagawa Utamaro Die Kurtisane Kisegawa aus dem Matsubaya, Aus der Serie Wettstreit der Attraktivität von fünf Schönheiten, um 1795 – 1796, Mehrfarbiger Holzschnitt (nishiki-e) / 36,6 x 24,9 cm (ôban) © Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Asiatische Kunst, Foto: Jürgen Liepe

Japan-Fieber Wir schreiben das Jahr 1870. Die französischen Maler und Literaten, aber auch das Pariser Bürgertum befinden sich im Japan-Fieber, seit der japanische Pavillon auf der Weltausstellung drei Jahre zuvor größtes Aufsehen erregt hatte. Dass die Japan-Begeisterung die Pariser Künstler nahezu gleichzeitig und unvermittelt erfasste, hat einen politischen Grund: Erst 1854 und damit nach einer über zwei Jahrhunderte währenden Abschottung hatte sich Japan auf Drängen der Amerikaner wieder für die restliche Welt geöffnet.
     Die Weltausstellungen 1862 in London sowie 1867 in Paris erwiesen sich als maßgebliche Plattformen für die Verbreitung japanischer Kunst. Über fünftausend Holzschnitte, mehrere hundert Fächer sowie traditionelle Keramiken, Lackarbeiten und Schwerter fanden 1867 ihren Weg in den japanischen Pavillon in Paris.

     Die europäische Begeisterung für alles Japanische hatte ihren Anfang genommen. Doch ein Blick auf die Künstler, die in der Essener Ausstellung vertreten sind, macht deutlich: Nicht alle zeitgenössischen Künstler zeigten sich gleichermaßen beeindruckt von der japanischen Kunst; bei den sogenannten Salonmalern (mehr) war sogar wenig von einem Japan-Fieber zu spüren.

 

Maurice Denis Virginal Printemps, 1894, (Jungfräulicher Frühling), Kunsthaus Zürich, Geschenk der Hulda und Gustav Zumsteg-Stiftung © Foto: Kunsthaus Zürich

 

Rückblickend kommt man zu der Erkenntnis, dass sich insbesondere jene Künstler nahezu euphorisch für die japanische Kunst und Kultur begeisterten, die heute als Wegbereiter der Moderne gelten: Edgar Degas, Éduard Manet und Claude Monet, Vincent van Gogh (mehr), Paul Gauguin und Pierre Bonnard bis hin zu Henri Matisse und Pablo Picasso. In den japanischen Farbholzschnitten (mehr), das zeigt jetzt die Ausstellung, fanden sie neue Seh-, Kompositions- und Gestaltungsmöglichkeiten. Denn die Japaner, so bringt es Mae Michiko im Katalog zur Ausstellung auf den Punkt, waren der europäischen Kunstbewegung gewissermaßen vorausgeeilt.

 

Stimulus, nicht Verständnis Erstaunlicher Weise zog es keinen der oben genannten Künstler selbst nach Japan. Vielmehr erwarben sie japanische Farbholzschnitte bei Siegfried Bing, der 1878 in Paris ein Ladengeschäft für japanische Kunst eröffnete, tauschten sie untereinander, informierten sich in Zeitschriften und auf den von Siegfried Bing organisierten Ausstellungen oder legten, wie Monet, van Gogh und Rodin, eigene Sammlungen an.
     Dass sie sich intensiv mit der Tradition der Holzschnitte auseinandersetzten, darf bezweifelt werden. Ihnen ging es mehr um den visuellen Stimulus als um das richtige Verständnis der japanischen Kultur. Das traf insbesondere auf van Gogh zu, der seine Wünsche und Vorstellungen auf dieses unbekannte Land projizierte und dessen Japanbild von romantischen Vorstellungen geprägt war: „Mir scheint, man kann sich nicht mit japanischer Kunst befassen, ohne viel heiterer und viel glücklicher zu werden“, schrieb er an seinen Bruder Theo. Vincent van Gogh war überzeugt, die Farben und das Licht Japans im Süden Frankreichs gefunden zu haben. „Ich brauche hier keine Japandrucke“, berichtete er im September 1888 in einem weiteren Brief aus Arles. „Denn ich sage mir immer, daß ich hier in Japan bin. Daß ich folglich nur die Augen aufzumachen und das zu malen brauche, was ich vor der Nase habe und was mir Eindruck macht“, so van Gogh weiter.

 

Vincent van Gogh Les Bateaux Amarrés, 1888, (Rhonebarken), Öl auf Leinwand, 51,10 x 66,20 cm, Museum Folkwang, Essen © Foto: Museum Folkwang


Sein Gemälde Rhônebarken, welches sich im Besitz des Museum Folkwang befindet, verglich er sogar direkt mit japanischen Farbholzschnitten. Es sei „ein reiner Hokusai“ geworden, schrieb er seinem Bruder Theo. In dem Werk hatte er eine Szene wiedergegeben, die er im Hafen von Arles beobachtet hatte: Hafenarbeiter, die nach einem Regenschauer zwei Lastkähne auf der Rhône entluden.
     Wenn das Motiv auch europäisch anmutet, so setzte sich van Gogh doch über alle akademischen Vorgaben hinweg und wandte kühn die Stilmittel an, die er bei dem Japaner Hokusai vorgebildet sah: Eine außergewöhnliche Farbigkeit, die steile Aufsicht auf die Rhônebarken und den fehlenden Horizont.

 

Vincent van Gogh Le Semeur, 1888, (Sämann bei Sonnenuntergang), Stiftung Sammlung E. G. Bührle, Zürich © Foto: SIK Zürich (J. P. Kuhn)

 

Noch deutlicher inspiriert von der Bildsprache der Japaner Hokusai und Hiroshige zeigte sich van Gogh in seinem Gemälde Sämann bei Sonnenuntergang: In vorderster Bildebene und deutlich vom Bildrand angeschnitten platzierte er den Sämann und das Fragment eines Baumes.

 

Utagawa Hiroshige Meisho Edo hyakkei, 1857, (Der Pflaumengarten von Kameido), Kameido Umeyashiki aus der Serie Hundert berühmte Ansichten von Edo, Mehrfarbiger Holzschnitt (nishiki-e), 34 x 22,5 cm (ôban), Privatsammlung, © Foto: Museum Folkwang

Damit griff er auf Hiroshiges Holzschnitt Der Pflaumengarten zurück, den er in seiner Sammlung verwahrte. Auch Hiroshige hatte mit extremer Nahsicht gearbeitet, den Ast eines Pflaumenbaumes unmittelbar am Bildrand aufwachsen lassen und das flächige Bild diagonal aufgeteilt. Zu den charakteristischen Stilmitteln der Japaner gehörten weiterhin vereinfachte Formen, stark betonte Konturen, ein hoher Betrachterstandpunkt oder ein Horizont am oberen Bildrand. Insbesondere der Bildaufbau ohne Fluchtpunktperspektive geht auf japanische Vorbilder zurück. Diese Stilmittel waren in der europäischen Kunst zuvor ebenso selten zu finden wie die steile Aufsicht, die radikale Beschneidung der Hauptmotive durch den Bildrand und eine diagonale Bildaufteilung.

 

Katsushika Hokusai Kanagawa Oki Nami Fugaku sanjûrokkei, um 1831, (Die große Welle vor der Küste bei Kanagawa), Aus der Serie Sechsunddreißig Ansichten des Berges Fuji, Mehrfarbiger Holzschnitt (nishiki-e), 25,2 x 37,6 cm (ôban), Privatsammlung © Foto: Museum Folkwang

 

Serien Monet, Pissarro, Courbet und auch Cézanne setzten in ihren Gemälden andere Aspekte der Farbholzschnitte um. Sie zeigten sich mehr von der seriellen Darstellung eines Motivs beeindruckt. Auch dieses Phänomen findet sich bei den japanischen Holzschnitten vorgegeben, zu deren populärsten damals die als Serien ausgegebenen Blätter Sechsunddreißig Ansichten des Berges Fuji von Hokusai und die Hundert berühmte Ansichten von Edo von Hiroshige gehörten. In ihnen erhoben beide Künstler Landschaften und Ansichten berühmter Orte zum Thema. Darunter war auch Die große Welle vor der Küste bei Kanagawa von Hokusai.

 

Gustave Courbet La Vague, 1869, (Die Woge), Öl auf Leinwand, 63 x 92 cm , Eigentum Städelscher Museumsverein e.V., Städel Museum, Frankfurt a.M. © Städel Museum - ARTOTHEK

 

Gustave Courbet malte in der Folge rund 40 Variationen einer Welle, und Monet begann einige Motive wie die Felspyramiden von Port-Coton als Werkgruppe zu konzipieren und auszustellen. Wie kein anderer verfolgte er mit seinen Pappeln, Heuschobern, Kathedralen und später seinem Garten in Giverny das serielle Malen eines Hauptmotivs. Zudem dürften die Japaner mit ihren Holzschnitten auch den Blick auf Motive gelenkt haben, die zwar schon immer da waren, aber bislang nicht bildwürdig erschienen oder nicht im Interesse der Kunst standen. Degas zum Beispiel bevorzugte ab Mitte der 1870er Jahre das Bildthema von Frauen bei der Toilette (mehr), zu dem ihn die Szenen intimer, häuslicher Sitten und Gebräuche in den Holzschnitten Utamaros inspiriert haben dürften.

     Noch bis in das 20. Jahrhundert hinein, als der Japonismus in Frankreich bereits alltäglich geworden war, sollte er die Künstler der nächsten Generationen weiter beeinflussen. So wie den 1869 geborenen Matisse, der später eine von Sujet und Form unabhängige Farbmalerei entwickelte. In seinem Gemälde Interieur mit einem schwarzen Heftchen von 1918, das einen Blick auf die Strandpromenade in Nizza wiedergibt, griff auch er ursprünglich japanische Stilmittel auf: Bis auf das schwarze Heftchen sind alle Motive vom Bildrand angeschnitten und wechselnden Perspektiven unterworfen. Damit hatte der Maler die formalen Strukturen und Kompositionstechniken der Japaner verinnerlicht, die 50 Jahre zuvor bahnbrechende schöpferische Prozesse in Gang gesetzt haben, und die bis weit ins 20. Jahrhundert nachwirken sollten.

 

 Rund 400 Exponate auf 1.400 Quadratmetern Ausstellungsfläche präsentiert die Essener Ausstellung, darunter gewissermaßen als „Schau in der Schau“ 107 japanische Farbholzschnitte. Die Kuratorin Sandra Gianfreda hat Wert darauf gelegt, dass die präsentierten Holzschnitte damals in den Sammlungen der Künstler vertreten waren oder zumindest in Paris zirkulierten. Einen weiteren Schwerpunkt bilden japanische Schalen, Vasen und Keramiken, von denen das Museum Folkwang selbst eine umfangreiche Sammlung besitzt. Auch Karl Ernst Osthaus, der Begründer des Museums (mehr), konnte sich Anfang des 20. Jahrhunderts der Faszination japanischer Kunstobjekte nicht entziehen und sammelte sie mit Begeisterung.


Marion Lisken-Pruss


Die Ausstellung „Monet, Gauguin, van Gogh … Inspiration Japan“ ist bis zum 18. Januar 2015 zu sehen. (Verlängert bis 31.01.15)
Museum Folkwang
Museumsplatz 1
45128 Essen
Tel. 0201 / 8845 444
Öffnungszeiten
DI - DO 10 – 20 Uhr
FR 10 – 22 Uhr
SA + SO 10 – 18 Uhr

 

 

 

Die 
rheinische ART.
empfiehlt:

Mit GOOGLE ins Museum.


Das Google Arts & Culture Projekt zeigt Meisterwerke aus den Museen und Sammlungen dieser Welt.

► 
mehr

Und geht der Frage nach: Was ist Contemporary Art?

mehr