FOTOGRAFIE
Darchinger!
Kaum ein anderer deutscher Fotojournalist hat die Geschichte der Bundesrepublik so eindrucksvoll und über einen so langen Zeitraum begleitet wie der Bonner Josef (Jupp) Heinrich Darchinger.
Josef Heinrich Darchinger E. Honecker reicht H. Schmidt ein Hustenbonbon, Bahnhof Güstrow, 13. Dezember 1981 © J.H. Darchinger/Friedrich-Ebert-Stiftung 6/FJHD000280, Bildquelle LVR Bonn |
Als eine Art visueller Chronist der jungen Demokratie dokumentierte er die prägenden Jahrzehnte vom Wiederaufbau der 1950er-Jahre bis zur Wiedervereinigung mit einem unbestechlichen Blick und feinem Gespür für das Politische im Alltäglichen.
Anlässlich seines 100. Geburtstags widmet das LVR-Landesmuseum Bonn dem 2013 verstorbenen Fotografen (mehr) eine umfassende Retrospektive – realisiert in Kooperation mit der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Die Ausstellung Jupp Darchinger. Das Auge der Republik würdigt das Lebenswerk eines Mannes, der mit seiner Kamera nicht nur Geschichte festhielt, sondern Geschichte sichtbar machte. „Fernweh inmitten von Nachkriegsruinen, billige Tomaten aus dem Ostblock, Reklametafeln mit traumhaften Versprechungen – Jupp Darchinger hatte ein feines Gespür für wechselnde Stimmungslagen im gesellschaftlichen Alltag der Bundesrepublik“, heißt es im LVR-Museum.
Josef Heinrich Darchinger Jungen an einem Bonbonautomaten, Bonn, 1955 © J.H. Darchinger/Friedrich-Ebert-Stiftung. Bildquelle LVR Bonn |
Der Fotograf Jupp Darchinger (1925–2013), der zu Lebzeiten auch „Das Auge von Bonn“ genannt wurde, belieferte so gut wie alle großen Leitmedien der Bundesrepublik: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Die Zeit, Stern, Spiegel und Bunte – sie alle druckten seine Arbeiten, die längst zum kollektiven Gedächtnis einer Nation gehören.
Rund 130 ausgewählte Fotografien, begleitet von originalem Equipment und Archivmaterial, eröffnen in der LVR-Schau einen vielschichtigen Zugang zu Darchingers Schaffen. Gezeigt werden nicht nur seine ikonischen Porträts politischer Persönlichkeiten – etwa von Willy Brandt, Helmut Schmidt oder Richard von Weizsäcker – sondern auch eindringliche Szenen des westdeutschen Alltags, festgehalten in einer Bildsprache von großer Klarheit und erzählerischer Dichte.
Josef Heinrich Darchinger Raumpflegerin im Plenarsaal des Deutschen Bundestages, 17. Juni 1971 © J.H. Darchinger/Friedrich-Ebert-Stiftung. Bildquelle LVR Bonn
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Ein besonderer Fokus der Ausstellung liegt auf bislang weniger bekannten Aspekten seines Wirkens. Erstmals, so betonen die Ausstellungmacher, werden Einblicke in Darchingers Studio in der ehemaligen Bundeshautstadt sowie in seine fotografische Arbeitsweise gegeben.
Zugleich widmet sich ein Teil der Schau der heutigen Archivierung seines Nachlasses im Archiv der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Zu den faszinierenden Exponaten zählt ein Bild, das beinahe beiläufig wirkt und doch politische Symbolkraft entfaltet (siehe oben): 1981 reichte der DDR-Staatsratsvorsitzende Erich Honecker dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt beim dritten deutsch-deutschen Gipfeltreffen in Güstrow ein Hustenbonbon – ein Moment von stiller Inszenierung, eingefangen nach langem Warten des Fotografen auf eine Geste, die über das rein Politische hinausweist.
Es heißt, Darchinger habe damals stundenlang bei Eiseskälte am Bahnhof in Güstrow ausgeharrt, um den Abschied zwischen Honecker und Schmidt festzuhalten – in Erwartung eines symbolischen Moments am Schluss des deutsch-deutschen Gipfeltreffens. Das Hustenbonbon-Bild wurde berühmt. Zeigt es doch so etwas wie eine Geste der Zugewandtheit im seinerzeit angespannten Verhältnis der beiden deutschen Staaten.
Ausstellungsansicht Jupp Darchinger. Das Auge der Republik © LVR-Landesmuseum Bonn, Foto: Jürgen Vogel. Bildquelle LVR Bonn |
Solche Aufnahmen zeugten von Darchingers Fähigkeit, Nähe und Distanz auszutarieren – als stiller Beobachter, der zugleich mitten im Geschehen stand. Gerade in seiner Heimatstadt Bonn, dem Zentrum der jungen Bundesrepublik, entstanden Bilder von intimer Präzision und historischer Tragweite. Ihnen ist in der Ausstellung ein eigener Raum gewidmet – als Hommage an das fotografische Auge einer Republik. Und ein lohnender Blick für den Besucher.
rART/K2M
Die Ausstellung Jupp Darchinger. Das Auge der Republik kann bis zum 14. September 2025 besucht werden.
LVR-Landesmuseum Bonn
Rheinisches Landesmuseum für Archäologie, Kunst- und Kulturgeschichte
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