rheinische ART
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rheinische ART 06/2025

PARA-MODERNE
Mit dem unbedingten Willen zur Veränderung

 

Aussteiger, Utopisten und Erneuerer sind keine Erfindung unserer Zeit. Es gibt sie seit jeher. Die Bundeskunsthalle geht in der Schau „Para-Moderne“ der Frage nach, ob und wie die Reformer zur Zeit der Moderne, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, unsere jüngere Geschichte beeinflussten und unsere heutige Gesellschaft mitprägen.

 

Karl Wilhelm Diefenbach Per Aspera ad Astra, 1892 © Magistrat der Stadt Hadamar, Foto: Norbert Miguletz


Die Moderne fand nicht nur in der Architektur und auf der Leinwand statt. Sie suchte ihren Ausdruck auch in neuen Lebensformen. Fanatismus wie Realismus waren gleichermaßen vertreten.
      Ob selbsternannter Messias mit spirituellem Drang zur Natur oder der durch Forschung neue Erkenntnisse gewinnende Wissenschaftler – die Zeit der industriellen Revolution brachte eine Vielzahl an neuen möglichen Denkmustern. Und gebar damit ein Angebot an die konformistische Gesellschaft, ihre Werte neu zu definieren und sich zu verändern.


„Frei sein! Von den Zwängen des bürgerlichen Lebens, vom Kapitalismus und der industriellen Gesellschaft. So sah der Traum vieler junger Menschen um 1900 aus – und sie schmiedeten Pläne für den Ausstieg. In Reformkolonien abseits der Städte begannen einige von ihnen ein alternatives Leben“, informiert das ausstellende Haus dazu. „Die Rückkehr zur Natur und das Leben in Frieden standen im Zentrum, aber auch Gesundheit, Körperkultur und Spiritualität.“

 

Johann Adam Meisenbach Tanzende am Lago Maggiore bei Ascona (um Rudolf von Laban), 1914 © Kunsthaus Zürich, Bibliothek, Nachlass Suzanne Perrottet, 1990, Foto: © Erben Johann Adam Meisenbach


Da ist zum einen das Siedlungsprojekt „Monte Verità“, eine „Aussteiger-Kolonie“ am Lago Maggiore. Damals ein Zufluchtsort für Intellektuelle wie Sinnsuchende, die beispielsweise mit einer vegetarischen Ernährung und dem Leben in Lichtlufthütten eine andere Form von Kunst und Gesellschaft erproben wollten (mehr). Auf den „Berg der Wahrheit“ kamen beispielsweise Käthe Kruse, Hermann Hesse, Rudolf von Laban und Mary Wigman. Die beiden letzteren waren Pioniere des modernen Tanzes. Individualität und Ausdruck des Tanzes wurden durch sie neu definiert und begeistern bis heute.

 

Ernst Ludwig Kirchner Die tanzende Mary Wigman, 1933 © Museum Folkwang Essen – ARTOTHEK

 

Im Projekt „Loheland“ erprobten Frauen ab 1919 eine neue Lebens- und Arbeitsgemeinschaft. Für die Bewohnerinnen bot das Modell die Möglichkeit, sich als Frauen eine selbständige Existenz zu verschaffen.
      Die Naturphilosophie bekam eine neue Aufmerksamkeit, ausgelöst durch die Schrift „Walden oder Leben in den Wäldern“ von dem US-amerikanischen Schriftsteller Henry David Thoreau, der zwei Jahre als Einsiedler lebte. Ludwig Wittgenstein und Martin Heidegger machten es ihm nach. Thoreau war es auch, der den Begriff des „zivilen Ungehorsams“ erfand.
     In der Malerei wandten sich viele Künstler vom Historismus ab und fanden über den Impressionismus zum Expressionismus, über den Kubismus zur Abstraktion. Der Jugendstil entstand. Aber auch der Surrealismus.

 

Gusto Gräser (Karl Wilhelm Diefenbach war sein Vorbild) © Münchner Stadtbibliothek / Monacensia, L 2897-1

 

Das Phänomen der Künstler-Propheten, berichtet die Bundeskunsthalle, begann Ende des 19. Jahrhunderts mit Karl Wilhelm Diefenbach, dem mit dem Schatten-Fries „Durch Mühsal zu den Sternen“ zwar nicht sein künstlerischer Durchbruch gelang, aber mit diesem die Erlösung der Menschheit in einem Paradies auf Erden verkündete.

     Diefenbach verband seine Visionen mit einem eigenen Erscheinungsbild, das ihn prägte. Lange Haare und Bart, (oft) barfuß, eine Kutte und umgehängte Tasche waren seine Erkennungszeichen. Und viele folgten ihm! Da liegt das Sektendenken nicht allzu weit. Die Bundeskunsthalle hierzu: „Das Erbe Diefenbachs und seiner frühen Nachfolger*innen reicht über die Hippies und die Öko-Bewegung bis zum zeitgenössischen Umweltaktivismus und sozial engagierten Künstler*innen wie Joseph Beuys.“

 

Conrad Röntgen Hand von Anna Bertha Röntgen, vor 1900 © Deutsches Röntgen-Museum

 

Mit der Entdeckung radioaktiver Strahlen und drahtloser Telegrafie lag es um 1900 nahe, sich mit dem Übersinnlichen zu beschäftigen. Vorher Verborgenes wurde plötzlich sichtbar und die Existenz eines für das Auge unsichtbaren Universums wurde vorstellbar (mehr). Der Begriff Phänomen bekam einen neuen Inhalt. Das Spirituelle wurde gesellschaftsfähig. Wassily Kandinsky inspirierte es zu seinen berühmten Bildkompositionen und die Traummalerin Wilhelmine Assmann malte ihre großen Farbzeichnungen in Trance.


Die Ausstellung zeigt in acht Kapiteln die unterschiedlichsten Reformbewegungen aus den Bereichen Design, Lebens- und Körperkultur und Kunst auf. Neben den Entwicklungen in Deutschland und Europa sind es vor allem die Verbindungslinien zur amerikanischen Counter Culture und der Flower-Power-Bewegung, die die Ausstellung umfassend präsentiert.
Irmgard Ruhs-Woitschützke

 

Die Ausstellung „Para-Moderne. Lebensreformen ab 1900“ ist bis zum 10. August 2025 zu sehen.

Bundes- und Ausstellungshalle der

Bundesrepublik Deutschland
Helmut-Kohl-Allee 4
53113 Bonn
Tel. 0228 / 9171-0
Öffnungszeiten
DI – SO 10 – 18 Uhr
MI 10 – 20 Uhr


 

 

 

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