KUNSTVORLÄUFER
Alles schattig hier!
Schattenspiele, Schattenboxen, Schattenkinder – und nun der Schatten in der Kunst. Das Bonner Kunstmuseum widmet sich diesem vieldeutigen Phänomen.
Vadim Fishkin Coffee and Ink. 2012 (Detail). Courtesy Gregor Podnar, Vienna and the artist. © Foto: Courtesy the artist and Gregor Podnar, Vienna. Production: Association DUM/ Ljubljana. Bildquelle © Kunstmuseum Bonn |
Dabei geht es nicht um wechselnde Wetterlagen oder fehlendes Sonnenlicht. Vielmehr steht der Schatten – der lichtfreie Bereich hinter einem Gegenstand – hier als Ausdruck verschleierter Wahrnehmungen und melancholischer bis düsterer Stimmungen im Mittelpunkt. Ein Motiv, das sich durch die Jahrhunderte zieht.
Hans-Peter Feldmann Zwei Mädchen mit Schatten, 1999. Dauerleihgabe der Stiftung Kunst in Landesbesitz (ehem. Sammlung WestLB) im Kunsthaus NRW Kornelimünster. © VG Bild-Kunst, Bonn 2025. Foto: Anne Gold. Bildquelle © Kunstmuseum Bonn
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Zwar ist der Schatten seit der frühen Neuzeit fester Bestandteil künstlerischer Darstellungen, doch erst mit dem 19. Jahrhundert – und der Erfindung von Fotografie und Film – wird er zu einem eigenständigen, bildprägenden Element.
Die Ausstellung titelt „FROM DAWN TILL DUSK – Der Schatten in der Kunst der Gegenwart“. Schon der Einstieg verrät: Der Schatten stand – gewissermaßen – am Beginn der Kunstgeschichte.
In der antiken Überlieferung nach Plinius dem Älteren war es die junge Tochter des korinthischen Töpfers Butades, die den Schattenriss ihres Geliebten, der in die Fremde ging, mit einem Kohlestift an einer Wand nachzeichnete. Das getreue Abbild sollte den Schmerz und das Begehren nach dem geliebten Manne stillen – und wurde so zu einem frühen Vorläufer der bildenden Kunst.
Gerhard Richter Fenster, 1968. Kunstmuseum Bonn. © Gerhard Richter 2025 (15042025). Foto: Reni Hansen. Bildquelle © Kunstmuseum Bonn |
„Das Dubiose, potenziell Unheimliche begleitet den Schatten über Jahrhunderte, bevor die Romantik seine positive Dimension entdeckt und ihn mit der menschlichen Psyche verknüpft“, erklären die Kuratoren der Bonner Schau. Rund 40 internationale Positionen haben diese zusammen getragen, - und zeigen erstmals in einem deutschen Museum, wie der Schatten sich in der zeitgenössischen Kunst emanzipiert hat – als Bildmotiv und zugleich als Reflexion über das Medium selbst.
Marlene Dumas The Origin of Painting (The Double Room), 2018. Courtesy the artist. Foto: Peter Cox. Bildquelle © Kunstmuseum Bonn
Jürgen Klauke Toter Fotograf, 1988/93. Aus der Werkreihe: Prosecuritas, 1987-1993. Kunstmuseum Bonn. Dauerleihgabe Sammlung KiCo © VG Bild-Kunst, Bonn 2025. Foto: Reni Hansen. Bildquelle © Kunstmuseum Bonn
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Die Schau beleuchtet das breite Spektrum dieser „Schattenwelten“: von existenziellen und bedrohlichen bis hin zu politischen Deutungen. Letztlich war der Schatten in den mythologischen Vorstellungen vieler Kulturen ein Begriff für das Spiegelbild der Seele, für das „zweite Ich“ des Menschen, für dessen Doppelgänger oder Ebenbild, das meist in einem jenseitigen „Reich der Schatten“ angesiedelt und mit Dunkelheit, Nacht und Tod assoziiert wurde.
Der Schatten fasziniert, verbindet er doch das Abwesende mit dem Anwesenden. Er verweist immateriell auf die materielle Welt – und auf ihr mögliches Verschwinden. Als flüchtige Spur gehört er zum Körper, löst sich aber zugleich von ihm.
Wie ein fotografischer Index verweist er auf etwas reales – und ist zugleich Projektionsfläche eigener Wirklichkeiten. So kann der Schatten, wie die Kuratoren betonen, als Metapher für die Krise des Subjekts stehen – oder als Hinweis auf eine Wirklichkeit jenseits des Sichtbaren.
Ist der Schatten vielleicht der Ursprung der Malerei? Viele Künstler haben diese Idee aufgegriffen. Marlene Dumas nimmt den Faden bei Plinius dem Älteren auf, der die Legende vom Ursprung der Malerei im gezeichneten Schatten erzählt. Und der Fotograf Lee Friedländer zeigt sich in einem „Selbstporträt“ – nicht frontal, sondern nur als dunkle Silhouette auf dem Rücken einer Frau im Pelzmantel: ein beschattender Schatten.
William Kentridge lässt in der Ausstellung zum Klang eines Akkordeons eine Prozession schwarzer Scherenschnitt-Figuren vorbeiziehen – ein Kommentar zu den immerwährenden Themen Flucht und Vertreibung. Gerhard Richter spielt mit Licht und Schatten an einem Fenster.
Die Vielfalt der Perspektiven, teils rätselhaft wie auch humorvoll, verleiht der Ausstellung eine eigentümliche Überzeugungskraft. Am Ende des Rundgangs zeigt sich: Der Schatten ist weder bloß Mittel zur Täuschung noch reines Wahrnehmungsspiel. Ein Hauch von Schauerlust mag dazugehören – schließlich gilt die Schattenwelt auch als „Reich der Toten“. Und doch tritt man aus dem Museum hinaus ins sommerliche Licht – vielleicht ohne grundlegend neue Erkenntnisse, aber mit einem geschärften Blick für die vielen Facetten zwischen Licht und Dunkel.
rART/bra
Die Ausstellung FROM DAWN TILL DUSK Der Schatten in der Kunst der Gegenwart wird bis zum 2. November 2025 gezeigt.
Kunstmuseum Bonn
Museumsmeile
Helmut-Kohl-Allee 2
53113 Bonn
Tel. 0228 / 77-6260
Öffnungszeiten
Di - SO 11 – 18 Uhr
MI 11 – 19 Uhr