rheinische ART
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rheinische ART 07/2010

Archiv 2010: aus "Über die Grenze geschaut"

In London und Dudelange/Luxemburg

August Sanders „Neue Sachlichkeit“

 

Mit dem Portraitprojekt „Menschen des 20. Jahrhunderts“ schuf er ein kunst- und kulturhistorisch einzigartiges, epochemachendes Fotowerk: August Sander (1876-1964) portraitierte jahrzehntelang die Menschen seiner Zeit. Sander zählt zu den Wegbereitern der dokumentarisch-sachlichen Fotografie und gilt als einer der bedeutendsten Fotografen des 20. Jahrhunderts. Ausgewählte Fotografien seines zentralen künstlerischen Projektes sind jetzt in London und in Luxemburg zu sehen.

Der im Westerwälder Herdorf (Landkreis Altenkirchen) - damals Rheinprovinz - geborene August Sander kommt erstmals als sogenannter „Haldenjunge“ in den Eisenerzgruben seiner Heimat mit der Fotografie in Kontakt.

     Nach Militärdienst und fotographischer Ausbildung in Trier absolviert er zwei Wanderjahre, die ihn unter anderen nach Berlin, Halle, Leipzig, Dresden führen. Seine erste eigene Werkstatt für bildmäßige Photographie betreibt Sander ab 1904 im österreichischen Linz/Donau. Arbeitsschwerpunkte sind Portrait-, Architektur-, Landschafts- und Sachaufnahmen. 1910 siedelt Sander mit seiner Familie nach Köln über und eröffnet im Stadtteil Lindenthal ein Atelier.
 

Banker, Bäcker, Bettler

 
Nach dem Ersten Weltkrieg kommt er mit der Gruppe der „Kölner Progressiven“ zusammen und hat intensiven Austausch mit Künstlern wie Franz Wilhelm Seiwert und Heinrich Hoerle, ferner pflegt er engen Kontakt zum Maler Otto Dix. Mit Beginn der 1920er Jahre entwickelt Sander das Konzept seines Meisterwerkes „Menschen des 20. Jahrhunderts“. Mit annähernd 600 eindringlichen und faszinierenden Schwarz-Weiß-Aufnahmen dokumentiert Sander kontinuierlich in Laufe der folgenden Jahrzehnte Menschen unterschiedlichster Gesellschaftsschichten und Berufsgruppen, die er gemäß seines Konzepts in sieben Bildgruppen katalogisiert: „Der Bauer“, „Der Handwerker“, „Die Frau“, „Die Stände“, „Die Künstler“ sowie „Die Großstadt“ und „Die letzten Menschen“.
     Dabei steht nie die Persönlichkeit eines Einzelnen im Vordergrund, sondern die Berufs-, die Standesgruppe oder die Gesellschaftsschicht, der dieser angehört. Seine Portraits zeigen überwiegend Menschen des Rheinischen und Westerwälder Raums. Sander schafft damit ein Abbild der Gesellschaft seiner Zeit. Eine Zeit, geprägt durch Umbruch, Zerfall, Hyperinflation und verheerender Arbeitslosigkeit. Seine „vergleichende Photographie“ und sein methodisches Arbeiten liefern Bildreihen, die typische Physiognomien und Körpersprachen von Berufsständen, Geschlechtern und Generationen herausarbeiten und vom Banker und Bäcker bis zum Bettler reichen. Sander wird damit zu einem Protagonisten der Neuen Sachlichkeit, oder – wie vielfach charakterisiert – zum „Vater der modernen deutschen Fotografie“.
 

Im Kölnischen Kunstverein

 
Teile seiner Bildmappen werden in einer Ausstellung erstmals 1927 im Kölnischen Kunstverein präsentiert. Zwei Jahre später veröffentlicht Sander sein erstes Buch unter dem Titel „Antlitz der Zeit“ mit einer Auswahl von 60 Portraits, quasi als Vorläufer von „Menschen des 20. Jahrhunderts“.
    Die Bildreihen umfassen neben kühl-sachlichen Bildnissen von Handwerkern, Kaufleuten und Künstlern auch beeindruckende Portraits von Behinderten, Kranken und Gebrechlichen. Er hasse, so wird Sander zitiert, nichts mehr als „zuckerhaltige Fotographie“ mit Tricks, Posen und Auswirkungen. Zahlreiche Besprechungen namhafter zeitgenössischer Literaten wie Kurt Tucholsky, Thomas Mann und Walter Benjamin belegen die große Resonanz von Sanders erster Ausstellung.
 

Kriegs- und Nachkriegszeit

 
Während des Nationalsozialismus wird Sanders künstlerisches Leben stark eingeschränkt. 1936 wird sein Buch „Antlitz der Zeit“ beschlagnahmt, die Druckstöcke später vernichtet (mehr). Sein Atelier in Lindenthal wird 1944 durch einen Luftangriff zerstört. Wichtige Fotografien und Negative kann Sander während der Kriegsphase im Westerwald gesichert deponieren. Jedoch gehen noch 1946 durch ein Feuer im Kölner Atelier des Künstlers über 20.000 Negative verloren. Regional von enormer Bedeutung sind aus jener Zeit Sander-Werke „Köln wie es war“ (408 Fotografien von 1920 bis 1939) sowie „Die Zerstörung Kölns. Photographien 1945-1946“.
    Noch zu seinen Lebzeiten werden seine Werke 1956 im Museum of Modern Art („MoMa“) in New York im Rahmen einer Gesamtausstellung mit Manuel Álvarez Bravo, Walker Evans u.a. gezeigt. August Sander stirbt 1964 in Köln nach einem Schlaganfall. Sein Grab befindet sich auf dem Kölner Melaten-Friedhof.
    Postum präsentieren zahlreiche Kunsthäuser die einzigartigen Fotografien des Künstlers, so etwa 1969 erneut das Museum of Modern Art, 1994 das Moskauer Puschkin-Museum für Bildende Künste und 2004 das New Yorker Metropolitan Museum of Art.
Klaus M. Martinetz
 

Blick auf die Tate Modern in London Foto rART

 

Die derzeitigen Ausstellungen in Dudelange (Luxemburg) und in der Tate Modern (London) zeigen unter anderem die Ikonen des Sanderschen Œuvres. So etwa die berühmten 1928 geschaffenen Bilder des beleibten weißkitteligen Konditors, den steinbeladenen Handlanger oder die drei Jungbauern aus dem Westerwald. In der Tate Modern, der ehemaligen Bankside Power Station im Herzen Londons, die derzeit ihr 10jähriges Bestehen feiert, gilt die Sander-Exposition als wichtiges Ereignis. Sie ist in den Themenblock „Integration der Fotografie in die Geschichte der Kunst“ eingebettet, der als Schwerpunkt Werke der zeitgenössischen deutschen Fotografen Thomas Struth, Thomas Ruff und Bernd und Hilla Becher zeigt.
 
 Die weltweit größte Sammlung von Sanders fotographischem Werk befindet sich heute mit über 4.500 Originalabzügen und etwa 11.000 Originalnegativen in der Photographischen Sammlung der Kulturstiftung der Sparkasse Köln.
 
 
Ausstellungen:
bis zum 29. September 2010
August Sander: Ikonen des Porträtwerkes „Menschen des 20. Jahrhunderts“
Centre National des l´Audiovisuel (CNA) Dudelange,
1 Bv. du Centenaire
L-3474 Dudelange/ Luxembourg
Öffnungszeiten:
MO – FR 8.00 – 22.00 Uhr
SA und SO 10.00 – 22.00 Uhr
 
bis zum 31. Mai 2011
August Sander, Black and White Photography, Exhibit, Fine Art/ “Photographic Typologies”
Tate Modern
Bankside, London SE1 9TG
Öffnungszeiten:
SO – DO 10.00 – 18.00 Uhr
FR und SA 10.00 – 22.00 Uhr
 
Literaturempfehlungen
 
► Die Photographische Sammlung/ SK Stiftung Kultur, Köln (Hrsg.): August Sander. Menschen des 20. Jahrhunderts, Schimer-Mosel Verlag, München/Paris/London 2001
 
► Kölnisches Stadtmuseum (Hrsg.): August Sander. Köln wie es war. 408 Fotografien von 1920 bis 1939, Emons Verlag, Köln 2009
 
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