rheinische ART
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rheinische ART 12/2010

SPEZIALMUSEUM

Archiv 2010 - Kulturorte

 

 

Wiener Kunstbillets von Johann Endletsberger, mit Papagei und Blumenvase als Symbole der Freundschaft und Zuneigung sowie dem Spruch: Nimm dieser Blumen zarten Sinn / Als Zeichen der Verehrung hin, um 1820/30

 

Bürgerliche Welt in Wort und Bild

 

Das Feld-Haus,

das Kirkeby-Feld

und der

Kulturraum Hombroich

 

 

Wer das Feld-Haus im Kulturraum Insel Hombroich in Neuss besucht , bekommt einen Spiegel vorgehalten. Einen Spiegel unserer westlichen Gesellschaft vor hundert und zweihundert Jahren, festgehalten in Bildern und Sinnsprüchen, die die bürgerliche Welt von damals ausdrucksstark dokumentieren. Der Besucher irrt, wenn er glaubt, die kulturelle und gesellschaftliche Relevanz von Moral und Anstand, Wunsch und Liebe vergangener Zeit betreffe ihn heute nicht mehr. Eine Betrachtung der populären Druckgrafiken bringt denn auch einen besonderen Erkenntnisgewinn: Die Wertvorstellungen und Weltanschauungen vergangener Zeiten haben teilweise heute noch Gültigkeit.

 

Blick auf die von Irmgard Feldhaus gestaltete Wand nach Petersburger Hängung

 

Freundschaftsbillet mit dem Spruch: Im Lenz erquicke Sie, im Sommer kühle Sie, im Herbst ernähre Sie, im Winter wärme Sie, Der Freundschafts Seegenbaum, um 1820

 

Johann Endletsberger, Spiegel und Spruch: Der klare Spiegel zeigt / wohin mein Herz sich neigt, um 1820/30

 

Ein Besuch dieses feinen kleinen Museums ist allein schon wegen der Sinnsprüche der damaligen Zeit ein Erlebnis. Unbekannt kommt einem das Gebotene nicht vor. Ganz im Gegenteil, man glaubt, es irgend woher zu kennen und viele mögen sich an „früher“ erinnert fühlen, wo die eigenen Eltern die Kostbarkeiten der Ahnen im Familienkreis zum Staunen und Bewundern zu mancher Familienfeier präsentierten.

  Gleich ob Andachts- oder Heiligenbild, Poesiealbum, Glückwunsch- oder Freundschaftskarte: Allen ist gemein, das sie zum Bereich der populären Druckgrafik gehören und Zeugnisse für das Urbedürfnis des Menschen sind, sich mittels Bildern ein bestimmtes Bild von der Welt selbst zu machen oder zu geben. So verstanden sind sie wichtige Dokumente unserer europäischen Kultur, denn den volkstümlichen Grafiken wohnt eine über ihre Entstehungsepoche hinausreichende, kulturelle und gesellschaftliche Relevanz inne. Sie sind Bild gewordene Wertvorstellungen und Weltanschauungen jener vergangener Zeiten.

  Zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als die Produktion solcher Grafiken technisch wie kommerziell praktisch in Serie - und sogar mit Sonderwünschen - möglich wurde, waren sie in der Bevölkerung weit verbreitet. Sie waren als Reproduktionsgrafiken praktisch ein Massenprodukt. Die mit den Grafiken zum Ausdruck gebrachte, besondere Sentimentalität ist ebenfalls der Zeit geschuldet, denn zu Beginn des 19. Jahrhunderts begann man, die Familie als Ort des Rückzugs zu pflegen und Beziehungen zu emotionalisieren. So wurde eine Ehe nicht mehr ausschließlich aus praktischen Überlegungen geschlossen, sondern Liebe und Zuneigung wurden mit ein Grund zur Vermählung. Ebenso wurden die Kontakte zu Freunden aufgewertet und gepflegt.

   Ein Beweis von Freundschaft und Liebe wurde mit den Bildern und Karten gegenständlich erbracht. So schenkte man sich kunstvolle Kärtchen mit entsprechenden Symbolen und Reimen, die auch heute noch ihren Charme besitzen. In ihnen spiegelt sich die bürgerliche kulturelle und historische Entwicklung unserer Gesellschaft wider. Einige dieser Druckgrafiken sind mit Schiebe- oder Zugmechanismus ausgestattet wahrlich handwerkliche Kunst.

 

1873, ein Korrespondent der Wiener Weltausstellung zum Luxuspapier

 

»Nicht zufrieden mit der Rolle, die die nüchterne Geschäfts- und Utilitätsindustrie ihm angewiesen, überschreitet das Papier die Grenzen des Alltäglichen, und betritt das Reich des Luxus und der Phantasie in Gestalt von Blumen und Blättern, von reich verzierten Liebesbriefen, Karten, Bonbonnieren und Cartons, präsentiert sich als glänzendes Etiquette, als Orden, als Lichtmanschette, als Fächer und Bouquethalter, als Tellerpapier und Serviette, und Tausende von Menschenhänden sind heut in allen civilisierten Ländern damit beschäftigt, die prachtvollsten Blumen und Knospen aus Papier hervorzuzaubern, die an Schmelz und Farbe die natürlichen fast übertreffen, um Spitzen und Fransen, um Silber- und Goldborden, um Glanz- und Lackpapiere, kurz um die zahlreichen Luxusartikel aus Papier zu erzeugen, die einer Menge von gewöhnlichen Dingen zum Schmuck, zur Zierde dienen und die das Auge des Beschauers erfreuen.«

 

 

 Das Feld-Haus

 

Heute versteht man unter dem Begriff der populären Druckgrafik vor allem Reproduktionsgrafiken, also Drucke von Einzelblättern, die eine oder mehrere Abbildungen zeigen und in größerer Auflage produziert wurden. Nicht dazu zählen Originalgrafiken, bei denen unter Mitwirkung des Künstlers eine limitierte Auflage eines Werkes hergestellt wurde. Zur populären Druckgrafik gehören Bilder mit unterschiedlichen

  Motiven (Heilige, Landschaften, Personen, Märchenszenen),

  Formaten (von kleinen, in ein Gebetbuch passenden Andachtsbildern bis zu großformatigen, sogenannten „Schlafzimmerbildern“, die etwa die Breite eines Doppelbettes haben),

  Verwendungszwecken (Schmuck, Übermittlung von Grüßen, Belehrung, Unterhaltung, Andacht)

  Qualitäten (von den Reproduktionen von Kunstwerken von Dürer oder Michelangelo bis hin zu einfachen Karikaturen),

  Verwendungsmöglichkeiten (Spielzeug, Dekoration, Lehrmaterial, religiöse Andacht, Souvenir), Drucktechniken (Holzschnitt, Kupferstich, Lithographie) und

  Entstehungszeiten (von der Frühen Neuzeit bis in die Gegenwart).

Dass so zahlreiche Zeugnisse aller Sparten der populären Druckgrafik gezeigt werden können, ist der Spenderin Irmgard Feldhaus zu verdanken. Die ehemalige Leiterin und große alte Dame des Clemens-Sels-Museums in Neuss hat in Jahrzehnten eine mehr als 5000 Objekte umfassende Sammlung aufgebaut, die sie im Jahr 2006 der Stadt Neuss übereignete. In diesem Jahr hat diese außergewöhnliche Sammlung ihre Heimat in einem eigenen Museum gefunden – dem „Feld-Haus“, einer Dependance des Clemens-Sels-Museums auf dem Kirkeby-Feld. Das Gebäude selbst ist eine Architekturskulptur des dänischen Architekten und bildenden Künstlers Per Kirkeby. »Huset« (»Das Haus«), seine erste Backsteinskulptur, entstand 1973. Seit den achtziger Jahren schuf er aus demselben Material weitere monumentale, monolithische Architekturskulpturen sowie mehrere Gebäude für die international bekannte Stiftung Insel Hombroich, die auf dem nach ihm benannten Kirkeby-Feld zwischen der Insel Hombroich und der Raketenstation stehen.

  Da das Feld-Haus kein Zweckgebäude, sondern als Skulptur ein Kunstwerk darstellt, nimmt die Präsentation der populären Druckgrafiken die besondere architektonische und künstlerische Gestaltung dieses Gebäudes auf, um den Werkcharakter zu wahren. Die zurückhaltende Ausstellungsgestaltung verzichtet daher, wie auf Insel Hombroich üblich, bewusst auf Wandtexte, kommentierende Objektbeschriftungen und Inszenierungen. Dem interessierten Besucher stehen aber erläuternde Kataloge zur Verfügung.

Irmgard Ruhs-Woitschützke


 

Feld-Haus

Dependance des Clemens-Sels-Museums

Hombroich

41472 Neuss

Tel. 02131 / 904141


 

Öffnungszeiten

SA und SO 12 – 17 Uhr und Führungen auf Absprache


Quelle Fotos: Feld-Haus/Clemens-Sels-Museum, ruwoi(1)

 

©rheinische-art.de

 

 

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