rheinische ART
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rheinische ART 12/2010

Archiv 2010 - Menschen

Nachgefragt

 


Muss Kunst erklärt werden?


 

Beat Wismer, Generaldirektor im museum kunst palast in Düsseldorf Foto: smkp

Die rheinische ART. traf Beat Wismer, Generaldirektor des museum kunst palast in Düsseldorf, zum Gespräch über die Notwendigkeit einer Erklärung von Kunst, über Kunsterfahrung als Erlebnis und über sein Verständnis von der Rolle eines Museumsdirektors und Ausstellungsmachers.


rheinische ART.: Herr Wismer: Muss Kunst erklärt werden?
Beat Wismer: Nein.

 

Und wenn man die Frage aus dem Blickwinkel eines Museumsdirektors betrachtet? Ist das kein Thema für Sie?
Doch. Wahrscheinlich ist die Frage nicht pauschal zu beantworten. Es gibt Kunst, die ist erklärungsbedürftig, weil sie als Kunst nicht erkannt wird. Und dann gibt es Kunst, wenn wir vom herkömmlichen, konventionellen Bild ausgehen, für die keine Erklärung gebraucht wird. Der Besucher kann vielleicht nicht immer das nachvollziehen, was sich der Künstler gedacht hat, allerdings stellt sich die Frage, ob er das muss. Man kann vor einem Objekt auf Gedanken kommen, auf die der Künstler gar nicht kam. Um sich an einem Bild zu erfreuen, muss man nicht zwingend wissen, was der Künstler gewollt hat.

 

Es gibt aber durchaus Besucher, die hinterfragen.
Ich möchte es Ihnen aus meiner ganz persönlichen Warte heraus erklären, vielleicht mehr erzählen. Mein Elternhaus war wenig kunstaffin, doch es gab in meiner Schule ein begeisterndes Filmprogramm. Ich habe in jungen Jahren viele japanische Filme gesehen und diese waren für mich rückblickend betrachtet der absolute Türöffner in die Welt der Kunst.

 

Wie das?
Irgendwann wurde mir bewusst, dass ich die japanische Mythologie und Denkweise gar nicht verstehen konnte. Und trotzdem waren diese Filmvorführungen für mich faszinierende Erlebnisse, oder sagen wir besser: ganz besondere Seherlebnisse. Dann kam der Moment, wo ich erkannte, dass ich zwar ein großer Fan dieser Filme bin - wie übrigens auch von Musik -, dass ich aber kein Fachmann auf diesem Gebiet bin. Was die Musik betrifft kann ich weder Noten lesen noch Musiksätze interpretieren, aber ich bin ein ganz großer Konzertgänger. Ein großer Amateur, wenn sie so wollen.

 

Und das Bedürfnis nach mehr Wissen?
Bei der Musik gibt es viele Liebhaber wie mich. Wir alle genießen Musik, ohne zu fragen, was die Stücke, die wir hören, bedeuten. Wir haben nicht das Bedürfnis, die Frage nach der Bedeutung zu stellen. Wieso haben wir es bei der bildenden Kunst? Wieso fragen wir bei einem Bild: „Was soll das bedeuten?“ Und fragen das bei einem Konzert nicht? Diese Erkenntnis hat mich ein bisschen vom Drang erlöst, immer etwas verstehen zu wollen.

 

Das informelle Bild: Gerhard Hoehme, Sistierende Bewegung, 1956, Öl auf Leinwand Foto: smkp

Sie gehen völlig frei und offen auf die Kunst zu.
Das geht natürlich nicht bei jeder Kunst, das muss man auch sagen. Erstaunlich ist, dass das breite Publikum Mühe hat - ich sage einmal pauschal - mit „Moderner Kunst“, weil es meint, nicht zu wissen, was diese bedeutet.

 

Wer stellt die Frage nach der Bedeutung?
Das Publikum. Tatsächlich ist es wenig offen, einfach eine beispielsweise Farb-Form-Konstellation im Bild zu genießen und sich daran zu erfreuen wie an einem Musikstück. Es stellt die Frage: „Was soll das?“ Paradoxerweise stellt es diese Frage nicht vor einem Stich von Albrecht Dürer, wo es höchst komplexe Programme dahinter gibt. Aber das Publikum sieht, was auf dem Blatt passiert. Dabei muss man, um ein solches Renaissancebild zu verstehen, eigentlich sehr sehr viel wissen.

 

Dürer. Der Name spricht für sich. Irgendwie kennt man seine Werke oder man glaubt, sie zu kennen.
Bei Dürer gibt es ganz komplizierte Bildprogramme, wie es sie beispielsweise bei Matisse nicht gibt. Und trotzdem, wenn die Betrachter vor einer Arbeit von Matisse oder Pollock stehen, fragen sie nach ihrer Bedeutung. Blicken wir wieder auf die Musik: Dreiviertel der Konzertbesucher kann kein Konzert analysieren und es trotzdem genießen.

 

Sie vergleichen die Musik mit der bildenden Kunst.
Es geht um das ästhetisch-akustische Erlebnis. Oder das ästhetisch-visuelle Erlebnis.

 

Wie gehen Sie als Ausstellungsmacher mit Ihrer Kenntnis der Dinge um? Sie haben in diesem Jahr in einer großen Schau das Informel gezeigt und zur Quadriennale präsentiert das museum kunst palast Arbeiten des mit der Stadt Düsseldorf eng verbundenen koreanischen Künstlers Nam June Paik und eine Werkschau der für den Nam June Paik-Award nominierten Künstler. Sind solche Ausstellungen mit Blick auf das Publikum inhaltlich eine Herausforderung?
Zunächst einmal: Wir sind in Düsseldorf. Seit 300 Jahren genießt die Stadt den Ruf einer Kunstmetropole mit internationaler Ausstrahlung und mit Beziehungen in die ganze Welt. Die deutschen Künstler des Informel waren zu Zweidrittel im Rheinland beheimatet. Die erste Cy Twombly-Ausstellung in Deutschland fand in Düsseldorf statt.

 

Kenner bezeichnen die gewesene Informel-Schau Ihres Hauses als hervorragend.
Die Informel-Ausstellung ist durchaus auch kontrovers behandelt worden, das muss man sehen. Nun ist das informelle Bild ein Spezialthema. Das informelle Bild will möglichst groß sein, es will, dass ich mich davor stelle, mich in seinen Farbraum einbringe. Das informelle Bild will gar nicht, dass ich mich frage: Was bedeutest „Du“? Das steht beim informellen Bild nicht im Vordergrund. Zu dieser Ausstellung hatten wir eine ausführliche Broschüre im Taschenformat entwickelt, die jedem Besucher zur Verfügung stand. Allerdings hatten wir die Texte nicht an die Wand geschrieben.

 

Und bei Nam June Paik?
Paik war ein Videopionier in den 60er und 70er Jahren. Was er angestoßen hat, wurde von dem Musiksender MTV in den 80er Jahren aufgenommen. Von dieser Entwicklung wurde Paik einfach in den Schatten gestellt. Das, was er hinsichtlich der Videoclip-Ästhetik angestoßen hat, wurde von MTV und anderen professioneller und kommerziell gemacht. Paik, der eigentlich ein Anreger war von all dem, wirkt heute fast wie ein naiver Künstler.

 

Spricht Paiks Kunst breite Publikumsschichten an?
Bei Paik rechnen wir auch mit viel jungem Publikum, weil diese Generation die Videoästhetik kennt. Sicherlich hat sich diese weiter entwickelt, aber wir zeigen, wie all dies angefangen hat. Zugegeben: Es braucht eine gewisse Neugier.

 

Nam June Paik, „Mercury“, 1991 (Detail), Multi-Monitor-Installation
© Nam June Paik Estate, New York, 2010 / Kunststiftung NRW, Düsseldorf
Foto: Sascha Dressler

Wie wollen Sie dieser Neugier entsprechen?
Sicherlich müssen wir manches mit Texten begleiten. Von vielen seiner Performances gibt es leider nur noch Fotos. Paik gab zum Beispiel ein Konzert, wo es praktisch keine Töne gab und zum Schluss hat er das Klavier zertrümmert. Der Künstler Paik war rebellisch, ein Revolutionär. In seiner Zeit herrschte ein Aufbruch in der Musik und Paik kommt aus der Musik. Die Kunst Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre war im Umbruch. Da muss man für die jüngere Generation sehr viel erklären.

 

Also doch: Kunst erklären?
Weil ein Bild an der Wand hängt und ein Rahmen drum herum ist, erkennt jeder: Das ist Kunst. Hingegen: Wenn ich einen Haufen Asche oder geknüllter Papiere auf den Boden lege, kann ich der Putzfrau keinen Vorwurf machen, dass sie diesen Haufen wegmacht, denn er ist nicht als Kunst erkennbar.


Als Ausstellungsmacher müssen Sie sich fragen: „Was sag ich meinem Publikum?“
Was muss ich dem Besucher beibringen? Dass das, was er sieht, Kunst ist? Das es gute Kunst ist? Was soll ich ihm beibringen?

 

Was bieten Sie ihm?
Wenn er will, sehr viel. Ein Erlebnis. Ich nehme den Besucher durchaus persönlich. Mich treibt um, dass, wenn der Besucher zu uns in die Ausstellung kommt, ich ihm ein intellektuelles, ästhetisches, anregendes Erlebnis bieten möchte. Je nach Thema der Ausstellung vielleicht auch ein sinnliches Erlebnis. Ich sage ihm, komm in unsere Ausstellung, „Du“ bist, „Sie“ sind willkommen. Wenn wir unser Haus öffnen, ist das wie eine Einladung. Der Besucher ist in erster Linie nicht mein Schüler und auch nicht mein Kunde, sondern ich empfange ihn als Gast. Und in diesem Sinne bemühe ich mich um ihn.

 

In der Rolle sehen Sie sich.
Ich begrüße zu einem anregenden Kunstgespräch zwischen der ausgestellten Kunst und ihm, dem Besucher. Kunstskeptiker überführe ich gern mit ihren eigenen Worten. Wenn das Publikum zu einem Werk sagt: „Es sagt mir nichts“, spricht das Publikum in dem Moment dem Kunstwerk doch die Fähigkeit zu, „sprechen“ zu können. Und ich glaube, dass ist ein sehr gutes und ganz wichtiges Moment, um in das Gebiet der bildenden Kunst einzusteigen.

 

Das Gespräch führte Irmgard Ruhs-Woitschützke

 

©rheinische-art.de

 

 

 

 

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