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rheinische ART 09/2018

Archiv 2018

UNESCO-WELTKULTURERBE
Asmaras totalitäre Ästhetik


Im Sommer 2017 wurde mit Asmara erstmals eine Stätte im ostafrikanischen Staat Eritrea von der Kulturorganisation der Vereinten Nationen in die Welterbe-Liste aufgenommen. Die Stadt verfügt über ein einzigartiges historisches Zentrum aus italienischen Kolonialzeiten.

 

Moderne Architektur aus der italienischen Kolonialzeit bestimmt bis heute das Stadtbild. Ein Gebäude aus den Dreißigerjahren in der Harnet Avenue (A building from the 1930s on Harnet Avenue) Foto © K. Paulweber 2013, DOM publishers Berlin 2018.

 

Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass die Stadt Asmara, gelegen auf einem Plateau im ostafrikanischen Hochland in 2300 Metern Höhe, ein Dorado für Architekten und Architekturhistoriker ist und dass die Verleihung des UNESCO-Gütesiegels längst überfällig war.


Zwar mag der Einwand gelten, auch andere Städte hätten baugeschichtlich herausragende Relikte unterschiedlicher Stile aus diversen Jahrhunderten konserviert und zugänglich gehalten. Dies gilt – um nur wenige Beispiele zu nennen – ohne Zweifel etwa für Tel Aviv und seine Dessauer Bauhaus-Ensembles, für die viktorianisch geprägte ehemalige British-Indien-Hauptstadt Kalkutta, das heutige Kolkata, für Miami South Beach´s Art Déco-Architektur oder auch für die kubanische Hauptstadt Havanna, deren Altstadt quasi ein einzigartiges Open-Air-Baumuseum mit UNESCO-Zertifizierung ist und von barocker über klassizistischer Architektur bis zur Moderne alles bietet.

 

Asmara besitzt die größte erhaltene Ansammlung von Architektur der Moderne weltweit. Gebäudezeile mit dem Cinema Impero (Mitte) in der Harnet Avenue. Foto © Edward Denison, DOM publishers Berlin 2018. 

 

Blick in ein Theater. Foto © Günther R. Wett, DOM publishers Berlin 2018

 

Swimming pool (Piscina Mingardi) aus den Vierzigerjahren von Arturo Mezzèdimi. Foto © Jean Robert, DOM publishers Berlin 2018

 

Das Besondere an Asmara: Der nahezu völlig erhaltene Stadtkern wurde während der italienischen Besatzungszeit von 1936 bis 1941 als koloniale Musterstadt angelegt und geprägt.

     Es waren jene Jahre, in denen Eritrea Teil der italienischen Kolonie Italienisch-Ostafrika war und Asmara zu einer modernen und prachtvollen Metropole in einem „Africa Orientale Italiana“ nach den utopischen Allmachtsphantasien des Faschistenführers Benito Mussolini ausgebaut werden sollte.

     Der jahrhundertealte Gebirgsort wurde in dieser Zeit nicht nur zu einem Aufmarschraum für Mussolinis Krieg gegen das damalige Abessinien (heute Äthiopien), sondern gleich auch zu eine Art Labor für junge italienische Baumeister und Urbanisten, die auf Geheiß des Diktators zügig damit begannen, die Moderne einzuläuten.

     Sie bauten Schulen, Kirchen, Theater, Cafés, Kaufhäuser und Kinos, Fabriken, Schwimmbäder, Verwaltungs- und Wohngebäude sowie moderne Villen.

 

Es war ein urbaner Rundumschlag mit dem Ziel, eine ideale faschistische Großstadt für den neuen Menschen zu bauen. Und zahlreiche europäische Architekten, die ihre Projekte in den Hauptstädten des alten Kontinents nicht realisieren konnten, setzten sie in Eritrea um.

     Vorherrschend war der Stil des Rationalismus („architettura razionale“), dessen Vertreter sich selbst alsbald als Architekten des Faschismus begriffen. Daneben etablierten sich jedoch viele andere Stilrichtungen, so dass ein einzigartiger Mix aus italienisch-orientierter Moderne Raum griff, bestehend auch aus Futurismus, Novecento, Monumentalismus, Neoklassizismus und Neobarock, Bauhaus, Art Déco sowie lokalen eritreischen Baustilen.

 

Koloniale Architekturikone Die ehemalige Service Station Fiat Tagliero, Foto © Jean Robert, DOM publishers Berlin 2018


International wird diese fantastische Vielfalt heute oft unter dem Terminus „Asmara Style“ geführt. Zahlreiche dieser modernistischen Kolonialbauten wurden zu legendären Zeugnissen, wie etwa die Fiat Tagliero Tankstelle in Form eines startenden Flugzeugs, heute Kulturdenkmal und nicht mehr als Treibstofflieferant in Betrieb.

 

Buchcover Foto © DOM publishers Berlin 2018

  

Der unter anderem auf Architektur spezialisierte Berliner DOM Verlag hat jüngst eine umfangreiche Publikation zu diesem Thema herausgebracht: Architecture in Asmara, Colonial Origin and Postcolonial Experiences titelt das Werk des Autorenteams Peter Volgger und Stefan Graf. Der 480 Seiten starke Band macht deutlich, dass es sich bei Asmara um ein „außergewöhnliches Beispiel für modernistische Stadtplanung im afrikanischen Kontext“ handelt.

     Es ist noch nicht sehr lange her, dass sich die Baufachwelt den teils wundersamen wie auch eindrucksvollen urbanistischen und architektonischen Einzigartigkeiten Asmaras widmete. Erst in den frühen Neunzigerjahren wurden die dortige moderne Baukunst und ihre Qualität von Außenstehenden wiederentdeckt und international gewürdigt.

     In dem DOM-Fachbuch untersuchen und analysieren Volgger/Graf die koloniale Stadt und zeigen die Geschichte nicht nur der physischen und sichtbaren urbanen Realität auf, sondern auch die einer zweiten, unsichtbaren Stadt, wie sie nur in der Vorstellung existiert.

 

Das Spektrum des Buches reicht von der Entstehung des italienischen Imperialismus in Afrika bis zur Rezeption der faschistischen Stadtplanung, von Untersuchungen der Infrastruktur und der Mobilität bis zur Geschichte der Migration, die für Asmara eine große Rolle spielte. Ein Foto-Essay und Interviews mit „Asmarinos“ runden diese hochinteressante wie ungewöhnliche Stadtbeschreibung ab.


Die Entwicklung Asmaras von einer abgelegenen Landkommune zu einer modernen Stadt begann 1889 mit der Besetzung durch italienische Kolonisten und der Einrichtung einer Militärbasis. 1900 wurde Asmara Hauptstadt der italienischen Kolonie Eritrea. Ab 1922, mit der Machtergreifung der italienischen Faschisten und der Herrschaft des „Duce“ Mussolini, wurde die Metropole in nur wenigen Jahren zu einer modernen Großstadt im europäischen Stil geformt. Sie gilt als „Afrikas heimliche Hauptstadt der Moderne“ (gleichnamige Ausstellung 2007 im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt/Main) und als schönste Kapitale auf dem Kontinent.
cpw


Literaturhinweis: Peter Volgger/ Stefan Graf (Hg.) Architecture in Asmara, Colonial Origin and Postcolonial Experiences, 210 x 230 mm, 480 Seiten, 160 Abbildungen, Softcover, ISBN 978-3-86922-487-9, Englisch, DOM publishers, Berlin, EUR 28,00

 

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