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rheinische ART 10/2018

Archiv 2018

REALISMO MAGICO
Italienischer Zeitgeist der Zwanziger

 

Es gibt Gemälde, die bereits beim ersten Blick fesseln. Die in ihnen dargestellten Objekte sind klar, deutlich, präzise. Realistisch eben. Doch thematisch und atmosphärisch sind sie rätselhaft. 

 

Vorzeigen und Verbergen, ein Spiel mit der Illusion: Cesare Sofianopulo Maschere, 1930 (Masken), Öl auf Leinwand, 77,5 x 103 cm, Museo Revoltella © Nicola Eccher; Museum Folkwang Essen 2018

 

Derartige Werke verschmelzen reale Wirklichkeit mit Traumhaftem, Halluzinatorischem oder mitunter Unheimlichem. Sie zählen zur Stilrichtung des Magischen Realismus, ein Begriff, der von dem deutschen Kunsthistoriker und -kritiker Franz Roh 1925 geprägt wurde und der die Atmosphäre, in welcher die Dinge in der Schwebe bleiben, beschreibt.

 

Abgründige Schönheit Antonio Donghi Donna al caffè, 1931 (Frau im Café) Öl auf Leinwand, 80 x 60 cm Fondazione Musei Civici di Venezia, Galleria Internazionale d‘Arte Moderna di Ca‘ Pesaro © Archivio Fotografico – Fondazione Musei Civici di Venezia Foto: Franzini C; Museum Folkwang Essen 2018

 

Im Folkwang Museum Essen ist derzeit die italienische Variante dieser Kunstströmung zu sehen. Mit der großen Sonderausstellung „Unheimlich real“ greift das Haus die italienische Malerei der 1920er Jahre auf. Die Schau präsentiert 80 Gemälde des Magischen Realismus, der als Realismo magico in Italien in den Zwischenkriegsjahren parallel zur Neuen Sachlichkeit in Deutschland entstand.
     Herausragende Werke wichtiger Protagonisten wie Felice Casorati, Antonio Donghi und Ubaldo Oppi sind ebenso in der Schau vertreten wie die bedeutenden Gemälde von Giorgio de Chirico und Carlo Carrà.

     Damit findet erstmalig in Deutschland eine umfangreiche Präsentation dieser italienischen Kunst statt. Die Besucher, so kommentiert das Folkwang treffend, können eine Stilrichtung der Klassischen Moderne neu entdecken.

 

Karge Realitäten Daphne Maugham Casorati La colazione, 1929 (Das Frühstück) Öl auf Leinwand, 121 x 100 cm Privatsammlung © Artifigurative di Alberto Rodella, Crespellano (BO); Museum Folkwang Essen 2018

 

Wer sich derzeit ins Folkwang begibt, dem bieten sich in der Tat spannende, magische, und sicherlich nachhaltige, Eindrücke. Die Ausstellung hat durchaus Seltenheitswert, denn Realismo magico aus dem Italien der 1920er Jahre war bislang hierzulande kaum zu sehen.

     Folkwang-Direktor Peter Gorschlüter: „Ich freue mich, dass die Ausstellung einen Einblick in jene Zeit vermittelt, die in der kunsthistorischen Forschung lange Zeit ein Schattendasein führte, und eine neue umfassende Betrachtung der Werke ermöglicht, die aus zahlreichen institutionellen wie privaten Sammlungen zusammengetragen wurden.“ 

 

Unbewohnt erscheinende Architektur Carlo Carrà Vasi sul davanzale, 1923 (Blumentöpfe auf dem Fensterbrett), Öl auf Leinwand, 52 x 67 cm Privatsammlung © Courtesy Galleria dello Scudo, Verona; Museum Folkwang Essen 2018


Historie Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, der auch das Ende von Alteuropa bedeutete, wandten sich die Künstler neuen realistischen Ansätzen zu. In Italien entstand mit dem Realismo magico eine künstlerische Richtung, die eine objektive Darstellung mit rätselhaften, auch mythischen Atmosphären verband.

     Ein Sprachrohr war die Zeitschrift Valori Plastici, in der ab 1918 vom „ritorno all’ordine“ die Rede war – dem Ruf zur Ordnung. Die sollte nun, nach den verheerenden und chaotischen Kriegsjahren, Einzug ins Leben halten. In der Kunst sorgte der Ordnungsruf europaweit für eine Wiederbelebung des Klassizismus und der realistischen Malerei. Voran ging Frankreich, wo in Paris mit dem „rappel à l’ordre“ die neoklassizistischen Tendenzen in der Malerei einsetzten, während in Deutschland die besagte Neue Sachlichkeit entstand.

 

Magische Atmosphäre und weite Plätze Giorgio de Chirico Piazza d’Italia (Souvenir d’Italie), 1924-25 Italienischer Platz (Souvenir aus Italien) Öl auf Leinwand, 60 x 73 cm, Rovereto, MART-Museo di arte moderna e contemporanea di Trento e Rovereto © MART - Archivio Fotografico e Mediateca; Museum Folkwang Essen 2018

 

Lebenswirkliches in fast fotorealistsichem Stil Cagnaccio di San Pietro Natura morta con panno azzuro, 1923 (Stillleben mit blauem Tuch) Öl auf Leinwand, 24,5 x 33,5 cm Collezione Malcisi-Zaccarelli, Bildquelle Museum Folkwang Essen 2018

 

Für den Realismo magico waren die metaphysischen Malereien (Pittura metafisica) von Giorgio de Chirico und Carlo Carrà wegbereitend. Mit ausschlaggebend war auch die Orientierung an der Kunst vergangener Zeiten: Man blickte auf die Frührenaissance, die Einfachheit und Strenge Giottos, aber auch auf die Malerei von Henri Rousseau.

     Die Maler fügten die aufgelösten Formen von Expressionismus und Futurismus neu zusammen. Die oftmals aus dem Alltag gegriffenen Bildsujets, etwa häusliche Szenen und Stillleben, stellten sie unversehrt dar, vereinfachten und stilisierten, arbeiteten die Volumen und Kompositionen sorgfältig aus und verwendeten eine mitunter leuchtende Farbpalette. Und doch drohte ihnen zuweilen das Eis gefühlt aus dem Pinsel zu fließen. Das Resultat: Die Werke verbindet eine geheimnisvolle, zuweilen melancholische oder sogar abgründige Atmosphäre. Der Schritt zum Surrealismus ist nicht weit.


Der Realismo magico war eine künstlerische Haltung mit jeweils sehr individuellen stilistischen Entwicklungen. Dies spiegelt sich auch in den neun Themengruppen der Essener Ausstellung wider.

     Gleichwohl prägt ihn bei aller Vielfältigkeit der künstlerischen Ansätze eine gemeinsame Weltanschauung. In den späten 1920er Jahren ging diese Stilrichtung zunehmend in der vom faschistischen Staat unter Benito Mussolini favorisierten „Novecento Italiano“-Bewegung auf, die bereits schleichend ab 1923 Raum griff.
K2M


Die Ausstellung „Unheimlich real. Italienische Malerei der 1920er Jahre“ wird bis zum 13. Januar 2018 gezeigt.
Museum Folkwang
Museumsplatz 1
45128 Essen
Tel. 0201 / 8845 160
Öffnungszeiten
Di, Mi 10 – 18 Uhr
Do, Fr 10 – 20 Uhr
Sa, So 10 – 18 Uhr Feiertage 10 – 18 Uhr

 

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