Archiv 2024
ABSTRAKTION
Vom Geist und von Geistern
Die Kunstsammlung NRW feiert nach eigenen Worten ein „kunsthistorisches Ereignis“. Gemeint ist die Schau „Hilma af Klint und Wassily Kandinsky. Träume von der Zukunft“. Eine Malerin und ein Maler, die sich der Abstraktion verschrieben haben.
Wassily Kandinsky Durchgehender Strich, 1923, Öl auf Leinwand, 140,8 x 202,0 x 2,7 cm, © Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, Foto: Achim Kukulies |
An Superlativen ist kein Mangel. Mit „Pioniere“, „Leitsterne“, „zum ersten Mal“, „zwei der bedeutendsten Maler*innen der klassischen Moderne“ werden die Künstler beschrieben. Gemeinsamkeiten werden gesucht, manchmal tatsächlich, manchmal spekulativ gefunden.
Hilma af Klint Altarbild, Gruppe X, Nr. 1, 1915, Öl und Metallblätter auf Leinwand, 237,5 x 179,5 cm, © The Hilma af Klint Foundation, Foto: The Moderna Museet, Stockholm, Schweden |
Gefühlt scheint im Hintergrund so etwas wie eine Art Wettbewerb unklar zu wabern. Wer ist besser, früher, bedeutender? Die Frau oder der Mann? In einer Schau, die nur zwei Künstler zeigt, liegt ein Vergleich der Œuvre und Kunstwerke sehr nahe. Doch das vielgerühmte „vergleichende Sehen“ ist hier fehl am Platze. Das wäre wie Äpfel mit Birnen zu vergleichen.
Noch vor der Ausstellung in Düsseldorf wurden af Klints Arbeiten in der Tate Modern in London gemeinsam mit Piet Mondrian gezeigt. Der Kritik ist unschwer zu entnehmen, dass diese Gegenüberstellung, vorsichtig formuliert, nicht ausschließlich zur positiven Meinungsbildung über af Klints Werk als bedeutende Malerin der Moderne und Abstraktion beitrug. Unstrittig ist aber auch, dass das Guggenheim in New York 2018 Hilma af Klint in einer Retrospektive zeigte, die 600.000 Besucher verzeichnete. Eine unglaubliche Zahl, die eigentlich nur einen Schluß zulässt: Hilma af Klint fasziniert, warum auch immer, und die Menschen wollen ihre Werke sehen.
Hilma af Klint Ausstellung Träume von der Zukunft, Installationsansicht, © Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, 2024, Foto: Achim Kukulies |
Und was Mondrian für London ist, kann für die Kunstsammlung NRW nur Wassily Kandinsky sein. Das ausstellende Haus schreibt dazu: „Das Museum besitzt in ihrem Bestand vier Werke Kandinskys aus seinen wichtigsten Schaffensphasen von ‚Komposition IV‘ (1911) über ‚Durchgehender Strich‘ (1923) und ‚Im Blau‘ (1925) bis zu ‚Komposition X‘ (1939).“ Allein diese Ansammlung ist für sich schon eine Sensation. Eigentlich braucht es dann keine af Klint mehr, um die Menschen ins Museum zu locken. Aber darum geht es nicht.
Wassily Kandinsky Komposition No. 350 (Hommage à Grohmann), 1926, Öl auf Leinwand, 35,3 x 24,1 cm, © Staatsgalerie Stuttgart, bpk/Staatsgalerie Stuttgart
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Tatsächlich ist die Schau in Düsseldorf mit der Begegnung von Hilma af Klint (1862-1944) und Wassily Kandinsky (1866-1944) die Präsentation zweier Künstler, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Sie, eine Schwedin, die dem Übersinnlichen nahestand und mit Geistern sprach, an Séancen teilnahm die mit weiteren vier Frauen in der Gemeinschaft malte und nicht in das Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit gelangte und er, ein Russe, der zu den namhaftesten abstrakten Malern der Moderne zählt, der zusammen mit Franz Marc die Künstlervereinigung „Blaue Reiter“ gründete, der am Bauhaus in Weimar und Dessau lehrte und der mit „Über das Geistige in der Kunst“ eine der bedeutendsten, programmatischen Schriften des 20. Jahrhunderts veröffentlichte.
Hilma af Klint Der Schwan, Serie SUW, Gruppe IX: Teil 1, Nr. 2, 1914, Öl auf Leinwand, 151 x 149 cm, © The Hilma af Klint Foundation, Foto: The Moderna Museet, Stockholm, Schweden
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Beide waren akademisch gebildete Künstler. Persönlich, da ist sich die moderne Kunstforschung nicht ganz sicher, sind sie sich nie begegnet, auch wenn sie sich zeitgleich mit der Abstraktion in der Kunst beschäftigten und damit in ihrer Zeit außerordentliche Positionen einnahmen. Von Kandinsky weiß man, dass er sich drei Monate in Stockholm aufhielt, da er eine Ausstellung in einer Galerie hatte und sogar unweit von Hilma af Klint wohnte. Die schwedische Presse, nicht durchweg lobend, aber dem Neuen aufgeschlossen, bezeichnete ihn gar als „Symphoniker der Farben“. Doch eine Begegnung mit af Klint ist nirgendwo vermerkt.
Wassily Kandinsky Riegsee - Dorfkirche, 1908, Öl auf Pappe, 33 x 45 cm, © Von der Heydt-Museum Wuppertal, Photo: Antje Zeis-Loi, Medienzentrum Wuppertal |
Ihrer beider Œuvre erfuhr nach ihren Ableben höchst unterschiedliche Werdegänge. Hilma af Klints Gemälde landeten zusammengerollt in Kisten auf dem Dachboden ihres Neffen in Stockholm. Die Malerin selbst hatte verfügt, dass sie erst 20 Jahre nach Ihrem Tod gezeigt werden dürfen. Kandinskys Gemälde hingegen tourten in zahlreichen Ausstellungen um die Welt und gelangten in die Sammlungen der Museen von New York, Tokio, Paris, Basel, München oder eben Düsseldorf. Sein Name und die Abstraktion verschmolzen und begründeten eine Erfolgsgeschichte.
Tatsächlich dauerte es mehr als 70 Jahre nach af Klints Tod, bis die Malerin Berühmtheit erlangte und die Kunstgeschichte sie nicht mehr wegdenken kann.
Irmgard Ruhs-Woitschützke
Die Ausstellung „Hilma af Klint und Wassily Kandinsky. Träume von der Zukunft“, kuratiert von Daniel Birnbaum und Julia Voss, ist bis zum 11.08.2024 zu sehen.
Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen
K20
Grabbeplatz 5
40213 Düsseldorf
Tel. 0211 / 8381-204
Öffnungszeiten
DI – SO 11 – 18 Uhr