rheinische ART
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rheinische ART 02/2024

 KONSUMKULTUR
Sehen, wünschen, kaufen


Konsum und Geldausgeben sind das A und O in unserem Wirtschaftssystem. Ohne Konsum bräche alles zusammen. Konsum als Verführung und Versuchung? Wer wüsste nicht, dass es zu unserem Alltag gehört. Und das eigentlich schon immer!

 

Hans Rudi Erdt Plakat Automobile von Opel, 1911, Farblithografie. Druck: Hollerbaum & Schmidt, Berlin. Bildquelle © Kunstmuseen Krefeld 2024

 

Wichtige Werkzeuge bei der Vermarktung von Produkten sind neben der verbalen Botschaft die Werbegrafik mit Plakaten, Anzeigen, Fotografien und Filmen und allerlei schnickschnack-artige Werbepräsente.
     Es gilt die Devise: Wer wirbt verkauft und wer kauft ist glücklich. Jedenfalls meistens! Dass Werbung früher nicht digital als unablässiger Dauerrausch und an allen Ecken passierte, kann sich heute jedermann denken. Alles hatte schließlich einmal einen analogen Anfang.

 

Hans Rudi Erdt Plakat Elegante Welt, um 1912, Farblithografie. Druck: Hollerbaum & Schmidt, Berlin. Foto Dirk Rose, Bildquelle © Kunstmuseen Krefeld 2024

 

Und den kann man derzeit im Krefelder Kaiser Wilhelm Museum (KWM) bestaunen. In einer fulminanten, detailreichen und farb- wie auch facettenreichen Schau breitet das Museum das beginnende Zeitalter der modernen Werbung und des Massenkonsums aus. Dies unter dem treffenden Titel Die große Verführung. Karl Ernst Osthaus und die Anfänge der Konsumkultur.

 

Josef Hoffmann Karaffe mit zwei Gläsern aus der Serie Var. B, um 1911. Mattiertes Glas, Bronzitdekor. Ausf.: J.& L. Lobmeyr, Wien, um 1914. Bildquelle © Kunstmuseen Krefeld 2024

 

Berta Kiesewetter Beklebezettel Dr. Ötker’s Backpulver, Wiener Werkstätte GmbH, Foto Dirk Rose, Bildquelle © Kunstmuseen Krefeld 2024

 

Die KWM-Ausstellung ehrt mit der Schau das Erbe und die visionäre Arbeit des Hagener Mäzens und Kunstsammlers Karl Ernst Osthaus, der zwischen 1909 und 1919 einen beeindruckenden Bestand vorbildlicher Werbegrafik und Alltagsprodukte zusammentrug.

     Dazu gehörten neben Plakaten und Werbegrafik, Typografie und Fotografien auch Tapeten und Stoffe, Alltagsobjekte aus Glas, Metall, Keramik sowie Luxuswaren aus Silber.

     Das Verblüffende an dieser Materialpräsentation: Werbung, Verführung, Kaufanreize wirken, obwohl über 100 Jahre her, modern, raffiniert, phantasievoll und handwerklich brillant. Es ist kaum vorstellbar, dass der Museumsbesucher in weniger als einer Stunde diesen großartigen Rückblick auf die Konsumkultur der Zwanzigerjahre durchläuft. Diese Design-Ansammlung braucht Zeit! Und die hat sie auch verdient.


Osthaus, soviel sei erklärend angemerkt, arbeitete eng mit führenden künstlerischen Persönlichkeiten seiner Zeit zusammen. Das waren vor allem Henry van de Velde (mehr) , Walter Gropius, Peter Behrens, Richard Riemerschmid, Clara und Fritz Helmuth Ehmcke und die kreativen Köpfe der Wiener Werkstätte GmbH (mehr) wie Mela Köhler, Josef Hoffmann und Koloman Moser sowie die einflussreichen Reklamekünstler Lucian Bernhard und Julius Klinger.

 

Installationsansicht im KWM Die Große Verführung. Karl Ernst Osthaus und die Anfänge der Konsumkultur, Sammlung Deutsches Museum für Kunst und Gewerbe, Kunstmuseum Krefeld. Foto Dirk Rose, Bildquelle © Kunstmuseen Krefeld 2024


Unterstützt von diesen namhaften Persönlichkeiten aus Kunst, Kunstgewerbe und Architektur legte Osthaus jene Grundlagen, auf denen in den 1920er Jahren das Bauhaus in Dessau entstehen konnte.

     Und genau vor einem Jahrhundert gelangte eine der weltweit ersten Designsammlungen an das Krefelder Museum. Es war die legendäre Design-Kollektion von Karl Ernst Osthaus, die er in dem von ihm gegründeten "Deutschen Museum für Kunst in Handel und Gewerbe" (DM) gebündelt und stets weiterentwickelt hatte. Wer diesen Hintergrund kennt, versteht, warum es heute im Krefelder Museum so werbewirksam heißt: „100 Jahre Museum im Museum“.

 

Zeitungswerbung in spezieller Typografie für Malutensilien des KaDeWe (Kaufhaus des Westens), Berlin; Reproduktion an der Ausstellungswand im KWM. Foto © rheinische ART 2024

 

Julius Gipkens Plakat Kaiser Brikett, 1913, Farblithografie. Druck: Hollerbaum & Schmidt. Foto Dirk Rose, Bildquelle © Kunstmuseen Krefeld 2024

 

Die teils kunterbunte Krefelder Schau erscheint wie ein Spiegel der Geschichte der Alltagskultur im beginnenden 20. Jahrhundert, also kurz vor dem Ersten Weltkrieg, betont das KWM. Immer stärker verflochten sich ästhetische Ideale und wirtschaftliche Ziele, sprich Umsatz und Gewinn.

     Die industrielle Massenproduktion veränderte zunehmend das kulturelle Leben. Ästhetisch inszenierte Schaufenster, deren Dekorateure und Gestalterinnen im Wettbewerb miteinander standen, und prächtige Kaufhäuser wie etwa Tietz in Wuppertal (1912) und das KaDeWe in Berlin (1907), luden zum Bummeln und Bestaunen der Auslagen.


Das Shoppen wurde zum neuen Freizeitvergnügen. In den pulsierenden Metropolen wurde die Kultur des Zeigens im öffentlichen Raum auch durch Werbung in vielfältiger Ausführung immer sichtbarer.

     Corporate Identity – was man damals auf Deutsch noch eher als „einheitlicher Unternehmensauftritt“ definierte – sowie moderne Werbestrategien entstanden. Und Weisheiten wie der französische Gourmet-Aphorismus „Sage mir, was du isst, und ich sage dir, wer du bist!“ gingen in den Sprachschatz der gehobenen Gesellschaften ein.

 

Blick in die Ausstellung Repräsentatives und typisches Gründerzeit-Wohnzimmer der Fürsten Anhalt, um 1895. Vorne Tisch aus Palisanderholz und Marmorplatte, Hersteller unbekannt. Erworben 1886 durch den Crefelder Museumsverein. Dahinter: Wohnzimmer-Fotografie © Ullstein Nr. 00822044. Ausstellungsfoto © rheinische ART 2024 

 
Und in der Kunst? Da wechselten die Kunstschaffenden nicht selten zur Gebrauchs- und Produktgestaltung und entwickelten neue Formensprachen. Es gab schlicht gestaltete Etiketten für Lebensmittel, elegant designte Briefbögen und auffällige Zeitungsinserate, die Reformarchitektur veränderte das optische Bild ganzer Stadtteile und die Bürger ließen in ihren Privaträumen neue moderne Formen zu. Das überladen möblierte Wohnzimmer der Gründerzeit war out!

 

Peter Behrens Plakat AEG Metallfaden-lampe / Zirka ein Watt pro Kerze, 1907, Farblithografie. Bildquelle © Kunstmuseen Krefeld 2024

 

Osthaus hatte daran gebührlichen Anteil. Er propagierte die Einheit von Kunst und Leben als wichtiges Ziel und erfand ein neues Konzept. Sein Deutsches Museum (DM) war mobil, tourte durch Deutschland und war darauf angelegt, durch Wanderausstellungen und mit einem speziellen pädagogischen Programm möglichst viel Publikum zu erreichen. Die Kampagne lief unter dem schönen Titel „Geschmackserziehung“!

     Die Kuratorinnen der Ausstellung, Magdalena Holzhey und Ina Ewers-Schultz, weisen auf die bis heute wirkenden Impulse von Osthaus hin. „Mit seinem außergewöhnlichen Konzept stellte das Deutsche Museum schon damals Fragen von großer Relevanz, die bis heute nachwirken: Welche Rolle spielen Kunst und Design im Alltag? Was bedeutete ´guter Geschmack´ und ´richtiger Konsum´?“

     Eine spannende, kurzweilge wie überaus erkenntnisreiche Ausstellung, die nicht nur Wirtschaftshistoriker und Design-Kenner fasziniert. Zur Erbauung empfohlen!
rART/K2M


 Das mobile „Deutsche Museum für Kunst in Handel und Gewerbe“ (DM), wurde von Karl Ernst Osthaus (1874–1921) in Hagen gemeinsam mit dem Deutschen Werkbund (mehr) gegründet. Es gelangte nach dem frühen Tod des Mäzens im Jahre 1923 nach Krefeld. Auf einen Schlag verfügte damit das Kaiser Wilhelm Museum über eine rund 4 000 Exponate umfassende Mustersammlung. In ihr waren Werbegrafik und Alltagsprodukte vereint, die Ansprüchen an ein zeitgemäßes Design genügten. Die Ausstellung ist aus diesem Bestand kuratiert worden.


Die Ausstellung Die große Verführung. Karl Ernst Osthaus und die Anfänge der Konsumkultur kann bis zum 28. April 2024 besucht werden.

Kaiser Wilhelm Museum
Kunstmuseen Krefeld

Joseph-Beuys-Platz 1
47798 Krefeld
Tel. 02151 / 97558-137
Öffnungszeiten
DI – DO, SO 11 – 17 Uhr
FR + SA 11 – 18 Uhr

 

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