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rheinische ART 02/2018

WOODSTOCK DER PAPPNASEN
Trotzdem Alaaf!


Was macht Kriegsangst mit karnevalistischen Umzügen? Können politische Stimmungen und Ereignisse der „Fünften Jahreszeit“ etwas anhaben?

 

Felix Mayr Weiberfastnacht 2017 “Trotzdem Alaaf!“ Am Domhof, Köln Fotografie © Felix Mayr Fotoquelle: Kölnisches Stadtmuseum

 

Durchaus! Der Rosenmontag im Jahre 1991 war zum Beispiel einer jener denkwürdigen Karnevalstage, die vom Krieg überschattet wurden.
     Der Zweite Golfkrieg, der weltweit erste vom Fernsehen teilweise live übertragene Krieg der Geschichte, löste bereits im Winter 1990/91 überall in Deutschland Angst und Betroffenheit aus. Die Menschen gingen auf die Straßen, um gegen die Kampfhandlungen zu demonstrieren.
     Zahlreiche Städte sagten die geplanten Karnevalsumzüge ab. So war es auch in Köln: Nach anfänglichem Zögern verkündete das Festkomitee am 21. Januar 1991, dass der Rosenmontagszug in diesem Jahr nicht stattfinden würde.

 

Anna Lingscheid Rosenmontag 1991 Schildergasse, Köln, 11. 2. 1991 Fotografie © Anna Lingscheid Fotoquelle: Kölnisches Stadtmuseum

 

Was es also offiziell nicht geben durfte, suchte sich aber ein Ventil. Die Kölner feierten nämlich damals „trotzdem“ ihren Fastelovend. Es wurde ein unvergessener, weil spontaner, unorganisierter und ursprünglicher Rosenmontag im Schneetreiben – und eine jecke Demonstration gegen den Golfkrieg.

 

Bernhard D. Sanders Rosenmontag 1991 vor der Severinstorburg Köln, 11. 2. 1991 Fotografie © Bernhard D. Sanders Fotoquelle: Kölnisches Stadtmuseum

 

Stephan Schmitz Rosenmontag 1991 Straßenreiniger, Unter Sachsenhausen, Köln, 11. 2. 1991 Fotografie © Stephan Schmitz Fotoquelle: Kölnisches Stadtmuseum 

 

Rosenmontag 1991 Friedensdemonstranten vermischten sich mit traditionellen Karnevalisten, auf Schildern und Plakaten standen Parolen wie „Net scheeße, bütze“, „Vögeln statt Schießen“ oder „Nit scheeße! Seht Ihr nit, dat do Minsche stonn?“

     Der Westdeutsche Rundfunk (WDR), der mit seinen Studios an der verwaisten Strecke des abgesagten Rosenmontagszuges lag, prägte für das, was die Kölner Volksseele in der City trieb, das einprägsame wie auch treffende Bonmot „Woodstock der Pappnasen“.

 

Mit einer Ausstellung unter dem Titel „Trotzdem Alaaf!“ erinnert das Kölniscbe Stadtmuseum an diesen überaus ungewöhnlichen Karnevalstag. 89 Schwarz-Weiß-Aufnahmen von zwölf Fotografen zeigen die Ereignisse und die Stimmung von 1991.

     Bereits kurz nach dieser kölschen Demonstration für das Leben hatte der Fotograf und Ausstellungsmacher Eusebius Wirdeier bekannte Kölner Text- und Bildautoren aufgerufen, ihre Fotografien und Erinnerungen an diesen Anti-Krieg-Rosenmontag zusammenzutragen.

     Dass daraus unter Mitwirkung von Kabarettist Jürgen Becker entstandene Ausstellungsprojekt wurde bereits 1991 zweimal gezeigt und nun für das Kölnische Stadtmuseum von Eusebius Wirdeier neu kuratiert. „Es war ein karnevalistischer Epochenbruch und Anstoß für eine wichtige und intensive Reformdiskussion innerhalb der traditionellen Karnevalsszene“, fasst Michael Euler-Schmidt, stellvertretender Direktor des Kölnischen Stadtmuseums, die Bedeutung des sogenannten Golfkrieg-Rosenmontags zusammen.

 

Leon Woermann MagnusstraßeRosenmontag, 27. 2. 2017, Fotografie © Leon Woermann Fotoquelle: Kölnisches Stadtmuseum

 

Rosenmontag 2017 Mit 40 Fotografien vom Rosenmontag 2017 schlägt die Ausstellung zudem den Bogen in die heutige Zeit. War der Karneval 1991 überschattet und bestimmt von den Kriegshandlungen am Persischen Golf, stand ein Vierteljahrhundert später die Session 2017 stark unter dem Einfluss der vorausgegangenen terroristischen Anschläge, beispielsweise in Berlin.

 

Felix Mayr „Köln!“, Domplatte, Köln 27. 2. 2017 Fotografie © Felix Mayr Fotoquelle: Kölnisches  Stadtmuseum

 

Die Aufnahmen dokumentieren das ungewohnte Nebeneinander ausgelassener Jecken und polizeilicher Sicherheitsmaßnahmen, aber auch das gemeinsame Feiern von Menschen mit unterschiedlichsten kulturellen Wurzeln. Gleichzeitig werfen die Arbeiten einen kritischen, nachdenklich machenden Blick auf die Parallelität von feiernder Mehrheitsgesellschaft und Zeichen sichtbarer Armut im Straßenbild.

     Ein drittes Thema der Ausstellung liefert eine völlig andere aber ebenso bemerkenswerte Sicht: Es zeigt Fotografien der Rosenmontage 1946 bis 1949, aus einer Zeit also, in der Köln selbst in Trümmern lag. „Auch mit diesen Bildern regt `Trotzdem Alaaf!´ dazu an, über die Ursachen von Krieg und Flucht erneut nachzudenken“, so Kurator Eusebius Wirdeier.

     Kölns Beigeordnete für Kunst und Kultur Susanne Laugwitz-Aulbach über die Schau: „Eusebius Wirdeier zeigt mit dieser Dokumentation, dass der Kölner Karneval auch immer ein Spiegelbild der jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Ereignisse war.“
rART/K2M


 Für Nichtkölner, also Zugezogene oder sogenannte "Immis", eine Übersetzungshilfe: „Net scheeße, bütze“ (Nicht schießen, küssen) „Vögeln statt Schießen“ (alles klar), „Nit scheeße! Seht Ihr nit, dat do Minsche stonn?“ (Nicht schießen, seht ihr nicht, dass dort Menschen stehen).


 In der Ausstellung vertretene Fotografinnen/ Fotografen
Rosenmontag 1991: Rolf Georg Bitsch (✝2009), Anna Lingscheid, Sigrid Martin, Kurt Oxenius, Jean-Pierre Plisson, Christel Plöthner, Bernhard D. Sanders, Stephan Schmitz, Sepp Wagner, Manfred Wegener, Karl-Heinz Zielinske, Eusebius Wirdeier
Rosenmontag 2017: Juliane Giersch, Felix Mayr, Kamil Rachwał, Leon Woermann
Rosenmontag 1946-1949: Hermann Claasen (mehr), Peter Fischer.


Kölnisches Stadtmuseum
Zeughausstraße 1-3
50667 Köln
Tel 0221 - 221-22398
Öffnungszeiten
DI 10 - 20 Uhr
MI - SO 10 - 17 Uhr
Jeden ersten Donnerstag im Monat 10 - 22 Uhr

 

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