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rheinische ART 01/2019

Archiv 2019

BAUHAUS-JUBILÄUM
Heimatkunde


Als der ambitionierte Breitscheider Motorradproduzent August Wurring 1925 sein Krad AWD S 1100 für ein Foto mit seiner späteren Ehefrau Johanna bereitstellte, konnte er nicht ahnen, dass diese Bild fast ein Jahrhundert später eine Ausstellung schmücken würde.

 

Johanna Tapernon auf einer AWD S 1100, Düsseldorf Neusser Straße 1925. Urheber/ Fotograf unbekannt. Bildrechte AWD-Museum, Thomas von der Bey. Postkarte zur Ausstellung „Weimar im Westen“ © LWL/LVR 2019

 

Eigentlich ist diese Schwarz-Weiß-Aufnahme mit der dynamischen und offenbar emanzipierten, technikaffinen Rheinländerin im Sitz mehr: Es ist eine Art Fotoikone.

     Denn wie kaum ein anderes Bilddokument symbolisiert die „Dame auf dem Feuerstuhl“ den Aufbruch in die Moderne, den Wandel im Lebensstil und die sich anbahnende neue Rolle der Frau in der Gesellschaft. Diese Fotografie ist nur eines von zahlreichen bislang unbekannten Bildern aus der Weimarer Republik, also aus den Jahren 1919 bis 1933, die aus den beiden preußischen Provinzen Rheinland und Westfalen-Lippe stammen.

 

Info-Box, Ausschnittfoto, Collage u.a. mit Denkmal von Paul Hindenburg des Kubus 4 (seitlich links). Foto © LWL 2019

 

Wahlkompass vor dem Eingang zu Kubus 4. Foto © LWL 2019

Zu sehen sind diese Zeitzeugnisse, einschließlich spektakulärer neuer Filmfunde, in der bemerkenswerten multimedialen Wanderausstellung „Weimar im Westen. Republik der Gegensätze“, die soeben im Landtag von Düsseldorf ihre Premiere hatte.

     Die Schau ist die erste umfangreiche Kooperation der zwei NRW-Landschaftsverbände. Dies betonten die Kulturdezernentinnen Milena Karabaic vom Landschaftsverband Rheinland (LVR) und Barbara Rüschoff-Parzinger vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) bei der Eröffnung.

     Die Ausstellung ist Teil des Gedenkprojektes „100 Jahre Bauhaus im Westen“, dem 40 lokale und regionale Partner angehören und die es in dieser Größenordnung und Reichweite bislang noch nicht gab.


Die Weimarer Republik war Deutschlands erste Demokratie, ihre demokratische Verfassung von 1919 galt als die modernste der Welt. Zugleich war es eine Zeit voller Gegensätze. Politische Neuanfänge, soziale Fortschritte und kultureller Aufbruch gingen mit gesellschaftlichen Konflikten und extremer Gewalt einher.

     Die Ausstellung fragt: Wie kann man sich diese turbulente Zeit vorstellen? Wie verlief sie im Rheinland und in Westfalen-Lippe?

 

Es ist so gut wie selbstverständlich, dass das heutige NRW im Rahmen des Bauhaus-Jubiläums nicht nur auf die interdisziplinäre Kunstschule Bauhaus in Weimar und Dessau schaut. Wobei der Blick dann sofort auf die regionalen Protagonisten Karl-Ernst Osthaus und Henry van der Felde in Hagen, Peter Behrens in Düsseldorf und Walter Gropius und die Kölner Werkbundausstellung fällt.

     Vielmehr bringt die Ausstellung all jene wichtigen Impulse, Ideen und Entwicklungen in Erinnerung, die aus dem Rheinland und Westfalen-Lippe kamen und die junge Republik beeinflussten und prägten.

 

Kubeninnensicht auf Fernsehmonitor (Bild: Interview mit Ranga Yogeshwar). Foto © LWL 2019

 

Durchaus neu ist also, was derzeit im NRW-Landtag zu sehen ist. Denn die materialreiche Schau geht einen technisch wie inhaltlich ungewöhnlichen Weg. Sie fokussiert sich multimedial auf Politik und Gesellschaft zwischen Rhein und Weser, und dies nicht „trocken lehrreich“.

     Präsentationräume sind vier große und begehbare Info-Boxen, in denen der Besucher wechselnd mit Fotos, Filmen und Interviews in die erste Demokratie Deutschlands und die ereignisreichen Zwischenkriegsjahre eintauchen kann.

 

Gezeigt wird die Weimarer Republik als ein Staatsgebilde der Gegensätze, als ein Land mit demokratischen Rechten und Freiheiten, dessen Zerbrechlichkeit und Demontagegefahr unübersehbar war.

     Vor allem macht die Schau deutlich: Es war nicht alles auf Weimar, Dessau und Berlin konzentriert. Auch Wuppertal, Dortmund und Bonn hatten eine „Weimarer Zeit“ zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus! Wie unter einem Brennglas werden Erfolge und Probleme der Weimarer Republik in den Regionen Rheinland und Westfalen sichtbar.


Die Ausstellung ist eine eher klare und schonungslose Illustration jener Jahre, vor allem liefert sie „kein Weimar mit Goldrand“. Will sagen: So glänzend, wie oft dargestellt, waren die Zwanziger längst nicht. Denn sowohl im Rheinland als auch in Westfalen-Lippe erhielten nationalistisch-völkische Vereine wie anderswo in der Republik wachsenden Zulauf, wenngleich der Westen insgesamt politisch lange als Inbegriff der „Weimarer Koalition“ galt.

     Die NSDAP schließlich, daran erinnert die Schau ebenfalls, ging bei den Landtagswahl in Lippe im Januar 1933 als stärkste Kraft hervor. Es war, wie die Ausstellungsmacher betonen, der „Anfang vom Ende der jungen Republik“.

  

Ansicht von Kuben in der Ausstellung im Landtag NRW. Begehbare Kinowürfel der Ausstellung „Weimar im Westen“ in der Wandelhalle des Landtags NRW. Foto © rheinische ART 2019

 

Den Kuratoren ist es gelungen, eine spannende und enorm facettenreiche Sicht auf das regionale Geschehen in den beiden ehemaligen preußischen Provinzen jener Zeit zu werfen.

     Wer erinnert schon, dass 1919 Bergarbeiter die sofortige Sozialisierung des rheinisch-westfälischen Bergbaus verlangten? Dass fast 80.000 Bergleute an der westlichen Ruhr in den Streik traten? Oder dass der Wohlfahrtsstaat mit seinen sozialen Sicherungen in der Weimarer Republik entstand und nicht in der Bundesrepublik ab 1949?

     Eine von vielen anderen interessanten Erkenntnissen: der frühe Massentourismus als Antwort auf das geänderte Freizeitverhalten in allen Gesellschaftsschichten. Im rheinisch-westfälischen Raum ging es per Bus in die „Sommerfrische“, ins Sauerland, Siegerland, nach Wittgenstein und in die Eifel, an den Möhnesee und in die Kurbäder, organisiert von den ersten kommerziellen Reisebüros. Raus aus dem grauen Alltag – die Republik machte es möglich!


Leicht wird im Rahmen der Bauhaus-Feierlichkeiten übersehen, dass der Westen „auch ein Laboratorium für zahlreiche gesellschaftliche, kulturelle und technische Experimente und Innovationen war“, wie es bei der Eröffnung hieß. So etwa im Bereich des sozialen Wohnungsbaus, im Verkehrswesen, bei der Entwicklung neuer Medien wie dem Radio oder in der Bildungspolitik und der Kunst.
rART/cpw


„Im Grunde kann man die Weimarer Republik als eine Art Motor der Pluralisierung verstehen. Viele dieser Ideen, die wir in der Weimarer Republik beobachten können, sind nicht neu, werden nicht in der Weimarer Republik erfunden. Aber sie kommen hier erst wirklich zur Wirkung.“ Prof. Dr. Malte Thießen, Historiker (Münster)


Der Besuch der Ausstellung kann auch als eine Art „Appetizer“ verstanden werden. Wer sich den Filmen und Kommentaren in Ruhe zu Hause widmen möchte, kann dies über die Online-Ausstellung tun: www.weimar-im-westen.de/


Speziell für Schulen (Sekundarstufe I und II) wurde ein Arbeitsheft mit dem Titel „Ein neues Zeitalter bricht an“ entwickelt. Es ist über die beiden Landschaftsverbände zu erhalten.

 

Literaturhinweis:
Regina Göschl, Julia Paulus (Hgg.) Weimar im Westen. Republik der Gegensätze. Aschendorff Verlag Münster, 2019, 208 Seiten, umfangreich bebildert, kart., ISBN 978-3-402-13353-8, Preis 16.90 EUR 

 

Die Ausstellung „Weimar im Westen. Republik der Gegensätze“ wird in Düsseldorf bis zum 10. Februar 2019 gezeigt.
Landtag Nordrhein-Westfalen
Platz des Landtags 1
40221 Düsseldorf
Öffnungszeiten
SA, SO 11.00 bis 17.00 Uhr
Genaue Angaben unter www.landtag.nrw.de

 


Im Laufe des Jahres 2019 wird die Ausstellung an sieben weiteren Orten in NRW präsentiert.


Lüdenscheid Geschichtsmuseum der Stadt 17.02. bis 27.03.2019
Köln LVR-Zentralverwaltung Landeshaus 01.04. bis 15.05.2019
Dortmund Museum für Kunst und Kulturgeschichte 19.05. bis 23.06.2019
Bielefeld Stadtarchiv 27.06. bis 27.07.2019
Schleiden Forum Vogelsang 01.08. bis 16.09.2019
Minden Museum 21.09. bis 26.10.2019
Münster LWL-Landeshaus 30.10. bis 21.11.2019

 

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