rheinische ART
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rheinische ART 04/2015

Archiv 2015

WURMS SURREALISTISCHER ALLTAG

Performer & Verformer

 

Die Motive, die Erwin Wurm für seine Kunst wählt, sind meist Objekte der Alltagswelt. Doch im Zuge des künstlerischen Prozesses werden sie verfremdet oder in völlig ungewohnter Weise verwendet. Nichts ist vor dem österreichischen Bildhauer sicher, alles kann zur Skulptur werden und nichts ist so, wie es scheint.

 

"Bin ich immer noch ein Haus?" Begehbare und sprechende Plastik: Erwin Wurm Fat House, 2003/2011, Iron, Wood, Polysterene, Aluminium, Electrical Installation; 540 x 1000 x 700 cm; Foto © Jesse Willems, Courtesy Galerie Thaddaeus Ropac, Salzburg, Paris

 

Erwin Wurm wird gegenwärtig zu den erfolgreichsten zeitgenössischen Künstlern gerechnet. Die Ansätze seines Schaffens sind vielschichtig und entsprechend vielfältig sind die Ausdrucksformen seines Werks.
      Neben Skulpturen umfasst sein Œuvre Filme, Fotografien, Zeichnungen und Performances, wobei er selbst zusammenfassend feststellt, dass es ihm darum gehe, den "Alltag aus einer anderen Perspektive zu zeigen". In Wuppertal präsentiert der Verformer derzeit Häuser und fragt: "Am I Still A House?"

 

Erwin Wurm Melting house (Schmelzendes Haus), 2009, Holz, Styrofoam, Resin, Farbe. Foto Skulpturenpark Waldfrieden © VG Bild-Kunst, Bonn 2015

 

Deformationen Er möchte, so der 60-Jährige, “Körper in andere Körper transformieren.” Und das macht er bis ins Absurde gehend. Wurm deformiert alles Erdenkliche: Autos, Häuser, Kleidungsstücke oder gar menschliche Figuren. Die Ergebnisse dieses Schaffens wirken immer überraschend, manchmal albern oder auch grotesk.

     Man kann diese künstlerischen Verformungen natürlich auch als eine neue Definition von Skulptur deuten. Die Swinging-Sixties mit Stars wie Claes Oldenburg und ihrem aus dem Sinnzusammenhang gerissenen Alltagskrempel waren schließlich vor einem halben Jahrhundert ähnlich aberwitzig, närrisch, sinnwidrig, aber - stilbildend!

     Erwin Wurm jedenfalls gilt zurzeit als derjenige Kreative, der mit seinen mal merkwürdigen, irren wie einfach spielerisch-humorvollen Arbeiten den Begriff der Skulptur um interaktive, soziale und zeitliche Aspekte erweitert hat.

 

Mit deformierten Häusern und Autos wurde Erwin Wurm berühmt. Das „Schmale Haus" entstand 2010 und wurde 2011 in Venedig gezeigt.

Erwin Wurm Narrow House Installationansicht, 2011, 54th Venice Biennale, Foto © Getty Images

 

Unkonventionell Im Wuppertaler Skulpturenpark Waldfrieden sind derzeit einige Arbeiten Wurms zu sehen. Die Schau „Am I Still A House?“ bedient sich ausschließlich des Motives “Haus”, darunter die begehbare Plastik Fat House, ein Landhaus in Originalgröße, das mit einer menschenhaften Fettleibigkeit ausgestattet ist.

     Mit seinen Fat-Sculptures - massige und verfettete, aufgedunsene (kleinbürgerliche?) Statussymbole des Wohlstands - liefert der Bildhauer bissige, zynische und oft auch scharfsinnige Kommentare zur herrschenden Konsumgesellschaft. Wie der Herr, so´s Gescherr? Ein Video im Inneren der Skulptur zeigt eine Computeranimation des sprechenden Hauses, das über existentielle Fragen monologisiert.

     Ebenso wie Fat House sind auch die weiteren Exponate verformt: entweder sind sie fett und adipös, zerklüftet, verzerrt, schmelzen dahin oder zeigen Spuren gewalttätiger Bearbeitung. Diese Verfremdung verleiht den Werken ihre skulpturale Qualität und führt die Wahrnehmung in einen Grenzbereich, wo die spontane Identifizierung des Kunstwerks mit dem banalen Motiv "Haus" scheitert. Stattdessen wird die abstrakte, formale Qualität des Objektes in den Blickpunkt gerückt.

 

Erwin Wurm Divert, 2012 Foto © Sueleyman Kayaalp

 

Œuvre Seit etwa 1980 arbeitet Wurm als freier Künstler. Zunächst trat er mit bunten, futuristischen Holz-Blech-Skulpturen an die Öffentlichkeit. Es folgten seine Staubobjekte, Werke, die lediglich Umrisse verschwundener Dinge im Staub zeigten und Pulloverarbeiten.

     Der Durchbruch gelang Wurm mit der Erfindung der One Minute Sculptures. In Sekunden wird aus einem Museumsgast, der Handlungsanweisungen des Künstlers folgt und sonderbare Haltungen einnimmt, eine skurrile „Sofortskulptur“. Gurken zwischen den Zehen, Kopf im Mülleimer, alles ist möglich. So kann jeder zu Kunst werden, kann sich selbst ausstellen, schnell, humorvoll, gefahrlos - und das für eine Minute, dokumentiert von einer Kamera.

     „Skulpturen der Peinlichkeit“ nennt Erwin Wurm diese Schöpfungen. Hier ist wie in vielen anderen Kunstwerken des Meisters die Vergänglichkeit das Leitmotiv. In Wuppertal allerdings darf der Besucher weder hoffen noch muss er fürchten, in Sekunden Teil eines Wurm-Werkes zu werden.

 

Erwin Wurm Abstract Sculptures (Kiss), 2013, bronze, paint, 79 x 42 x 45 cm,  Foto © Lehmann Maupin Gallery New York 2015

 

Wahnwitzkünstler hat man ihn, den derzeit erfolgreichsten Vertreter der österreichischen Gegenwartskunst, tituliert. Denn sein Hang zu schrägen Nummern ist Programm, manifestiert etwa in den Abstract Sculptures, die er zum Beispiel 2014 im Duisburger Lehmbruck Museum unter anderem mit seinen küssenden "Bronze-Würstchen" präsentierte. Vier Jahre vorher zeigte das Kunstmuseum Bonn eine konzentrierte Werksauswahl des examinierten Kunsterziehers aus der Steiermark.

     Vielleicht nimmt er nicht alles so ernst, sich selbst eingeschlossen. Seinen Namen mag der Bildhauer, Fotograf und Plastiker nicht, wie er vor Jahren der ZEIT erklärte, ja er finde ihn geradezu „bescheuert“, aber es sei „immer noch besser, als Ficker zu heißen.“ Und der Feuilletonist fragte besorgt: Ist Erwin Wurm bei Sinnen? Oder ist die Welt nur noch Unsinn?

     Doch es ist im Leben manches anders, als es scheint. Erwin Wurm ist kein oberflächlicher Spaßvogel, seine Kunst zeichnet sich durch untergründigen Humor aus. Und hinter seinen optischen Absurditäten verbirgt sich oft Kritik an Perfektionismus und herrschendem Konsumwahn. Wurm ist ein Gesellschaftskritiker. Einer mit Rezept, und das lautet: Mit Humor könne man aus einer anderen Perspektive auf die Welt schauen.

 

Abgehangen  Zeitgleich zur Wuppertaler Schau ist auch im Wolfsburger Kunstmuseum der Wurm drin. „Erwin Wurm. Fichte“ lautet dort der Expositionstitel, es ist eine Anspielung auf den deutschen Philosophen und Romantik-Verfechter Johann Gottlieb Fichte (1762-1814, "Reden an die deutsche Nation"). Doch wer erwartet, Denkerstirn und Hochgeistiges anzutreffen, wird enttäuscht.

 

Der zur Wurst verformte VW Bulli. Erwin Wurm Curry Bus, 2015, VW t2b, Mixed Media, 220x250x550 cm, Courtesy Studio Erwin Wurm, Foto Marek Kruszewski © VG Bild-Kunst, Bonn 2015

 

Passend zur Volkswagenstadt ziert vor dem Eingang ein zum Curry Bus verformter VW-Bulli als Außenskulptur die Schau, innen finden sich 45, zur Hälfte neue, Wurm-Werke. Als Rauminstallation irritiert ein voluminöser „Hängewald“, nicht etwa aus Fichten sondern aus haushohen Nordmanntannen, kopfüber von der Decke baumelnd. Ein echter Wurm also - verwirrend, absurd, grotest. Oder doch philosophisch?

     Der Wald, so kommentiert das Museum, symbolisiere Romantik, Freiheitsdrang, Auflehnung gegen Konventionen und Regeln und Wurm wolle die Belanglosigkeit der Existenz zeigen. Des Meisters Statement: Letztendlich werden wir scheitern. "Wer sich damit zurechtfindet, hat das große Los gezogen."

 

Für seine Ausstellung in Wolfsburg hat der österreichische Bildhauer das Kunstmuseum in einen Wald verwandelt. Erwin Wurm  Fichte  Installationsansicht Kunstmuseum Wolfsburg, Foto Marek Kruszewski, © VG Bild-Kunst, Bonn 2015


Erwin Wurm (*1954, Bruck an der Mur/ Steiermark) studierte an der Universität Mozarteum Salzburg, besuchte danach die Hochschule für Angewandte Kunst und die Akademie der bildenden Künste in Wien. Von 2002 bis 2010 lehrte er als Professor für Bildhauerei/Plastik und Multimedia an der Universität für Angewandte Kunst Wien. 2013 wurde er mit dem Großen Österreichischen Staatspreis ausgezeichnet. Er gehört mit der Medienkünstlerin Valie Export (*1940), bürgerlich Waltraud Stockinger (mehr) und dem Surrealisten Arnulf Rainer (*1929) zu den wichtigsten österreichischen Gegenwartskünstlern.

Claus P. Woitschützke

 

Die Ausstellung “Am I Still A House” kann bis zum 12. Juli 2015 besucht werden.                

Skulpturenpark Waldfrieden
Hirschstraße 12
42285 Wuppertal
Tel. 0202 – 478 98120
Fax 0202 – 478 981220

Öffnungszeiten                                                                                                                        DI – SO 10-19 Uhr

 

Die Ausstellung “Erwin Wurm. Fichte” wird bis zum 13. September 2015 gezeigt.

Kunstmuseum Wolfsburg
Hollerplatz 1
38440 Wolfsburg
Tel. 05361 - 266 90
Fax 05361 - 266 966

Öffnungszeiten

DI - SO 11-18 Uhr

 

 

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