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rheinische ART 10/2015

Archiv 2015

TRISTAN TZARA IN STRASSBURG

„Das skrupellose Genie“


So wurde einmal der Dichter und Kunsttheoretiker Tristan Tzara von seinem Weggefährten, dem Arzt, Künstler und Dada-Historiker Richard Huelsenbeck, charakterisiert.  Tzara war  alles Mögliche: Schriftsteller, Kunstsammler, Dada-Mitbegründer und -Organisator. Nur eines nicht, ein bildender Künstler.

 

Man Ray Tristan Tzara um 1924. Der Mann mit dem Monokel war ein grandioser Selbstinszenierer und ließ sich lebenslang von festen künstlerischen und politischen Überzeugungen leiten. Foto © Man Ray, Radnitzky Paris, Centre Pompidou – Musée national d´art modern – Centre de création industrielle © Man Ray Trust/ ADAGP Paris 2014. Photo © Centre Pompidou, MNAM-CCI, Dist. RMN-Grand Palais/ Guy Carrad/ MAMCS Strasbourg

 

Das Straßburger Museum für moderne und zeitgenössische Kunst (MAMCS) zeigt derzeit, zehn Jahre nach der großen Dada-Exposition im Centre Pompidou Paris, mit „Tristan Tzara, der approximative Mensch. Dichter, Essayist, Sammler“ eine Schau über das Wirken einer der Hauptfiguren dieser Anti-Kunst-Bewegung.

     Die Kuratoren wählten den Titel in Anlehnung an eine surrealistische Veröffentlichung von Tzara (L´homme approximatif) aus dem Jahre 1931. Es ist die erste große Schau in Frankreich, die dem gebürtigen Rumänen Samuel Rosenstock - der unter dem Pseudonym Tristan Tzara Weltruhm erlangte - gewidmet ist und in chronologischer Gliederung seinen Einfluss zeigt, den er, der Künstler des Wortes und der Geste, auf die Kreativen seiner Zeit ausübte.

 

Robert Delaunay Portrait Tristan Tzara, 1923. Foto © MAMCS Strasbourg

 

Marcel Janco Portrait von Tristan Tzara, 1919. Janco war der Jugendfreund von Tzara und ging mit ihm nach Zürich. Der rumänisch-israelische Schriftsteller, Künstler und Architekt gehörte zu den Dada-Begründern. Foto © MAMCS Strasbourg

 

Tristan Tzara (1895-1963) hinterließ ein dichtes Œuvre mit Lyrik, Essays und kunstkritischen Abhandlungen. Die größten Künstler seiner Zeit, mit denen er auch durchweg befreundet war, illustrierten seine Schriften. Die Ausstellung zeigt Arbeiten jener Kreativen, die einen Bezug zu Tzara´s Gedankenwelt hatten.

     Und das waren zahlreiche Kunstgrößen. So sind Werke von Arp, Brancusi, Calder und Chirico über Dalí, Delaunay, Max Ernst, Duchamp, Giacometti, Klee, Man Ray, Matisse und Picasso bis Schwitters, Tanguy und Zadkine zu sehen, um nur einige Namen stellvertretend zu nennen.

     Die Kuratoren haben 450 Exponate aus dem künstlerischen Umkreis von Tristan Tzara versammelt, ferner wird eine Auswahl seiner Kollektion außereuropäischer Kunst (Afrika, Ozeanien, Mesoamerika) und Art-Brut-Werke präsentiert, begleitet von einer ausführlichen Dokumentation.

 

Dada-Kunst Der Name Tristan Tzara ist untrennbar mit der internationalen Dada-Bewegung verbunden. Schließlich zählt der Dichter zu den maßgeblichen Gründern. Dada entstand zu Beginn des Ersten Weltkriegs in Zürich, dem damaligen neutralen Sammel- und Fluchtpunkt vieler emigrierter Künstler (mehr). Doch das Lebenswerk des Dada-Pioniers Tzara, das für spätere Generationen sehr prägend geworden sei, wäre nicht hinreichend bekannt, merkt das Museum in Straßburg an. Die Exposition soll hier Abhilfe schaffen, wie überhaupt das Dada-Phänomen noch einiger Klärungen bedarf...

     Etwa der, warum die Bewegung mit dem eigentlich banalen Begriff Dada belegt wurde. Mindestens vier Theorien finden sich diesbezüglich. Die populärste - aber nicht verbürgte - leitet die Namensschöpfung vom zufällig in einem Wörterbuch gefundenen kindersprachlichen „Dada“ im deutschen und französischen Sprachschatz ab.

     Eine andere wiederum sieht ein Haarshampoo namens „DADA“ als Anregung. Auch eine erotische Position im Zusammenhang mit der Translation Dada = Steckenpferd muss gelegentlich herhalten. Schließlich wird als eine weitere Variante das rumänische „Da Da“ für übersetzt „Ja, Ja“ noch ins Spiel gebracht.

     Was auch immer es bedeuten sollte - vielleicht sollte es aber auch nichts bedeuten -, die Dadaisten selbst versteiften sich darauf, dass ihr Dada(ismus) zumindest inhaltlich nicht definierbar sei.

 

 

Kölner Dada-Plakat aus dem Jahre 1920:
"Dada ist für Ruhe und Orden!"

 

Dadaismus-Trio Mit dem gebürtigen rheinischen Künstler Max Ernst (rechts) und dem Maler und Bildhauer Hans Arp (links), der ab 1919 in Köln lebte und mit Ernst die Bewegung Dada Köln gründete, verband Tristan Tzara eine lebenslange Freundschaft. Foto © MAMCS Strasbourg

 

Unsinn oder Sinn? Auch wenn er nicht definierbar war, so gab es in einem Punkt keine Zweifel: „Dada war eine Bombe“, wie es der Surrealist Max Ernst (mehr) in den Fünfzigerjahren rückblickend erklärte. Dada war eine Revolte!

     Und zwar gegen die herrschende Kunst, gegen das klassische Wertesystem - totaler Individualismus war das Ziel. Die Gründer waren Provokateure, Rebellen, Aufmüpfige, durchweg Pazifisten und in die Schweiz emigrierte Kriegsgegner, auf jeden Fall Bürgerschrecks, deren Ideen sich vom ästhetischen, juxhaften, absurden „Zürich-Dada“ über ganz Europa und später global ausbreiteten und zu speziellen Ausprägungen führten.

     So etwa dem literarisch geprägten Paris-Dada, dem Kölner Dada mit Max Ernst, und ab 1918 dem satirisch-sozialkritischen Berliner-Dada von Richard Huelsenbeck, der junge Künstler wie Raoul Hausmann, Hannah Höch, George Grosz und John Heartfield (Helmut Herzfelde) anzog. Es gab auch New York-Dada, Tokio-Dada, Dada-Russland und Dada-Belgien, eine globale Bewegung also, geboren im zweiten Weltkriegsjahr in einer Zürcher Kneipe als Protest gegen den Krieg, der sich in irrsinnigen Materialschlachten erschöpfte.

     Hans Arp, ebenfalls Dada-Mitbegründer, kommentiert 1958 im Rahmen einer Düsseldorfer Dada-Schau des örtlichen Kunstvereins: „Die Dadaisten waren, sind und werden stets gegen den Krieg sein.“

 

Extravaganter Blödsinn? Dada war Anti-Kunst, unklassifizierbar, unkalkulierbar, willkürlich und durch Zufall gesteuerter künstlerischer Ausdruck in Wort- und Bildaktionen. Die Straßburger Kuratoren sehen in den Dadaisten Künstler, die mit Nonsens auf den Wahnsinn eines nicht enden wollenden Krieges reagierten.

     Tristan Tzara gehörte zu den Protagonisten. Sein Lebensweg und -werk waren so impulsiv, rasant und turbulent wie sein Charakter. Schon als 16-Jähriger, da hieß er noch Samuel Rosenstock und publizierte auch unter diesem Geburtsnamen, brachte er 1912 in seiner Heimatstadt Moineşti mit seinem Freund Marcel Janco die Lyrik-Zeitschrift „Simbolu“ heraus. Bereits da habe der junge Mann im Schreiben „eine Möglichkeit gefunden…, überholte Kunstformen ebenso anzuprangern, wie die Absurdität einer im Chaos versinkenden Welt“, schreibt das Museum in seiner Tzara-Vita.

 

Marcel Slodki Plakat zur Eröffnung des Cabaret Voltaire in Zürich, Spiegelgasse 1. Lithografie, 1916, Kunsthaus Zürich. Bei den Dada-Abenden im Kabarett vermischten die Akteure Sprachen und Gattungen (Dichtkunst, bildende Kunst, Tanz, Musik, Gesang, Theater). Das Publikum reagiert oft sprachlos, wenn nicht erzürnt.

 

Hugo Ball Karawane. Expressionistisches Dada-Lautgedicht von 1917. Bei Balls semantisch „sinnlosem“ Lautwerk steht, wie in anderen Gedichten des Verfassers, der Klang im Mittelpunkt. In die moderne Musik gingen derartige Dada-Werke später ein. So vertonte 1979 die US-New-Wave-Band „Talking Heads“ teilweise Arbeiten Balls aus seiner Zürcher Zeit.

 

Cabaret Voltaire Im Herbst 1915 ging Rosenstock nach Zürich, um Philosophie und Literatur zu studieren. Er nannte sich nunmehr Tristan Tzara. Wobei Komponenten des Namens Bezüge zu Wagners Musikdrama Tristan & Isolde und Nietzsches Philosophenwerk „Also sprach Zarathustra“ nahelegen.

     Ein Jahr später gründete sich die Dada-Bewegung als künstlerische und literarische Kooperation von sechs Kreativen: neben Tzara waren dies der Schriftsteller und Lautgedicht-Pionier Hugo Ball, die Kabarettistin und Emigrantin Emmy Hennings, der Arzt und Psychoanalytiker Richard Huelsenbeck - alle drei aus Deutschland - Marcel Janco und der deutsch-französische Maler, Bildhauer und Lyriker Hans Arp.

     Spontaneität von Wort und Geste trieb Tzara im Cabaret Voltaire, der Zürcher Gründerkneipe, die oft als „Wiege des Dadaismus“ bezeichnet wird, auf die Spitze. In den radauhaften Aufführungen brillierte der junge Mann unter anderem mit seiner Erfindung, dem Simultangedicht. Ab 1919 in Paris fand Tristan Tzara dort Zugang zum Kreis um den Literaten und Maler Francis Picabia und anderer Künstler, die sich damals noch nicht als Surrealisten bezeichneten – Louis Aragon, André Breton, Philippe Soupault.

     Mit ihnen verband Tzara einen an Brüchen und Versöhnungen reichen Lebensabschnitt. Die im selben Jahr etablierte Pariser Dada-Gruppe um Picabia löste sich nach gut drei Jahren im Streit wieder auf, aus ihr erwuchsen Monate später die ersten Surrealismus-Akteure.

Tzara heiratete 1925 die schwedische Künstlerin und Kunstkritikerin Greta Knutson. Die Familie lebte in einer vom Wiener Architekten Adolf Loos im Viertel Montmartre gebauten repräsentativen Villa. Um 1929 endete Tzaras wildes, rastloses Leben, der Dichter widmete sich ganz seinen Veröffentlichungen.

     So schloss er sich 1934 der Association des Écrivains et Artistes Révolutionnaires an und unterstützte im Spanischen Bürgerkrieg die Republikaner. Der Picasso-Fan arbeitete für Surrealismus-Zeitschriften und beteiligte sich an den Debatten der neuen surrealistischen Künstlerkreise.

 

Während der deutschen Besatzung Frankreichs ging Tzara in den Untergrund und war in der Résistance aktiv. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde er französischer Staatsbürger und trat 1947 der Kommunistischen Partei des Landes bei. Gleichwohl verurteilte er 1956 den Einmarsch der Sowjets in Ungarn.


Im Algerienkriegs zählte Tzara zu den Unterzeichnern des Manifestes der 121. In der im Jahr 1960 in der Zeitschrift Vérité-Liberté veröffentlichten Deklaration stellten sich 121 Intellektuelle gegen die seinerzeitige Algerienpolitik Frankreichs. Namhafte Gegner waren unter anderen Françoise Sagan, Simone de Beauvoir, François Truffaut, Jean-Paul Sartre und Norman Mailer.

Klaus M. Martinetz

 

Die Ausstellung „Tristan Tzara, der approximative Mensch.
Dichter, Essayist, Sammler“ wird bis zum 17. Januar 2016 gezeigt.
Museum für moderne und zeitgenössische Kunst Straßburg (MAMCS)
1, Place Hans-Jean-Arp
Straßburg
Tel. +33/(0)3 68 98 51 55
Öffnungszeiten
DI - SO 10 - 18 Uhr

 

 

 

 

 

 

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