Archiv 2015
JÖRG IMMENDORFF
„Café Deutschland“
Sechs Jahre seines Schaffens machten ihn fast schlagartig weltberühmt. Jörg Immendorff (1945-2007), Hauptschullehrer, Kunsterzieher und -professor, Barbesitzer, Mao-Verehrer, Dadaist ... der vielleicht politischste aller westdeutschen Maler und Bildhauer seiner Zeit, war lange der Star von Boulevard und Feuilleton. Die Figur des "Affen" wurde quasi sein Synonym, doch Immendorff, der auch den Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder portraitierte, konnte auch anders.
Jörg Immendorff Café Deutschland VI - Caféprobe, 1980, Kunstharz auf Leinwand, 280 x 350 cm. Foto ©Michael Werner Kunsthandel |
Populär machte ihn, den beamteten Malerfürsten, einerseits sein exzessiver Lebensstil, der über die Jahre zwischen Fluxus und Luxus, St. Pauli-Kneipe, Lederdress und nobler Anzugwerbung wechselte. Andererseits seine Kunst, mit der er, etwa mit der Bildserie "Café Deutschland" (1977-1982) Weltruhm erlangte.
Immendorffs Kernthema war in den Siebzigern die deutsche Vergangenheit und der Ost-West-Konflikt: deutsche Teilung, Berliner Mauer, Schießbefehl, atomares Auf- und Wettrüsten. Seine Arbeiten hatten Sprengkraft. Er galt als der unbequemste, zugleich auch als inspirierendster Vertreter der deutschen Kunstszene jener Jahre. Das doppelte Deutschland war ihm unerträglich. Rückblickend befand er: „Ich war .. der Einzige, der beinahe exzessiv gegen die Teilung angemalt hat.''
Der Kölner Kunsthandel Michael Werner zeigt derzeit in einer Einzelpräsentation Werke des Malers. Die Ausstellung, die zuvor in Werners New Yorker Galerie zu sehen war, ist die erste im Kölner Haus seit dem Tod des Künstlers und ein Rückblick auf die zentrale „Café Deutschland“-Serie, die in dieser Zusammenstellung lange nicht mehr zu sehen war.
Neuer Realismus Bis Ende der Sechzigerjahre war der Beuys-Schüler Immendorff eher im Polit-Fluxus und im Postdadaismus zu verorten. Impulse für eine neue Kunst-Sichtweise erhielt er durch die Begegnungen mit Renato Guttusos monumentalen Werken Das Begräbnis Togliattis (1972) auf der Biennale Venedig 1976 und dem Bild Caffé Greco (1976) bei der Retrospektive in der Kölner Kunsthalle 1977. Beide Arbeiten führten ihm eine neue Auffassung des künstlerischen Realismus vor Augen.
Diesem stand er zweifellos auch kritisch gegenüber, doch führte die Auseinandersetzung zu einer neuen Werkreihe, die ihn über die besagten Jahre beschäftigen sollte. Mit dem mehrteiligen und großformatigen Zyklus „Café Deutschland“ gelang Immendorff, so Siegfried Gohr im Katalogtext, in den Folgejahren „der endgültige Durchbruch zu einer Malerei, die realistisch, politisch und doch individuell wurde.“ Immendorff wurde zum Vertreter einer neuen deutschen Historienmalerei.
Kollektiv Immendorff-Penck Wichtige Inspirationen zu seiner deutsch-deutschen Bilderserie erhielt Immendorff durch die Freundschaft mit dem Dresdner Maler A.R. Penck (mehr), bürgerlich Ralf Winkler (*1939), der im offiziellen DDR-Kunstbetrieb verpönt war und mehr im Untergrund arbeitete. Beide hatten sich 1976 in Ost-Berlin kennen gelernt und waren nicht gerade sehr bekannt.
Es folgte eine ungewöhnliche wie intensive Zusammenarbeit, die schließlich, argwöhnisch vom DDR-Regime beäugt, im einem „deutsch-deutschen Künstlervertrag“ gipfelte. Immendorff und Penck bildeten eine Art künstlerisches Kollektiv, das über die innerdeutsche Grenze hinweg agieren sollte. Sie beschlossen, im Kollektiv „ihre Arbeit in den Dienst der Überwindung der willkürlich errichteten Grenze in Form der Berliner Mauer zu stellen“ (David Elliot, Katalogtext zur Ausstellung). Durch die Reise- und Kontaktbeschränkungen fand der Austausch allerdings mehr auf gedanklicher und künstlerischer Ebene statt; Besuche waren selten.
Jörg Immendorff Anbetung des Inhalts, 1985, Öl auf Leinwand, 200 x 250 cm. Foto ©Michael Werner Kunsthandel |
Imaginäres Café Immendorff begann 1977 mit seinen berühmten monumentalen, modernen Historiengemälden. Es entstanden realistisch-expressive, schrille oder grellfarbige, teils Comic-artige Acryl- und Ölbilder auf Großleinwänden. Alle trugen den Titel „Café Deutschland“. Später kamen kleinere Arbeiten auf Papier mit demselben Titel hinzu. Über 40 Werke wies der Bilderzyklus schließlich auf, das politische Zentralmotiv: die deutsche Teilung und der Ost-West-Konflikt. Das gewaltige Werk brachte Immendorff nach 1989, dem Jahr der deutschen Wiedervereinigung, den Ruf eines Visionärs ein.
Die Serie bedient sich der Metapher eines imaginären Cafés, das zum Schauplatz politischer Spannungen zwischen Ost- und Westdeutschland wird. Das Café ist in seiner Erscheinung inspiriert von den Café-Concerts der 1880er sowie von den politischen Cafés der zwanziger und dreißiger Jahre. Hier, an diesem fiktiven Ort, werden Grenzen unterlaufen und Gegensätze miteinander verbunden. Immendorffs „Café Deutschland“ zeigt sich als konzeptueller Raum, als Ereignisquelle, wo außen- und innenpolitische Entwicklungen in Form starker ikonographischer Bilder aufeinandertreffen. Die Räumlichkeiten erinnern mitunter an die Diskothek „Revolution“ sowie den „Ratinger Hof“ in Düsseldorf, Lokalitäten, die der Künstler - der als Kunstprofessor an der Düsseldorfer Kunstakademie tätig war - zu dieser Zeit oft besuchte. Immendorff schrieb sowohl sich als auch A.R. Penck, der 1980 aus der DDR ausgebürgert wurde und ins Rheinland kam, malerisch in seine Gemälde ein, so dass beide Künstler zum Zuschauer und gleichzeitig zum Teil der chaotischen Szenerien der „Café Deutschland“- Serie wurden.
Utopie und Wirklichkeit Obwohl sie sich in grundsätzlich unterschiedlichen politischen Systemen bewegten, fanden der West-Maler Immendorff und sein regimekritischer Ost-Kollege in der Überwindung der politischen Differenzen und der künstlerischen Isolation ein gemeinsames Ziel. Die frühen Arbeiten der Werkserie zeugen von dem Bestreben, durch Kunst Phänomene des geteilten Deutschland zu überwinden. So verschmelzen kraftvoll Utopie und Wirklichkeit zu einer eigenen, individuellen Mythologie.
► Die „Café Deutschland“-Serie wurde im musealen Kontext erstmals in der Kunsthalle Basel 1979, also rund zehn Jahre vor dem Mauerfall und dem Ende des Kalten Krieges, gezeigt. 1982 war die Werkserie elementarer Bestandteil der Immendorff-Retrospektive in der Düsseldorfer Kunsthalle. Im selben Jahr wurde ein Teil der Serie auf der Documenta VII ausgestellt.
cpw
Die Ausstellung „Jörg Immendorf: Café Deutschland“ kann bis zum 14. März 2015 besucht werden.
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