rheinische ART
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rheinische ART 01/2015

Archiv 2015

SKANDAL WestLB / PORTIGON
Geisterfahrer
auf der Kulturautobahn

 

Sind Kunstwerke im Eigentum von staatlichen Unternehmen Betriebsvermögen? Bei einer durch Missmanagement bedingten Pleite verhandlungsfähige Verkaufsmasse wie Büroeinrichtungen oder Maschinen? Ober gibt es einen grundlegenden Unterschied zwischen Papierkorb und Picasso?

 

Der Macke´sche Garten in Bonn (Ausschnitt), von August Macke 1911 gemalt, gehört zweifelsfrei zum Kunstkonvolut der ehemaligen WestLB und heutigen Portigon. Foto Wikipedia

 

Es ist ein veritabler, teils hochemotionaler und leidenschaftlicher Streit, der sich seit Wochen um diese Fragen dreht. Konkret geht es um den geplanten Verkauf der angeblich rund 400 Objekte umfassenden Kunstsammlung der Ex-Landesbank WestLB durch deren Rechtsnachfolgerin Portigon AG. Das Unternehmen aus Düsseldorf gehört zu 100 Prozent dem Land NRW. Die hochkarätige Kunstsammlung damit auch. Und die soll nach Aktienrecht zwecks Schuldentilgung wie anderes „Betriebsvermögen“ bestmöglich veräußert werden.

 

Kampf um Kunst Da treffen rot-grüne Betriebs- und Finanzwirtschaft, angeführt von NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD), auf eine national wie international breite, aufgebrachte Phalanx von Kunst- und Kulturvertretern, die erbittert von kulturellem Ausverkauf und einer kulturpolitischen Bankrotterklärung des Landes NRW sprechen.

 

Für wen streitet sie? Ihre Haltung ist aufgrund ihres Schweigens unklar: Ute Schäfer, Kulturministerin NRW. Das Vertrauen in ihre Person und ihre Eignung schwindet. Mutmaßen darf man aber auch ein - wie beim initiierten "Runden Tisch" - vielleicht strategisch kluges Vorgehen für das Bewahren der Kunst.  Foto © Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen (MFKJKS NRW), Catrin Moritz 

 

     Die Spitzenkräfte der Landesregierung wie die Ministerpräsidentin Hannelore Kraft oder die Kulturministerin Ute Schäfer schwiegen dazu viel zu lang - oder hielten wie Walter-Borjans bislang stur dagegen, dass man es einem Unternehmen, das nach vermeintlicher EU-Vorgabe abgewickelt werden muss, nicht verbieten könne, seine Aktiva - bei der Portigon AG eben auch die Kunstwerke - in bare Münze umzusetzen.
     Nur gehört dieses Unternehmen nicht irgend jemandem, sondern indirekt dem Land. Für das höchst zweifelhafte Investmentgeschäft der damaligen WestLB-Banker steht heute der Steuerzahler in der Verantwortung. In Zahlen sind das runde 25 Milliarden Euro Schulden. Als es noch gut lief für die Bank, wurden die Kunstwerke unzweifelhaft mit Steuergeldern der Bürger gut meinend erworben. Die Objekte haben zum künstlerischen einen gesellschaftlichen Wert und wurden zur Kulturförderung und nicht zur Vermögenssteigerung angeschafft.


Das sieht der Finanzchef anders. Sollten die „in Kunstobjekten konservierten Gewinne der ehemaligen WestLB nicht für die Abwicklung zur Verfügung stehen“, müsse der Gegenwert an die Portigon AG erstattet werden. „Andernfalls würde die Entnahme eine Lücke reißen, die am Ende vom Steuerzahler zu füllen wäre.“ So wird Kunst zur Ware und der Bürger erneut zum Lückenbüßer.

 

Die Sünderin Regierungschefin Hannelore Kraft hatte es bereits zum Entsetzen der Kulturszene im Herbst 2014 zugelassen, dass ihr Kassenwart Walter-Borjans trotz massiver Kritik zwei bedeutende Hauptwerke von Andy Warhol zur Versteigerung in New York frei gab und dafür rund 152 Millionen Dollar einstrich (mehr). Verwendet werden soll das Geld für einen Casino-Neubau der Westspiel in Köln, dem staatlich konzessionierten Spielbankenbetreiber in NRW, mithin also für die schon lange hoch defizitäre Spiel- und Zockerkultur des Landes. Nach diesem ersten Sündenfall droht ein zweiter zu folgen. Doch scheint mit den aktuellen Portigon-Verkaufsplänen das Maß nun endgültig voll zu sein.

 

Offene Proteste Mehrere Direktoren großer NRW-Museen, der Deutsche Künstlerbund (mehr) und der Verband Deutscher Kunsthistoriker (mehr) hatten jüngst in scharfen offenen Briefen protestiert und die kulturelle Ignoranz der Landesregierung angeprangert. Pikantes Detail: Offiziell wird die Bestandsliste der Sammlung von Portigon bislang geheim gehalten. Als Begründung ist zu hören: Zu viel Presserummel im Vorfeld könnte die erhofften Auktionserlöse schmälern. Der Portigon-Kunstbestand soll Annahmen zufolge einen Wert von etwa 150 Millionen Euro haben. Das kann viel zu viel oder viel zu wenig sein, denn, wie erwähnt, ein öffentlicher Blick in die Bestandsliste wird verwehrt. Vertrauensbildende Maßnahmen sehen anders aus.
     Der Düsseldorfer Wirtschaftszeitung Handelsblatt (HB vom 16.01.2015) gelang aber ein Blick in eine Kunstliste der früheren WestLB, die allerdings nur Künstlernamen und Werktitel ausweist. Die Zeitung registrierte „große Namen“. Sie reichen von Balkenhol, Braque über Calder, Chillida und Macke bis Polke, Richter und Tillmans.

 

Monika Grütters, die Kulturstaatsministerin des Bundes, redet Tacheles. © Foto Christof Rieken

 

Bundesintervention Die Kulturstaatsministerin des Bundes, Monika Grütters (CDU), leitete jetzt ein Verfahren ein, mit dem geprüft werden soll, ob unter den etwa 400 Werken Kulturgüter von nationaler Bedeutung sind. Sie sollen per Ausfuhrverbot, ein außenwirtschaftliches Instrument, dass man sonst eher bei Waffen oder „Dual-Use“-Gütern gewohnt ist, geschützt werden.
     Dass die Bremsaktion womöglich teilweise schon zu spät kommt, schwant der Bundesministerin offenbar. In einem Interview mit der Tageszeitung Rheinische Post (RP 23.01.2015) zu einem von der Kulturministerin Ute Schäfer geplanten Runden Tisch, bei dem die Landesregierung, „eine für alle Seiten vertretbare Lösung“ finden will, bekannte die Bundespolitikerin: „Der Runde Tisch wird nicht nur nicht von allen gewollt. Er soll auch erst am 5. Februar in Aktion treten. Wir befürchten auch, dass nicht mehr alle der rund 400 Kunstwerke von der Portigon-Liste noch in Deutschland sind.“ Kaum zu glauben! Denn das wäre die wahre Ungeheuerlichkeit in diesem skandalösen und absurden Vorgang.
     Die Möglichkeiten zur Bewahrung der Kunstwerke für NRW sind da. Das wissen alle Beteiligten. Und zudem ist es auch bei diesem Vorgang so, wie immer: es geschieht, was der politische Wille ist. Und auf den darf man gespannt sein.
Irmgard Ruhs-Woitschützke

 

 

 

 

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