rheinische ART
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rheinische ART 04/2021

Archiv 2021

BIOGRAFIE
Leben mit Kunst und Kosmetik


Im Jahr 1896 ging ein nur 1,48 Meter großes Energiebündel im australischen Hafen Melbourne an Land. Die junge Frau aus bescheidenen polnischen Verhältnissen hatte zwölf Cremetiegel im Gepäck. Das sollte der Beginn einer beispiellosen Erfolgsgeschichte sein.

 

Helena Rubinstein in der Bibliothek ihres Pariser Wohnhauses auf der I´île Saint Louis in Paris 1951, mit Teilen ihrer ungewöhnlichen Sammlung afrikanischer und ozeanischer Kunst. Foto © Helena Rubinstein Foundation Archives, Fashion Institute of Technology, SUNY, Gladys Marcus Library, Special Collections.

 

100 Jahre ist es her, dass Helena Rubinstein (1872–1965), um die es hier geht, ihren Namen als Produktmarke eintragen ließ und vor bald 150 Jahren wurde sie geboren.

 

Buchcover © Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 2021

 

Helena Rubinstein um 1908. Portrait des französischer Malers, Radierers und Realismus-Illustrators Paul César Helleu (1859-1927). Helleu war bekannt für seine Porträtbilder berühmter und schöner Frauen. Foto © Wikipedia gemeinfrei

 

An die sagenhafte Karriere der Kosmetik-Ikone haben in letzter Zeit mehrere Ausstellungen erinnert, unter anderen in Wien und Paris.

     Die erste deutschsprachige Biografie über die als hart und tough geltende Geschäftsfrau, Karrieristin und begeisterte Kunstmäzenin ist in Österreich erschienen: „Augen, die im Dunklen leuchten“ von Ingo Rose und Barbara Sichtermann, herausgegeben vom Verlag Kremayr & Scheriau.

     Genau genommen ist es keine „klassische“ Biografie, die sich korrekt an den Lebensdaten dieser historischen Person entlang hangelt und ausschließlich Verbürgtes präsentiert, es ist eine Romanbiografie.

     Und damit ist klar, nicht alle Gespräche sind je so verlaufen, nicht alle Begegnungen je so passiert. Überlieferte Dialoge aus Rubinsteins Archiv werden in Kursiv-Schrift angegeben. Das längst sehr populäre Genre der Romanbiografie als Mixtur aus Fakten und Fiktionen lässt allerhand Spielraum für Fantasien, Dichtungen und Deutungen. Das muss kein Nachteil sein, schließlich gibt es zahlreiche Vorbilder und der Lesbarkeit tut es keinen Abbruch. Eher das Gegenteil ist der Fall.

 

Die Biografie ist ein lesenswertes und kurzweiliges Werk. Es ist ein spannender Einblick in das facettenreiche Leben einer Frau, die geschäftlich und privat unabhängig ihren Weg ging, als in London und New York die militanten Suffragetten für Aufsehen sorgten. Helena Rubinsteins Vita ist hinlänglich bekannt (mehr), als Romanbiografie gleichwohl ein höchst unterhaltendes Stück Literatur, dass auch noch unbekannte Details zusammenfügt.

 

Helena Rubinstein in einem Kleid der italienisch-französischen Modeschöpferin Elsa Schiaparelli. Foto © Archiv / Archives Helena Rubinstein, Paris

 

Im Anfangskapitel vom Krakauer Stadtteil „Kazimierz zum Fünften Kontinent“ breitet das Autoren-Duo ein historisch eher weniger beachtetes Bild jener jüdischen Ghetto-Jahre aus, die während der KuK-Monarchie typisch waren.

     Auch die Tatsache, dass Rubinstein, später nur noch „Madame“ genannt, ihr riesiges Vermögen nicht nur in Diamanten, Mode und erlesenes Interieur ihrer Wohnungen steckte sondern Museumsgründungen, karitative Förderungen und Pädagogisches für die Bildung von Frauen protegierte, ist bei aller grandiosen „Eigenwerbung“ und genialen Selbstvermarktung der Portraitierten ein interessantes Themenfeld in dem Buch.

 

 

Rubinstein gilt als die Erfinderin der wasserfesten Wimperntusche. Aktuelles, modernes Design für das Hautpflege-Produkt Prodigy Powercell Skinmunity Crème. Foto © Douglas.de 2021

 

Besonders für kunstaffine Lesende mag ein Blick auf die Rolle von Rubinstein als Kunstsammlerin und Mäzenin von Interesse sein. So gut wie alles was Rang und Namen hatte, wurde von ihr konsultiert.

     Die führenden Architekten und Designer wie etwa die Wiener Josef Hoffmann und Adolf Loos (mehr) entwarfen Richtungsweisendes sowohl für Rubinsteins Business – etwa beim Verpackungsdesign – als auch fürs Private, wie etwa Baumeister Loos beim Dachausbau ihrer Wohnung in der Pariser Rue du Faubourg Saint-Honoré.

     Rubinstein verkehrte über Jahrzehnte in der High Society, sammelte Kunst und ließ sich von Künstlern wie Jean Cocteau (mehr) inspirieren, für den sie „Die Kaiserin der Schönheit" war. Andere portraitierten sie, so etwa Dalí, der Fauvist Raoul Dufy und Andy Warhol.

  

Helena Rubinstein und Pablo Picasso. Foto © Archiv / Archives Helena Rubinstein, Paris


Pablo Picasso Skizze von Helena Rubinstein 1955. Foto © Archiv / Archives Helena Rubinstein, Paris

 

Nur mit Picasso gab es da ein Problem. Der Meister mit Sitz in der Provence wollte offenbar nie so recht die Kosmetikerin abbilden, soviel ist verbürgt. Widerwillig tat er es eines Tages dann doch.

     Dabei konnte er sich mancher Spitze nicht enthalten: „Sie haben großen Ohren, Helena“ wird er zitiert. Madame konterte trocken: „Genau wie Sie, Pablo!“ – Legende oder Wahrheit?

     Hier, das merken Leserinnen und Leser, trafen auf jeden Fall zwei zutiefst Eigenwillige, zwei Alphatiere, aufeinander. Das konnte nicht gut gehen. Und so klagte die große Rubinstein: „Der Picasso wollte nicht!“ Immerhin stellte der Maler fest: „Sie sind ein Genie, genau wie ich.“

 

Das Zwischenmenschliche war vermutlich eh nie eine Stärke der großen Ikone. Zweimal trat Helena Rubinstein in den Stand der Ehe, beide Male ging es schief.

     Was blieb war ihre kontinuierliche Unabhängigkeit. Ihr Unternehmen mit den Waren für Schönheit war längst zu einem Imperium angewachsen, das sie in den Jahren vor ihrem Tod vom Bett aus steuerte.

     Die Autoren Rose und Sichtermann folgen dem abenteuerlichen Lebensweg dieser überaus beeindruckenden „Self-Made-Frau“ und „Schönheitserfinderin“, von der armen „Kinderfrau“ in Polen und Wien bis zum feudalen Leben in Paris, London und New York. Diese Romanbiografie macht klar: Die Frau war, wie es die WELT einmal formulierte „hoch kultiviert, eine unkonventionelle Vollblut-Individualistin und doch Identifikationsfigur für Millionen.“ Oder einfach ausgedrückt, sie war ihrer Zeit schlichtweg voraus.
rART/bra

 

Literaturhinweis: Ingo Rose, Barbara Sichtermann „Augen, die im Dunklen leuchten“, Verlag Kremayr & Scheriau, 320 S., Wien 2020, ISBN 978-3-218-01225-6; Preis 24,00 EUR

 

 

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