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rheinische ART 07/2022

Archiv 2022

VISUAL ARTS

Design-Highlight in Hagen


Wenn formlose Informel-Kunst auf formstarkes Gestalten trifft, kann das schon eine spannende Sache sein. Das Hagener Emil Schumacher Museum hat sich dieser Aufgabe gestellt.

 

Bruno Munari & Enzo Mari Espresso-Maschine, Modell ‚Diamante‘, 1956, Hersteller: La Pavoni, Mailand, Eisen (verchromt), Messing, Perspex (Acryl) Bildquelle © Emil Schumacher Museum

 

In dem modernen Neubau neben dem bekannten Osthaus-Museum lässt Museumchef Rouven Lotz diese so gegensätzlichen Gattungen aufeinanderprallen. Emil Schumacher und die Form seiner Zeit heißt die quantitativ eher kleine, aber qualitativ interessante Sommerschau, die mindestens zwei Merkmale verbindet.

 

Dante dela Torre Stuhl, Modell „psico-sedia“ (Psycho-Stuhl), 1962 Hersteller: Pozzi & Verga, Mariano Comense Holz, schwarz lackiert, Wolle. Bildquelle © Emil Schumacher Museum

 

Peter Behrens Aufzugs- bzw. Klingeltableau, ca. 1907, Hersteller: AEG, Eisenguss, Partiell schwarz lackiert und vernickelt, die aufgeschraubten Schilder aus Messing. Bildquelle © Emil Schumacher Museum

 

Erstens: Wann kann man schon Formschönes und Zukunftweisendes in überschaubarem Umfang aus einer ganzen Epoche, nämlich dem 20. Jahrhundert, von den namhaftesten Entwerfern bestaunen? Zweitens: Wann findet sich internationales Industriedesign verknüpft mit Kunstgeschichte einmal nicht in Exposition in Amsterdam, Paris, Basel oder Wien, sondern im südwestfälischen Hagen?


Das Museum hat einen mutigen Schritt unternommen, denn es liefert einen Blick auf „Kunst und Design des gesamten 20. Jahrhunderts“, wie es im Untertitel heißt.

     Selbstbewusst vermerkt das Haus, die Ausstellung biete „abseits der allgegenwärtigen Klassiker, wie dem heute besonders populären Lounge Chair von Ray und Charles Eames oder der ikonischen Liege von Le Corbusier“ im „Zusammenklang von Malerei, Bildhauerei und Design eine neue Perspektive“.
In der Tat sieht sich der Besucher herausragenden Objekten, mal im Original, mal als Nachbau, gegenüber.

 

Der Rundgang beginnt mit einem Klingelschild von Peter Behrens, symbolisch für den Hagener Impuls von Karl Ernst Osthaus am Anfang des 20. Jahrhunderts, und führt bis an das Ende des Säkulums, repräsentiert durch den „Knotted Chair" von Marcel Wanders.

     Neben Behrens sind – natürlich – Marcel Breuer, der österreichische Architekt Adolf Loos, der Mailänder „Anti-Designer“ und Begründer des Memphis-Styl Ettore Sottsass sowie dessen Freund, der italienische Radikal-Designer und Alchemia-Mitbegründer Michele de Lucchi, vertreten.

     Der spätestens aus den Abonnementwerbungen vielen Zeitungslesern vertraute Wilhelm Wagenfeld (Lampen) fehlt ebenso wenig wie Ludwig Mies van der Rohe. Sie und viele andere waren schlicht und einfach die Protagonisten des genannten Zeitalters in Sachen Gestaltung.

 

Emil Schumacher 1981. Foto: © Ralf Cohen Karlsruhe/Emil-Schumacher-Stiftung, Hagen. Bildquelle © Emil Schumacher Museum

 

Der gebürtiger Hagener Emil Schumacher (1912–1999) war einer der großén Informel-Vertreter. Neben K.O.Götz gehörte er in den Nachkriegsjahren zu den wenigen deutschen Künstlern, die im Ausland ausstellen konnten.

     So etwa 1954 im Stedelijk Museum, Amsterdam, in der Schau Deutsche Kunst nach 45. Ein Jahr später wurde Schumacher mit Ausstellungen und Preisverleihungen allgemein bekannt. Als internationaler Durchbruch galt ab 1958 die Ehrung mit dem Guggenheim Award (National Section) und 1961 seine Teilnahme an der 29. Biennale von Venedig.

Emil Schumacher Moro III, 1975, Acryl und Materialcollage auf Leinwand, 51 x 76,5 cm. Bildquelle © Emil Schumacher Museum


Wesentliche Impulse für die aktuelle Design-Schau lieferten, wie das Museum mitteilt, zahlreiche Entwürfe der Midcentury-Moderne, die sich im Hagener Wohnhaus von Schumacher erhalten hatten. Der Hausherr hatte bekanntlich ein ganz besonderes Interesse an Formen aller Art, die immer wieder seine Aufmerksamkeit fesselten – ob Treibholz oder Kieselsteine an Mittelmeerstränden oder Überreste „von Kartoffelkraut auf einem Acker in der Umgebung von Hagen“.

 

Marcel Breuer Lattenstuhl, Model ti24, 1922, Hersteller (Gestell): Tischlerei am Bauhaus, Weimar; (Bezug: Gunta Stölzl, Weberei am Bauhaus, Weimar, nachgewebt nach Originalbefund), Eiche schwarz gebeizt; Wolle. Bildquelle © Emil Schumacher Museum 

 

 Vico Magistretti & Mario Tedeschi Stehleuchte, Modell "Claritas", 1946, Hersteller: Arredoluce, Monza, lackiertes Eisen, Aluminium, Messing. Bildquelle © Emil Schumacher Museum  

 

Schon Anfang der 1950er-Jahre, so kann der Besucher lesen, erwarb Schumacher Avantgarde-Möbel für sein Heim, deren klare Formen damals als Danish Design Furore machten.

     Später hatte er durch seine Ausstellungen intensiven Kontakt zu italienischen Kunsthändlern und Sammlern, in deren Häusern er mit italienischem Design der Zeit konfrontiert wurde.

     Vor allem hatten es ihm Leuchten jeglicher Form und Technik angetan, hängend oder stehend, in Ecken oder auf Tischen, wie die Schau verdeutlicht.

     Erstaunlich ist da die Erkenntnis, dass der erste Deckenfluter namens „Luminator“ 1933 von Petro Chiesa vorgestellt wurde und die noch heute modern wirkende Stehleuchte „Claritas“ aus dem ersten Nachkriegsjahr Italiens stammte. Konstrukteur Vico Magistretti, der die coole Aluminiumleuchte mit den gebogenen, lackierten Metallrohren gemeinsam mit Mario Tedeschi 1946 entworfen hatte: „Das Wichtigste für mich ist die konzeptionelle Einfachheit, die meist in konstruktive Klarheit übersetzt wird. Ein konzeptionell einfaches Objekt könnte einfach mit dem Telefon hergestellt werden“. Das musste dem Hagener Informelkünstler gefallen haben.


Auch italienische Architektur-Zeitschriften, wie etwa die von Gio Ponti gegründete Domus der 1950er-Jahre fanden sich in der Bibliothek des Künstlers und belegen sein Interesse an der freien, spielerischen Formensprache Italiens.

     Dass er daher auch zeitweise die jedoch in Frankreich produzierte, skulptural geformte, futuristische und technisch-revolutionäre Edellimousine Citroën DS – also „Déesse“ oder Die Göttin - fuhr, kann da nicht wundern. Schumacher hatte nicht nur erlesenen Geschmack bewiesen, sondern offenbar auch Finanzstärke. Denn die Französin mit den genialen Innovationen und einer Länge von 4,80 Meter kostete 1959 in Deutschland mit über 12.500 Deutsche Mark wesentlich mehr als ein vergleichbarer Mercedes oder Borgward. Aber Avantgardistisches hatte schon immer seinen Preis!
rART/cpw


Die Ausstellung entstand in Kooperation mit dem Designhistoriker und -sammler Sebastian Jacobi (Bad Ems). Bisher noch nie präsentierte Leihgaben aus dessen Kollektion werden Gemälde und Plastiken sowie Objekte der Angewandten Kunst aus dem Hagener Museum gegenübergestellt.

 

Die Ausstellung Emil Schumacher und die Form seiner Zeit ist bis zum 28. August 2022 verlängert worden.
Emil Schumacher Museum
Museumsplatz 1
58095 Hagen
Tel +49 2331 3060066
Öffnungszeiten
DI -SO 12.00 – 18.00 Uhr

 

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