rheinische ART
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rheinische ART 11/2013

Archiv 2013

RENAISSANCE DER EILEEN GRAY 

E.1027

 

Sie war eine Künstlerin, Architektin und Designerin der frühen Moderne, ihr neuer unprätentiöser und eleganter Stil der Zeit voraus. Jahrzehntelang aber geriet die „Mutter der Moderne“ in Vergessenheit. In diesem Jahr wird die Irin Eileen Gray, die fast ihr ganzes Leben in Frankreich verbrachte, dort und in ihrer Heimat mehrfach gewürdigt. Als Architektin realisierte sie nur drei Hausentwürfe. Ihr erstes Projekt, eine Villa an der Cote d´Azur mit der mysteriösen Typenbezeichnung E.1027, wird als Meisterwerk moderner Baukunst gefeiert.

 

Das Haus E.1027, erbaut 1927-1929, in der südfranzösischen Gemeinde Roquebrune/Cap Martin. Ansicht vom Meer aus (Südseite). Foto ca. 1930

 

Eine Werkschau im Pariser Centre Pompidou im letzten Frühjahr, eine zeitgleiche kleine Exposition in Menton sowie die baldige Eröffnung ihrer 1929 vollendeten visionären Villa E.1027 als Museum und „Historisches Monument“ in Roquebrune/ Cap Martin stellen eine längst überfällige öffentliche Anerkennung der Einzelgängerin und ihrer bahnbrechenden Arbeiten dar. Derzeit präsentiert das Dubliner Irish Museum of Modern Art (IMMA) eine Retrospektive.

 

Eileen Gray im Alter von 48 Jahren in Paris. 1926 fotografiert von Berenice Abbott

 

   Eileen Gray (1878-1976) gehörte zu jenen Avantgardisten, die in den zwanziger und dreißiger Jahren das schufen, was gemeinhin modernes Design heißt. Ihre Möbelentwürfe und Innendekorationen, die teilweise Kultstatus erlangten, werden heute gemeinsam mit denen von Ludwig Mies van der Rohe, Gerrit Rietveld oder Marcel Breuer genannt, obwohl die Frau aus Irland deutlich weniger in der Öffentlichkeit stand. Grays Möbel aus Stahlrohr und Glas, damals revolutionär, sind unverändert oft kopierte avantgardistische Klassiker und gefragte Vintage-Objekte. In ihrer späten Schaffensphase widmete sich Gray auch der Architektur.

 

Späte Renaissance

 

Die wahre (Wieder-)Entdeckung ihres Lebenswerkes erfuhr sie aber erst im hohen Alter, gesundheitlich stark eingeschränkt, auf einem Auge blind und fast völlig taub. 1972, da war sie bereits 94 Jahre alt, wurde sie von der Royal Society of Art in London zum „Royal Designer to Industry“ ernannt. „Wie absurd“, befand sie nur gelassen. Ihr legendärer Beistelltisch "E.1027", eines der Interieurs aus der Villa gleichen Namens, wurde 1978 vom Museum of Modern Art (MoMA) in New York in die ständige Design-Sammlung aufgenommen.

 

Der Wandschirm (Paravant) "Le Destin", eine vierteilige Lackwand von 1913. Die Inspiration zu dem Motiv soll Eileen Gray aus einer Krankenanstalt bezogen haben

 

Eileen Grays erfolgreichster Entwurf: Der in der Höhe verstellbare Beistelltisch "E.1027" aus Glas und Stahlrohr (1927-29)

 

   Um ihre wenigen erhaltenen Möbel lieferten sich Art-Deco-Fans, Sammler und Kunsthändler regelrechte Bieterschlachten. Im Jahr ihrer royalen Ehrung brachte der von ihr sechs Jahrzehnte zuvor kreierte, vierteilige dunkelrote Lack-Paravant „Le Destin“ bei einer Pariser Auktion 40.000 US-Dollar, damals ein Rekordpreis. Die alte Dame dazu seinerzeit: „Vor 50 Jahren hatte ich Probleme, meine Möbel zu verkaufen.“ Doch es sollte noch atemberaubender kommen. Ein Sesselentwurf (Fauteuil aux dragon) von 1918/19 erreichte 2009 bei der legendären Yves Saint Laurent-Auktion im Pariser Grand Palais den höchsten jemals für ein Möbel des 20.Jahrhunderts gezahlten Auktionspreis: sensationelle 21,9 Mio. Euro. Das übertraf selbst die kühnsten Erwartungen der Fachwelt um ein Vielfaches, denn die edle Sitzgelegenheit war mit einer oberen Taxe von 2 Mio. Euro bewertet.

 

Frühe Jahre

 

Eileen Gray stammte aus einer begüterten schottisch-irischen Adelsfamilie mit Sitz in Enniscorthy (Grafschaft Wexfort). Früh galt die höhere Tochter als Non-Konformistin mit einem eigenwilligen Kopf. Als Kunststudentin an der Londoner Slade School of Fine Art schwänzte sie den Zeichenunterricht und arbeitete lieber in einer Lackfabrik in Soho. Später stieg sie in Ballonkörbe oder begleitete 1909 den französischen Piloten Hubert Latham in einem selbst gebauten Flugzeug bei dessen Kanalüberflug.
   In Paris, wo sie von 1906 bis zu ihrem Tod wohnte, ließ sich Gray von dem japanischen Lackkünstler Seizo Sugawara in die Technik der alten fernöstlichen Lackarbeit einweihen. "Ich wollte etwas Nützliches tun", wird sie zitiert. "Offen gesagt: Zeichnungen braucht doch niemand wirklich." Ab 1918 bot sie im eigenen kleinen Laden in Paris ihre ebenso luxuriösen wie exzentrischen Lackarbeiten zum Verkauf. Erst eine Allergie gegen Lackharze beendete diese kreative Phase.

 

Autodidaktin der Architektur

 

Gray wandte sich der Architektur zu, vermutlich beeinflusst durch ihren damaligen Lebensgefährten, den rumänisch-französischen Architekturkritiker Jean Badovici. Dessen Zeitschrift für moderne Architektur und Design „L´Architecture Vivant“ war ab 1923 eines der führenden Blätter dieser Art in Europa. Das Magazin berichtete über die Architekturtrends wie u.a. De Stijl oder Bauhaus und bot den großen Baumeistern der Zeit, Frank Lloyd Wright, Le Corbusier, Ludwig Mies van der Rohe, Bruno Taut, Adolf Loos oder Gerrit Rietveld, Raum für Fachartikel. Eileen Gray war in Sachen Architektur Autodidaktin, die Zeitschrift wurde quasi zu ihrem Lehrbuch.

 

Aluminiumschrank mit Kork-Bekleidung, konstruiert für das obere Schlafzimmer im Haus E.1027. Der Schrank diente gleichzeit als Trennwand zum Schlafbereich

 

Der Zeit voraus: Der S-Stuhl aus gebogenem Holz (1932-1934), entworfen für das Haus "Tempe à Pailla" in Castellar; in voller Größe ...

 

Das Haus am Meer

 

1924 begannen Eileen Gray und ein kleines Team örtlicher Handwerker mit den Bauarbeiten an ihrem ersten Wohnhaus, der am Meer gelegenen Villa E.1027 in Roquebrune nahe Monaco. Sie hatte es selbst entworfen und eingerichtet und den Bauplatz auf einem Klippengelände oberhalb einer Bucht mit Blick auf das Fürstentum erworben. Sie selbst erklärte das durch und durch moderne Gebäude zu einer Gemeinschaftsarbeit von sich und Jean Badovici, obwohl dieser nur eine Nebenrolle gespielt hatte: „Er hat Ideen für das Dach und die Treppe beigesteuert.“ Daraus erklärt sich auch die Codierung E.1027: Das E steht für Eileen, 10 für Jean (J als zehnter Buchstabe des Alphabets), 2 für B und 7 für G (Gray). Das Haus war 1929 fertig. Für das Innere entwarf sie Einbauelemente und Mobiliar im ´Campingstil´. „Das Haus für einen Mann, der seine Arbeit und den Sport liebt und gerne Freunde empfängt“, musste - so die Designerin - flexibel sein und dies böte nur der ´Campingstil´. Hauptwerkstoff war stabiles, formbares und preiswertes Stahlrohr. Weitere Materialien waren Aluminiumblech, Pergament und Kork.
    Kurze Zeit später kaufte Eileen Gray ein Grundstück in der kleinen Kommune Castellar im Mentoner Hinterland und baute dort ein weiteres bis heute beispielhaftes Symbol der modernen Architektur, das Haus „Tempe à Pailla“, fertiggestellt 1934. Zwanzig Jahre später und nun bereits 76 Jahre alt, begann die Hochkreative noch einmal mit einem Hausprojekt, dem Umbau eines baufälligen Stein-Cabanon mit dem Namen „Lou Perou“ bei Saint-Tropez.

 

Vereinnahmung durch Fremde

 

Gefeiert wird Eileen Gray heute vor allem für das komplett von ihr entworfene und ausgestattete Haus E.1027. Der L-förmige Flachdachbau mit raumhohen Fenstern, im Aufriss an die Silhouette eine Schiffes erinnernd, gilt als gelungenes Gesamtkunstwerk, das Natur und Architektur auf elegante Weise verbindet.

 

... und zusammengeklappt. Der S-Stuhl

 

 

Stehlampe mit Fuß aus lackiertem Holz, ausgestellt im Monte Carlo-Zimmer (1923)

 

 

Zu den großartigen Möbelentwürfen Eileen Grays gehört neben dem Beistelltisch E.1027 der Sessel „Bibendum“ von 1929. Die Namensgebung orientierte sich an dem Michelin-Männchen des französischen Reifenherstellers, dessen Form der Sessel ähnelt

   Der unprätentiöse Bau setzte Maßstäbe für einen radikal modernen Lebensstil, ein hohes Maß an persönlicher Freiheit, gepaart mit einem Hauch von Luxus, wie ihr Biograf Peter Adam schreibt. Vor allem Le Corbusier, als Freund Badovicis oft Gast im Hause und später Eigentümer eines kleinen Cabanons auf dem Nachbargrundstück, hatte eine besondere Beziehung zu der Villa.

   Es lässt sich nicht eindeutig klären, ob er in Eileen Grays Virtuosität und gestalterischer Leichtigkeit, ihren humorvollen und ideenreichen Detailplanungen beim Innenausbau von E.1027, eine Konkurrenz zur eigenen Arbeit sah. Gray hatte 1932, nach der Trennung von Badovici, diesem E.1027 zur Nutzung überlassen. Ohne Gray um Erlaubnis zu fragen, brachte Le Corbusier im Inneren des Hauses großflächige Wandmalereien an, die bis heute im Wesentlichen erhalten sind. Mit diesen Malereien störte er die sensible Gesamtausrichtung des einzigartigen Hauses - ein Akt, der bereits häufig als vandalisch bewertet wurde und zum Zerwürfnis der beiden Kreativen führte. Eileen Gray bewohnte das Haus nie wieder.

 

Es war der Gärtner

 

Im Zweiten Weltkrieg wurden die beiden Zeugnisse der frühen Moderne in Roquebrune und Castellar geplündert und verwüstet. Eileen Gray kehrte nach dem Krieg nach Paris zurück und führte dort ein sehr zurückgezogenes Leben. Lediglich den Umbau des Hauses „Le Perou“ vollendet sie noch. Sie geriet zunehmend in Vergessenheit. E.1027 hieß über Jahre einfach nur „Maison blanche“ oder wurde als „Corbusier-Bau“ lange dem falschen Baumeister zugeschrieben. Le Corbusier ertrank im Sommer 1965 im Alter von 78 Jahren in der Bucht unterhalb der Villa. Ein späterer Erbe des Hauses, der Schweizer Arzt Peter Kaegi, veräußerte 1991 große Teile der Einrichtung in alle Welt. 1994 wurde er von seinem Gärtner in der Villa ermordet. Das herrenlose Gebäude wurde von Hausbesetzern beschädigt und verkam. Erst 1998 erhielt das Meisterwerk Denkmalschutz, wurde gesichert und langsam restauriert.

 

► Die Restaurierung durch die Gemeinde Roquebrune begann 2008 und konnten bis Ende 2013 nicht endgültig abgeschlossen werden. Die Eröffnung von E.1027 als Museum wurde bis heute mehrfach verschoben und wird jetzt für 2014 erwartet.

 

 Um zu erklären, warum Eileen Grays Architekturentwürfe lange Zeit nur Fachleuten in ihrer Wertigkeit bekannt waren, stellt Biograf Peter Adam Grays Arbeit in den Kontext ihrer Zeit. „Man muss nur daran erinnern, was damals alles entstand. Hans Poelzigs (mehr) I.G.-Farben-Bau in Frankfurt (1928-31); Le Corbusier baute die Villa Savoye in Poissy (1929); Richard Neutras Lovell House in Los Angeles (1927-29) und der Barcelona-Pavillon von Mies van der Rohe (1929) waren in aller Munde....In solchen Zeiten war der Bau eines einzelnen Hauses nicht gerade ein welterschütterndes Ereignis, egal wie man heute Eileen Grays Bedeutung für die Architektur des zwanzigsten Jahrhunderts einschätzt.“

Robert Woitschützke

 

 

Gray um 1970 in ihrer Wohnung Rue Bonaparte in Paris

 

Literaturhinweis zum Thema
Peter Adam; Eileen Gray – Leben und Werk. Verlag Schirmer/Mosel, München 2009, 359 Seiten, 427 Abbildungen, ISBN 978-3-8296-0293-8



Ausstellung
Eileen Gray: Architect Designer Painter
12. Oktober 2013 bis 19. Januar 2014
IMMA / Irish Museum of Modern Art
Royal Hospital Kilmainham,
Dublin 8, Ireland
Tel: +353-1-6129900, E-Mail: info(at)imma(punkt)ie

 

 

Zitate übernommen aus der Biografie von Peter Adam.

Quelle Fotos: Centre Pompidou/Paris, Ville Menton, Wikipedia

 

 

 

 

 

 

 

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