rheinische ART
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rheinische ART 08/2013

 

ARCHIV 2013

Das Auge von Bonn


Von Weltpolitik

 

und Wirtschaftswunder


Kurz vor seinem 88. Geburtstag verstarb der legendäre Fotojournalist Josef (Jupp) Heinrich Darchinger in seiner Heimatstadt Bonn. Er galt zu Recht als der Fotograf der Bonner Republik und als einer der bedeutendsten politischen Fotochronisten Deutschlands.

 

Buchcover Vorderseite: Für einen Groschen

(10 Pfennig) gibt es ein Stück vom

Paradies - eine Stange mit fünf

Karamellbonbons.

Kinder in Bonn 1955 (S.47)

 

JUPP DARCHINGER (*6.8.1925, † 28.7.2013) dokumentierte über ein halbes Jahrhundert lang bundesrepublikanische Geschichte. Er portraitierte nicht nur bedeutende Politiker wie Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Willy Brandt oder Helmut Schmidt. Viele seiner großartigen Fotografien stellen einzigartige situative Zeitdokumente der Alltagsszenerie dar und unterlegen optisch das, was gemeinhin im kollektiven Gedächtnis der Deutschen als verankert gilt: Nachkriegsleben zwischen Ruinen, Salzheringe mit Pellkartoffeln, Feierabend neben dem Gummibaum, der erste eigene VW-Käfer, neuer Wohlstand. Aber auch Mauerbau, Kennedy-Besuch (1963) und DDR-Agent Günter Guillaume (1973), persönlicher Referent des Bundeskanzlers Willy Brandt, flüsternd am Ohr seines Chefs.
   Der Fotojournalist hatte bereits zur aktiven Zeit den Ruf, stets fair, diskret und distanziert zu sein. Nicht selbstverständlich für einen Mann seiner Gilde und auch in der Sache nicht ganz einfach. Er selbst sagte über sich und seine Arbeit: „Ich habe nie jemanden bloßgestellt.“ Als Bildzeuge arbeitete er nach der Devise, ein Fotograf sollte trotz der erforderlichen Nähe zum Objekt immer um Abstand bemüht sein, denn dann sähe er mehr.
   Möglicherweise war diese Rezeptur das Geheimnis seines Erfolges. Denn jahrzehntelang gewährten Politiker, Kulturgrößen und Wirtschaftsvertreter dem Rheinländer Blicke in ihre Privatsphäre. Immer spielte bei Jupp Darchinger so etwas wie eine sympathisch-rheinische Direktheit mit, wenn es darum ging, hinter die Fassade der Menschen zu sehen. Vom persischen Schah forderte er statt staatstragendem Gesicht mehr Lächeln: „Majestät, mehr Zähne bitte.“ Ebenso wenig scheute er sich, den sowjetischen Parteichef Leonid Breschnew 1973 beim Staatsempfang in Moskau solange zu dirigieren, bis dieser seiner Ansicht nach korrekt stand. „Wer sich nicht in meine Obhut begeben wollte, war nicht mein Mann oder meine Frau“, begründete er in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ sein charmant-resolutes Vorgehen.
   Jupp Darchinger gilt als Chronist der bundesdeutschen Politik in der Bonner Ära. Zu seinen Arbeiten gehören einzigartige Fotodokumente über Parteitage, Gewerkschaftskongresse und Staatsbesuche. Der Spiegel nannte ihn „Das Auge von Bonn“; allein für dieses Nachrichtenmagazin lieferte er 10.000 Aufnahmen und dokumentierte etwa 2.000 Spiegel-Gespräche.

 

Buchcover Rückseite: Ein selbst

gezimmertes Regal in der Kellergarage,

und fertig ist der Laden. Die Eier sind

immer frisch vom Land. 20 Pfennig

kosten sie, kaum weniger als vierzig

Jahre später. Bonn 1955 (S.104/105)

 

   Weniger bekannt sind Darchingers Fotozeugnisse der Nachkriegsjahre. Im Gegensatz zu dem etwa zur selben Zeit arbeitenden brillanten Kölner Architektur- und Desginfotografen Karl Hugo Schmölz (mehr) warf der junge Darchinger sein Auge auf den Alltag. Seine Fotografien dieser Jahre finden sich in dem sehenswerten Bildband „Wirtschaftswunder - Deutschland nach dem Krieg“. „Darchinger, hat ein Kritiker gesagt, kann mit den Augen denken. Die in Wirtschaftswunder versammelten Fotos zeigen, dass er mit ihnen auch fühlen und sprechen kann“ (Spiegel.de, Hamburg). „Ein sensationeller Bildband, der uns das Deutschland der 50er und 60er Jahre zeigt … Jede Aufnahme ein einzigartiges Dokument“ (BILD, Berlin).

 

 

► Nach dem Umzug der Bundesregierung von Bonn nach Berlin 1999 beendete Jupp Darchinger die aktive fotografische Arbeit. 2007 übergab er sein fotografisches Werk der Friedrich-Ebert-Stiftung. Der gesamte Bestand wird als „Fotoarchiv Jupp Darchinger im´Archiv der sozialen Demokratie´" der Stiftung aufbewahrt. Es umfasst rund 1,6 Millionen Negative, etwa 60.000 Positive und 30.000 Dias.

K2M


Literaturhinweis
Josef Heinrich Darchinger, Wirtschaftswunder – Deutschland nach dem Krieg; herausgegeben von Frank Darchinger mit Texten von Klaus Honnef; Verlag Taschen GmbH, Köln 2008 und 2012; ISBN 978-3-8365-4016-2

 

 

 

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