rheinische ART
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rheinische ART 06/2015

Archiv 2015

150 JAHRE RINGSTRASSE WIEN
Via Triumphalis


Mit Superlativen gilt es in Zeiten gigantischer Architektur-Highlights sparsam umzugehen. Aber für Wien und seine gut fünf Kilometer lange Ringstraße, die die Innenstadt umfasst, kann ohne Zweifel gesagt werden: Sie ist einer der attraktivsten Boulevards der Welt. Mehrere Ausstellungen zeigen die Gründe für ihren Ruf als "Hauptstraße des 19. Jahrhunderts".

 

Wien – mit seiner imperialen Ring-Prachtstraße auf dem Weg zu einer Weltstadt Ludwig von Förster Stadterweiterungsprojekt: Opernhaus, 1858, © Wien Museum

 

Wiens Straßenschönheit „Ring“: das ist ein bestechendes, kühnes, staunenswertes, ein markantes Architektur-Ensemble, für den Nicht-Wiener auch ein Architektur-Erlebnis – und ein wesentlicher Bestandteil des Weltkulturerbes Historisches Zentrum Wien.

     Im ausgehenden 19. Jahrhundert war diese neue, moderne Wohn-, Flanier- und Wirtschaftsmeile auch der imposante Ausdruck der Stadt, das alleinige Zentrum der Donaumonarchie zu sein. Zugleich festigte sie das Bild des Kaiserreichs als mächtige und gestaltungswillige politische Großmacht auf dem europäischen Kontinent.

 

Franz Alt Beim Eisernen Pavillon im Stadtpark, 1866 © Wien Museum. Nach dem Abriss der Stadtmauer vor dem Karolinenstadttor wurde das Wasserglacis beim Bau der Ringstraße 1862 zu einem öffentlichen Stadtpark im Stil englischer Landschaftsparks umgestaltet

 

Später Aufbruch Der realitiv späte Umbau des einst vom Militär genutzten, vor den Stadtmauern und Fortifikationen liegenden Glacis zu einem Pracht-Boulevard gilt als das größte urbane Projekt in der Geschichte Wiens. Der damit ausgelöste Aufschwung der k.u.k.-Hauptstadt bedeutete gleichzeitig das Ende der alten Stadt. Dies war auch vonnöten, denn Wien war eine der am stärksten wachsenden Metropolen in Europa. Mehr als eine Millionen Bewohner drängten sich im Zentrum, Platz- und Wohnungsnot waren eklatant. Mit der Eröffnung der Ringstraße am 1. Mai 1865 wandelte sich Wien von einer feudalen Residenzstadt zu einer modernen europäischen Kapitale von Format. Allerdings nicht zu aller Erbauung!

     Für den österreichischen Schriftsteller und Kulturtheoretiker Hermann Bahr (1863-1934) war die Ringstraße das falsche Wien, ein Boulevard der verwischten Grenze „...wo Pracht und Prunk zu Protz“ geworden sei, ein “Kostümball in der Luft“. Kaum irgendwo sonst sei „...die Bourgeoisie gleich so triumphierend eingezogen, mit einem Banner aus Stein und hauptsächlich Gips.“ Bahr scharfzüngig: le Bourgeois gentilhomme! - Der Bürger als Edelmann! Und auch Adolf Loos (1870-1933), Österreichs Wortführer und Wegbereiter einer modernen Architektur und erklärter Historismus-Gegner, trat 1912/13 mit seinem "Plan von Wien" für eine radikale Revision der Ringstraße ein. Vor allem, um die scharfe bauliche Trennung der Innenstadt von den umliegenden Bezirken durch diese Paradeallee aufzuheben.

     In diesem Jahr feiert die Hauptstadt das 150-jährige Bestehen der Ringstraße mit allerlei Aktivitäten. Darunter ein halbes Dutzend Ausstellungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Auf drei Expositionen sei hier verwiesen.

 

Abbruch und Neubau Von 1858 an wurde sieben Jahre lang mit Spitzhacke und Schaufel demoliert, abgerissen und abgebaut. Dann begann den Bau des Ring-Boulevards mit Prachtpalais, Plätzen und Grünanlagen, die bis heute den Architektur-Ruhm Wiens begründen. Ausstellungsplakat mit einer zeitgenössischen Fotographie © Wien Museum

 

Wien Museum: Architektur Das Haus am Karlsplatz nutzt das Jubiläum, um die Architekturgeschichte der Ringstraße und damit den Weg der Donaumetropole zu einer modernen Großstadt zu beleuchten.

     Der städtebauliche Rückblick wird unter dem Titel „Der Ring. Pionierjahre einer Prachtstraße“ bespielt und nimmt die Jahre vom Planungsbeginn bis zur Eröffnung des Boulevards unter die Lupe.

 

Andreas Groll  Bau der Hofoper, 1865 © Wien Museum. Der Wiener Ringstraßen-Historismus ist ein Gebäude-Stilmix ohne Beispiel. Private wie öffentliche Bauten, so etwa die Hofoper, heute Staatsoper, die Universität und die Börse, wurden im Neorenaissance-Stil errichtet, das Burgtheater im Neobarock und das Rathaus in flämischer Gotik.

 

Noch nie gezeigte Pläne, Entwürfe, Modelle und Fotografien erzählen von Architekten, Malern und Bildhauern auf der Suche nach dem Stil der Zeit, schildern das Nebeneinander von Alt- und Neu-Wien, Baustellen und Brachland, Abbruch und Neubau. Die Ringstraße, ihre großzügigen öffentlichen Gebäude und privaten Paläste wurden letztlich zur Bühne einer Gesellschaft im Umbruch, in der schnell reich gewordenes Großbürgertum gegenüber dem Adel an Bedeutung gewann.

 

Gustav Klimt Medizin (Detail: Hygieia), 1900/07 Fakultätsbild für die Universitäten, Öl auf Leinwand, Farblithografie © Belvedere, Wien

 

Gustav Klimt Frauenbildnis (Ausschnitt) um 1894, Öl auf Leinwand, 168 x 84 cm, Dauerleihgabe aus Privatbesitz, © Belvedere, Wien

 

Hans Makart Die fünf Sinne: Das Gesicht, (Ausschnitt) 1872/1879, Öl auf Leinwand, 314 x 70 cm © Belvedere, Wien

Zugleich wurden aber auch Interessenkonflikte zwischen Kaiserhof, Staat, Militärverwaltung und Stadtverwaltung ausgetragen und mit architektonischen Mitteln symbolisch überhöht. Von 1858 an war die Kaiserstadt für Jahrzehnte eine Riesenbaustelle und ein Versuchslabor für neue Architektur: Die Ringstraße, diese „Via Triumphalis“, wurde durch die Vielfalt von Bauten im Stil des Historismus zur „Hauptstraße des 19. Jahrhunderts“.


Belvedere: Künstler und Sammler Der Begriff „Ringstraßenzeit“ umreißt heute das Idealbild einer verklärten Vergangenheit. Mit der Jubiläums-Ausstellung „Klimt und die Ringstraße“ widmet sich das Belvedere dem künstlerischen Wandel während der rund 50 Jahre dauernden Bebauung der Ringstraße.

     Eine Schau, die also ausschließlich die bildende Kunst Wiens vom 19. und beginnenden 20. Jahrhundert zeigt. Stetige Veränderung, Diskrepanz und Kontinuität sind die Kennzeichen dieser Zeit, die einen rasanten industriellen Aufbruch sah, der alle Bereiche, sei es Ökonomie, Politik, Gesellschaft oder Kunst erfasste.
      Das Belvedere nimmt sich vor allem jener charismatischen Maler und Sammler an, die die Ringstraßenzeit maßgeblich prägten. Ausgehend vom Œuvre des Künstlerfürsten Hans Makart spannt sich der Bogen bis zum Triumph des jungen Malerkollektivs der Künstler-Compagnie rund um Gustav Klimt (mehr). Rekonstruktionen ganzer Dekorationsensembles führen dem Besucher den glanzvollen Lebensstil der „Ära Ringstraße“ vor Augen.

     Da die einzelnen Aspekte der Malerei, Plastik und Architektur bisher überwiegend isoliert aufgearbeitet wurden, fehlen - so das Haus - die Zusammenhänge mit den Sammlern und Mäzenen der Ringstraße, die weitgehend ausgeblendet wurden und die mit der Ausstellung jetzt deutlich werden.

     Gezeigt werden Arbeiten der am Historienbild orientierten Schule Carl Rahls, des Farbenmagiers Hans Makart und des jungen, aufstrebenden Malers Gustav Klimt, der mit frühen Referenzwerken vertreten ist, die Höhepunkt und Abschluss der Malerei der Ringstraßenzeit repräsentieren.

     Die Kuratoren rekonstruierten ferner Ausstattungsbilder unter anderem für das Burgtheater, Entwürfe für die prunkvollen Räume des Palais Epstein und Ausstattungsideen von Gustav Klimt und der Künstler-Compagnie. Stücke aus dem Besitz von Mäzenen wie Friedrich von Leitenberger sind ebenso zu sehen wie Preziosen aus den Sammlungen der Familie Bloch-Bauer (mehr).

     Die Ausstellung erlaubt somit einen differenzierten Blick auf eine Epoche, die mit ihren industriellen Produktions- und Reproduktionsmitteln die Möglichkeiten handwerklicher Erzeugung vielfach übertraf und sich auf der Suche nach einem neuen künstlerischen Wertekanon befand.


Jüdisches Museum: Kunst- und Kulturbeflissenheit Das Wirken jüdischer Bürger an der Entwicklung der „Repräsentationsmeile“ reflektiert die Ausstellung „Ringstraße. Ein jüdischer Boulevard“.

     Von Anfang an war die neue Nobelstraße erste Adresse für Adel und Großbürgertum. Unter den Bauherren der prächtigen Historismus-Palais an der Ringstraße waren zahlreiche jüdische Unternehmer und Bankiers, die zum wirtschaftlichen Aufschwung der Gründerzeitjahre beitrugen und als Kunstsammler und Mäzene in Erscheinung traten.

 

Wiener Ringstraße: Maßgebliche Investoren der pompösen Stadtpalais waren nicht Aristokraten, sondern Bürger der "Geldklasse". Den jüdischen Bürgern war der Erwerb von Grund und Boden durch das 1860 erlassene Gesetz über die „Realbesitzfähigkeit der Israeliten“ erlaubt worden. Rechts im Bild das an der Ringstraße liegende Parlamentsgebäude im griechisch-römischen Stil, ehemals k.k. Reichsratsgebäude. © Wien Tourismus/Christian Stemper, 2015

    

Komfortable und hochherrschaftliche Häuser an der Ringstraße ließen sich unter anderem die aus der Ukraine stammende Bankiersfamilie Ephrussi, die aus dem wohlhabenden jüdischen Bürgertum Prags kommende Familie Epstein und die rumänischen Großhändler Todesco bauen.

     Der Aufstieg einer kleinen, kaisertreuen jüdischen Elite im Wirtschaftsboom der Gründerjahre ist ebenso Thema der Schau wie etwa die Entstehung der Psychoanalyse hinter den Fassaden der Palais. Das Museum stellt die wichtigsten Protagonisten der Ringstraßenära vor und erzählt von Familiensagas, Schicksalen und der Stiftertätigkeit jüdischer Großbürger.

     Der neue Boulevard galt vielen Juden als Zeichen der gesellschaftlichen Akzeptanz und Emanzipation und zahlreiche ihrer Palais wurden mit den „Salons“ zu wichtigen Treffpunkten für Intellektuelle, Wissenschaftler und Künstler.

Claus P. Woitschützke

 

Literaturempfehlung:
Edmund de Waal „Der Hase mit den Bernsteinaugen“, Das verborgene Erbe der Familie Ephrussi. Das Buch zeigt die Geschichte einer einzigartigen Kunstsammlung auf und schildert die tragische Chronik der reichen europäischen Bankiersfamilie Ephrussi zwischen Odessa, Paris, Wien und Tokio. Als Taschenbuch: DTV München, 350 Seiten, ISBN 978-3-423-14212-0

 

Die Ausstellung „Der Ring. Pionierjahre einer Prachtstraße“ wird bis zum 4. Oktober 2015 gezeigt.
Wien Museum
Karlsplatz
1040 Wien
Öffnungszeiten
DI-SO
10-18 Uhr


Die Ausstellung „Klimt und die Ringstraße“ läuft bis zum 11. Oktober 2015.

Unteres Belvedere, Orangerie

Rennweg 6

1030 Wien

Öffnungszeiten

Täglich 10 - 18 Uhr

MI 10 - 21 Uhr

 

Die Ausstellung „Ringstraße. Ein jüdischer Boulevard“ kann bis zum 4. Oktober 2015 besucht werden.
Jüdisches Museum Wien
Standort Dorotheergasse 11
1010 Wien,
Öffnungszeiten
SO-FR 10-18 Uhr
Standort Judenplatz
SO-DO 10-18 Uhr
FR 10-17 Uhr
für beide Mussen gibt es ein gemeinsames Ticket
.

 

 

 

 

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