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rheinische ART 10/2020

Archiv 2020

FACING BRITAIN
Alles aus UK


Ungeschminktes Leben zwischen Aberdeen und Brighton, Belfast und Ipswich: Britische Dokumentarfotografie aus sechs Jahrzehnten über den „English Way of Life“ ist eine bemerkenswerte Wiederentdeckung.

 

Peter Mitchell Leeds, 1975; Kingston Racing Motors in Olinda Terrace. Demolished later in the year. Foto (Auszug) © Peter Mitchell. Fotoquelle IKS Düsseldorf, Museum Goch 2020. Der Fotograf arbeitete als Lkw-Fahrer in den Siebzigerjahren in Leeds und fotografierte während seiner Touren. Er schuf beeindruckende Architektur-, Gesellschafts- und Infrastrukturfotos einer niedergehenden Stadt.

 

Martin Parr, der berühmte britische Magnum-Fotograf, bekannt für gesättigte Farben und helle Beleuchtung, hat in Ausstellungen die Besucher mit bunten Fotos vom Strandleben, von Kleingärtnerei (mehr) oder Skurrilem aus dem Alltag, erheitert. Andere Vertreter der britischen Foto-Szene gerieten darüber ein wenig in den Hintergrund.

 

Martin Parr New Brighton. From 'The Last Resort'. 1983-85 Foto © Martin Parr / Magnum Photos. Fotoquelle IKS Düsseldorf, Museum Goch 2020

 

John Myers Mr. Jackson, 1974, Stourbridge, West Midlands. Foto © John Myers. Fotoquelle IKS Düsseldorf, Museum Goch 2020.

 

Jetzt präsentiert das Museum Goch mit der Schau „Facing Britain“ erstmals nahezu alle wichtigen Fotokünstler und Dokumentaristen von der Insel.

     Über 100 Arbeiten von 34 Lichtbildnern, darunter „wiederentdeckte Positionen wie John Myers, Tish Martha oder Peter Mitchell“ zeigen die Foto-Entwicklung in England, Schottland, Irland und Wales. Dabei wird deutlich: Das Dokumentarische erweist sich als eine der großen Stärken der britischen Fotografie.


Man kann ohne Übertreibung festhalten: Der berühmte Humor der Briten wie auch ihre Ironie sind offenbar auch Wesenszüge und Werkzeuge einiger ihrer Foto-Protagonisten.

     Denn sie bilden Stadt, Land und Leute überraschend facettenreich und originell ab und werfen Schlaglichter auf die nationale Exzentrizität, Mentalität und Tradition. Auf United Kingdom´s Bewohner also, für die offenbar heute mehr denn je gilt: „britain is britain", alles andere ist der „Kontinent".

 

Die Fotokollektion ist allerdings weit mehr als ein skurriles Amüsement. „Facing Britain“ ist das Portrait einer einstigen Weltmacht, die in einer Art merkwürdiger Abgeschiedenheit von „Europa“ lebt – mehr oder weniger in „splendid isolation“ – und dabei einzigartige Fremdartigkeiten erkennen lässt, „…geteilt, ungleich und von Klassen durchzogen.“

     Und dennoch spricht aus den starken und zum Teil berührenden Fotografien im Museum Goch  eine tiefe Zuneigung und Menschlichkeit, eine Liebe zum eigenen Land.

 

Kevin O`Farrell Belfast, 1978/1979 Football supporters Foto © Kevin O'Farrell. Fotoquelle IKS Düsseldorf, Museum Goch 2020.


Der Fotoblick erstreckt sich auf alle prägenden Epochen Großbritanniens zwischen 1963 und 2020. Dokumentiert werden der Niedergang der von Kohleminen und Stahlindustrie geprägten Midlands ebenso wie die Thatcher-Ära mit dem Falklandkrieg und der aktuelle, die Gesellschaft spaltende Brexit.

     Ein Schwerpunkt liegt auf den 1970/80er Jahren, als künstlerische Foto-Doku´s weltweit en vogue wurden. Für den Star Martin Parr sind diese Dezennien „eine prägende Zeit für die britische Fotografie“, wie er zitiert wird.

 

Peter Mitchell Mr & Mrs Hudson, Wednesday 14 August 1974, 11a.m., Seacroft Green, Leeds. “Mir hat gefallen, wie die Leiter den Laden stützt. Sie sind gerade in ein neues Geschäft an derselben Stelle umgezogen, und die Kirche hat ein passendes Facelifting erhalten." Foto © Peter Mitchell, Fotoquelle IKS Düsseldorf, Museum Goch 2020. 

 

Kirsty Mackay My Favourite Colour Was Yellow, 2016. Foto © Kirsty Mackay, Fotoquelle IKS Düsseldorf, Museum Goch 2020

 

Dave Sinclair Black Copper, Newham, London 1985 Foto © Dave Sinclair. Fotoquelle IKS Düsseldorf, Museum Goch 2020.

 

Eine Stärke der Schau besteht darin, dass es ihr gelingt, das Vereinigte Königreich auch abseits üblicher Klischees zu durchleuchten.

      Arbeiten von Kirsty Mackay, Paul Reas oder Robert Darch halten eindrucksvoll die aktuellen Entwicklungen fest und spiegeln die sozialen und politischen Konfrontationen, die gesellschaftlichen Verwerfungen und die Fragen zu Gender, Migration und Konsumverhalten.

     Herausragend Peter Mitchells faszinierende Bildportraits von Fabriken und Kleingewerbeläden in Yorkshire und London, die er selbst als seltsam familiär (strangely familiar) katalogisiert.


Der Besucher in Goch wird daran erinnert, dass in Großbritannien die Fotografie dokumentarischen Inhalts bis in die Achtzigerjahre nicht als autonome Kunstform galt. Nur einzelne Vertreter wie Peter Mitchell oder Tony Ray-Jones konnten anfangs der Siebziger in kleinen Einzelausstellungen brillieren.

      Ray-Jones (1941–1972), ein Verehrer des Magnum-Mitbegründers Henri Cartier-Bresson (mehr), avancierte mit seiner impulsiven direkten Straßenfotografie interessanterweise zum britischen Garry Winogrand (mehr) und zum Wegbereiter der zeitgenössischen Fotografie in seiner Heimat. Der Fotograf damals über seine Intention: „Für mich gibt es etwas sehr Typisches und Humorvolles im 'English Way of Life', und dies möchte ich aus meiner persönlichen Sicht wiedergeben, bevor es noch mehr amerikanisiert wird.“


Die erste große und übergreifende Schau zur britischen Dokumentarfotografie fand auf der Insel erst 2007 statt. Der Ausstellungsort war die Londoner Tate Britain, der Titel How We Are: Photographing Britain. Eine späte Ehrung der britischen Pioniere dieser dokumentierenden Kunstform. Eine weitere ist im Museum Goch zu sehen!
cpw


Die Wanderausstellung wurde von Ralph Goertz konzipiert und ist eine Kooperation des Museums Goch mit dem IKS Düsseldorf. Die nächsten Stationen sind Darmstadt und Goslar.

 

Die Ausstellung Facing Britain. Britische Dokumentarfotografie seit den 1960er Jahren wird bis zum 8. November 2020 präsentiert.
Museum Goch
Kastellstraße 9
47574 Goch
Tel 02823 970811
Öffnungszeiten
DI – FR 10 – 17 Uhr
SA, SO 11 – 17 Uhr

 

 Zitat zu Foto Mr & Mrs Hudson aus: Peter Mitchell From Leeds to London, portraits of English cities in the 1970s – in pictures. Leeds 2016.

 

 

 

 

 


 

 

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