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rheinische ART 12/2020

Archiv 2020

JAPAN
Erwin Baelz und die Onsen


In Deutschland kennt man ihn kaum noch. Doch in Japan begegnet man Erwin Baelz (1849 - 1913) an vielen Orten. So manche Straße ist nach dem Deutschen benannt, so manches Denkmal ihm gewidmet.

 

Sainokawara Park Heiße Quellen sprudeln aus Vulkangesteinen und speisen das größte Freibad von Kusatsu Onsen. Die Kleinstadt zählt über 100 heiße Quellen, die pro Minute rund 30.000 Liter mineralhaltiges Heißwasser an die Oberfläche befördern. Das Wasser ist bekannt für seinen hohen Säuregehalt, der ausreicht, um verschiedene Arten von Bakterien abzutöten. Foto © Kusatsu Tourist Association

 

Der Internist und Anthropologe wurde 1876 von der japanischen Regierung als „Kontraktausländer“ (o-yatoi gaikokujin) für zwei Jahre an die Universität Tokio verpflichtet, wo er als Professor der Medizin und Physiologie arbeitete. Aus den zwei Jahren wurden schließlich 29 und Baelz zu einem der großen Förderer der modernen japanischen Medizin – und zu einem unvergessenen Arzt.

 

Erwin Baelz im Jahre 1893. Foto © Stadtmuseum Hornmoldhaus Bietigheim

 

 

Erwin Baelz (stehend links vorne) und der Chirurg Julius Karl Scriba (getragen) während einer Exkursion in Japan. Fotoquelle © Stadtarchiv Bietigheim

 

In Zeiten von Corona geht mancher Blick nach Fernost. Sind die dortigen Infektionszahlen, ob in Japan oder andernorts, doch bemerkenswert niedrig. Hat das was mit Erwin Baelz zu tun? Irgendwie schon! Denn der aus dem schwäbischen Bietigheim stammende Mediziner war auch Fachmann für Tropenkrankheiten und Seuchen.


Baelz´ Tätigkeit in Japan fiel in die Meiji-Ära (1868–1912). Jener Restaurationsphase, in der sich Japan in atemberaubendem Tempo – nämlich innerhalb von nur 30 Jahren – von einer mittelalterlich agrar-feudalistischen Gesellschaft zu einer nach westlichem Vorbild konzipierten imperialen Großmacht wandelte.

     Während bis dahin die Heilkunde Chinas dominierte, brachte die Meiji-Ära eine Revolution. Westliche Wissenschaft war nun gefragt und zahlreiche ausländische Ärzte, darunter mehrere Deutsche, kamen als Berater ins Land.


Dass viele Krankheiten im damaligen Japan endemisch waren, fiel dem Arzt Erwin Baelz früh auf. Als sich 1882 eine Cholera-Epidemie in Tokio ausbreitete, beaufsichtigte er die Quarantäne-Krankenhäuser.

     Später schrieb er ein Memorandum „zur Vermeidung von Seuchen“ mit praktischen Vorschlägen für allgemeine Zwecke und zur Verbesserung der Hygiene. Auch Lepra grassierte in dem Inselreich. Baelz veröffentlichte hierzu mehrere medizinische Artikel. Diejenigen über Hygiene und über die Prophylaxe gegen die Vitaminmangelerkrankung Beri-Beri gehören zu den bekanntesten.


Die Karriere dieses Mannes gilt als eine der erstaunlichsten jener Zeit. Mit nur 27 Jahren, nach einem Medizinstudium in Leipzig, folgte der junge Baelz einem Ruf nach Japan.

     Er forschte und lehrte nicht nur in Tokio, sondern wurde zum Leibarzt des Kronprinzen und späteren Tenno ernannt und heiratete eine japanische Adelige namens Hana. Als er das Land 1905 nach drei Jahrzehnten verließ, verlieh ihm der japanische Kaiser das „Großkreuz der aufgehenden Sonne“.

     In Stuttgart, wo er seinen Lebensabend verbrachte, ehrte man den Arzt im selben Jahr mit dem Kommenturkreuz des „Ordens der Württembergischen Krone“, an den ein persönlicher Adelstitel geknüpft war. Fortan hieß der Forscher Erwin Otto Eduard von Baelz.

 

Onsen-Eier (Onsen-Tamago) sind in heißem Quellwasser gegarte Eier. Im Gegensatz zum üblichen Eierkochen werden sie rund eine Stunde bei bis zu 69° C ins Wasser gelegt. Dadurch gerinnen Eiweiß und Dotter nur leicht und nehmen eine wachsweiche Konsistenz an. Sie ähneln den in der deutschen Küche bekannten „verlorenen Eiern“. Foto © JNTO/ Japan National Tourism Organization

 

Yubatake (Heißwasserfelder) in Kusatsu Onsen. Heißes Wasser steigt aus Quellen zur Oberfläche, wird durch Holzrinnen geleitet, wodurch es sich abkühlt, aber seine mineralischen Bestandteile behält. Von dem Sammelbecken wird es dann in die öffentlichen Bäder der Umgebung abgepumpt. Foto © rheinische ART 2020

 

Utagawa Hiroshige Bild aus der Farbholzschnitt-Serie „Die 53 Stationen des Tōkaidō" (Ukiyo-e), erste Hälfe des 19. Jh.. Es zeigt eine Frau in einem Quellbad in Hakone, Foto © Tokyo Metropolitan Fundation for History and Culture Image Archives, Fotoquelle: Japanische Botschaft Berlin 2018

 

Öffentliches und kostenfreies Badehaus in Kusatsu Onsen. Foto © rheinische ART 2020

 

Japan ist bekanntlich ein Land mit jahrtausendalter Badekultur und unzähligen Thermalbädern, den Onsen. Ein Ort verdankt Erwin Baelz seinen weltweiten Ruhm als Onsen-Hochburg und Gesundbrunnen, als herausragender Badeplatz mit extrem heißem Quellwasser.

     Es ist das kleine Städtchen Kusatsu, drei Bahnstunden nördlich von Tokio. Denn Baelz hatte auch einen Blick für Bade- und Heilquellen und deren einzigartige Wirkung. Die rund 100 alten und schon von Samurai geschätzten Thermalquellen von Kusatsu gelten als äußerst gesundheitsfördernd. Der Ort ist einer von drei berühmten Onsen-Resorts und hochfrequentiert.

     Baelz hatte das Potential der Quellen erkannt und den Ausbau zu einem balneologischen Zentrum vorangetrieben, wovon heute ein Museum im Ort zeugt. Kusatsus Wahrzeichen ist das Yubatake, ein Feld heißen Wassers im Zentrum der Kleinstadt.

 

Neben der Medizin interessierte sich Baelz als Anthropologe für das Leben in Fernost. Er führte unter anderem Volkskunde-Studien bei den auf Nord-Hokkaido lebenden Ainu, der japanischen Urbevölkerung (mehr), durch. In seinen Tagebüchern vermerkte er: „Wer ein fremdes Volk verstehen will, der muß sich notwendigerweise in dasselbe, in seine Denk- und Auffassungsweise einzuleben versuchen.“

     Das waren fast revolutionäre Einsichten in einer weltpolitischen Phase, in der in der westlichen Welt das Stereotyp der „Gelben Gefahr“ vorherrschte.

 

Anders die Kunst jener Jahrzehnte. Sie war derartigen Klischees längst davon geeilt. Denn mit dem Japonismus ab den 1870er Jahren (mehr) kamen ganz andere Impulse aus diesem Teil der Welt nach Europa, so etwa die japanische Ukiyo-e-Malerei, der „Bilder der fließenden Welt“ (mehr).

     Auch Erwin Baelz erlag der Schönheit japanischer Kunst und Poesie. Er wurde zum leidenschaftlichen Sammler. Werke seiner Kollektion sind heute im Stuttgarter Linden Museum und vor allem im Bietigheimer Stadtmuseum zu sehen (virtueller Rundgang ► hier). 

cpw

 

Die Meiji-Reformen im medizinischen Bildungssystem Japans erfolgten nach deutschem Vorbild. Zur Einführung und Umsetzung wurden deutsche Ärzte als Lehrer an der Elite-Hochschule Tōkyō-Universität (Todai) angestellt.

     Zu den ersten Medizinpionieren, die dort unter Mühen die Basis für eine moderne Heilkunde legten, gehörten der Arzt und Ethnologe Philip Franz von Siebold, der Heeresoberstabsarzt Leopold Müller, der Marinestabsarzt Theodor Hoffmann sowie der Gynäkologe Albrecht L. Agathon Wernich. Ihre Tätigkeit führten weitere deutsche Mediziner fort. Neben Erwin Baelz die Chirurgen Julius Karl Scriba und Wilhelm Schultze, Friedrich Karl Wilhelm Doenitz, Alexander Langgaard sowie der Anatom und Histologe Joseph Disse.


► In einer Denkschrift an die Regierung betonten führende japanische Mediziner, dass die deutsche Heilkunst den ersten Platz in der Welt einnehmen würde und darum der Medizinunterricht im Wesentlichen nach deutschem Muster eingerichtet werden müsse. Die folgende Zeit wird in der japanischen Medizinhistorie als deutsche Ära bezeichnet.

 

Stadtmuseum Hornmoldhaus
Hauptstraße 57
74321 Bietigheim-Bissingen
Tel.: 07142/74 361 oder
07142/74 352


Linden-Museum Stuttgart
Staatliches Museum für Völkerkunde
Hegelplatz 1
70174 Stuttgart
T +49 [0]711.2022-3

 

 

 

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