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rheinische ART 12/2020

Archiv 2020 

BEUTEKUNST
„Kriegsbedingt verlagert“


Gelegentlich gibt es Ausstellungen, die sähe man sehr gerne auch innerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Deutschland.

 

Rechteckiges bronzenes Gürtelblech (26 x 5,1 cm) mit getriebener, figürlicher Verzierung aus dem Fundkomplex Stična (Zentralslowenien). Die Figurengruppe zeigt eine kultische Prozession. 1978 übergab die Sowjetunion das antike Kunstwerk dem Museum für Völkerkunde Leipzig, es kehrte 1993 nach der Wiedervereinigung in das Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte zurück. Foto © SPK / photothek.net / Janine Schmitz

 

Bei der Schau „Eisenzeit. Europa ohne Grenzen“, die aktuell in der kleinen Eremitage von Sankt Petersburg gezeigt wird, ist dies nicht zu erwarten.

     Die vorrömische Eisenzeit ist eine spannende Periode, ausgestellt werden hierzu 1600 Exponate. Rund die Hälfte davon ist „Beutekunst“ aus Nazi-Deutschland, oder „Trophäenkunst“, wie man in Russland auch dazu sagt. Es sind Kunstwerke dieser Epoche aus Berliner Museen, die seit 1945 als „kompensatorische Restitution", so die offizielle russische Sprachregelung, dem russischen Staat gehören.

     Derartige Objekte müssten, sobald sie deutschen Boden erreichten, unverzüglich von der deutschen Staatsanwaltschaft beschlagnahmt werden.

 

Blick in die Ausstellung „Eisenzeit. Europa ohne Grenzen“ in der ehemaligen Reithalle (kleine Eremitage) des Palastgebäudes in St. Petersburg. Foto © The State Hermitage Museum / Alexej Bronnikow, St. Petersburg 2020

 

Denn sie gelten als völkerrechtswidrig von Russland vereinnahmt. Diplomatisch formuliert tragen die Objekte einen ganz anderen Titel: es sind „kriegsbedingt verlagerte“ Kulturgüter! Der Begriffswirrwarr macht deutlich, wie heikel die Thematik im bereits tief gesunkenen deutsch-russischen Verhältnis ist und dass einstweilen diese Ausstellung in Deutschland undenkbar ist.

 

Fragment eines durchbrochenen Beschlags (Bronze) 5 x 1 x 6 cm, Foto © Staatl. Museen zu Berlin, Museum für Vor- und Frühgeschichte, Claudia Klein

 

Derzeit läuft in der Russischen Föderation das deutsche Kulturjahr. Eine Initiative, die im September startete, aber in der hiesigen Öffentlichkeit leider vergleichsweise wenig Resonanz erfahren hat.

     Eines der Highlights des Deutschlandjahres ist die „Eisenzeit“-Ausstellung. Zu sehen sind jene archäologischen Kostbarkeiten, die nach Kriegsende von sowjetischen Kunstkennern eingesammelt und in den Kunst-Katakomben von Moskau, Leningrad – heute St. Petersburg – oder in der Provinz verschwanden.

     Besonders betroffen von den Zugriffen der „Trophäenkommissionen“: das Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte (MVF), das nach wie vor als rechtmäßiger Eigentümer vieler Beutekunstwerke gilt.

 

Restaurierte Victoria von Calvatone in einer Ausstellung 2019 in der Petersburger Eremitage. Einst thronte sie majestätisch auf einer überdachten Verbindungsbrücke zwischen Altem und Neuem Museum in Berlin. Die 1,70 Meter hohe vergoldete Frauenfigur wurde zum Symbol der Berliner Antikensammlung, ähnlich der Nike von Samothrake im Louvre. Foto © The State Hermitage Museum St. Petersburg 2019

 

Zeichnung der Victoria von Calvatone von 1891. Aus: Alexander Conze. Kgl. Museum zu Berlin. Beschreibung der antiken Skulpturen mit Ausnahme der pergamenischen Fundstücke. Berlin 1891. Foto Wikipedia gemeinfrei.

 

Beutekunst ist ein unendliches Thema. Immer wieder kommen hochkarätige Kunstwerke, die als verschollen galten, aus Geheimdepots ans Tageslicht.

     Für viele Schlagzeilen sorgte zum Beispiel 2015 das Auftauchen der römischen Plastik Victoria von Calvatone. Der Verbleib der geflügelten Siegesgöttin, die als größter Kriegsverlust der Berliner Antikensammlung galt, war bis dahin völlig unbekannt.

     Im Sommer 1945 entdeckten Rotarmisten die Skulptur in der zerstörten Berliner Reichsmünze am Molkenmarkt und übergaben sie einer „Trophäenkommission“, die die Preziose in die Sowjetunion verbrachte. Im Jahre 2019 wurde die Victoria nach aufwändiger Restaurierung erstmals in einer Ausstellung in der Eremitage gezeigt.


Das grenzenlose Europa, von dem die Rede ist, ist die Zeit rund 1000 Jahre v.Chr., als zwischen dem Atlantik und dem Uralgebirge mit der Verhüttung von Eisen eine neue Epoche begann. Sie löste fließend die Bronzezeit ab, da sich der härtere und elastischere Werkstoff Eisen der Bronze überlegen zeigte.

     Mit diesem technologischen Sprung, der archäologisch gut belegt ist, veränderte sich das grenzenlose Europa fundamental: kulturell, kriegstechnisch und gesellschaftlich.

     In der „Eisenzeit“-Exposition, die im Übrigen in russisch-deutscher Kooperation realisiert wurde, sind nun Hunderte vor- und frühgeschichtliche Arbeiten erstmals seit 1939 wieder öffentlich zu sehen. Darunter so Berühmtheiten wie der paläolithische Schädel von Le Moustier in Frankreich, der bronzezeitliche Schatzfund von Eberswalde, die hallstattzeitlichen Grabfunde aus Stična in Slowenien oder die Sammlung trojanischer Altertümer Heinrich Schliemanns.

 

Figurine eines Speerwerfers (Bronze). B. 7,0 cm; H. 25 cm. Anfang 5. Jh. v.Chr. Fundort unbekannt, wahrscheinlich Umbrien bzw. etruskisch-italienisches Gebiet. Foto © Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Vor- und Frühgeschichte / Claudia Klein

 

Skythisches Gefäß als ein frühes Beispiel der Schmiedekunst in der Eisenzeit. Foto Terrebenin © The State Hermitage Museum St. Petersburg

 

Dies alles ist überaus bemerkenswert und kommt eigentlich einer Sensation gleich.

     Aber wer will oder kann unter dem Covid-19-Druck schon diese Präsentation besuchen? Und wer insgeheim hofft, dass nach Ende der Pandemie diese Ausstellung in einem deutschen Schauhaus gezeigt wird, der hofft vergebens.

     Zwar reichte die Sowjetunion (und später Russland) schon vor Jahrzehnten erbeutete Kunstwerke an die DDR zurück -siehe Bild oben-, doch waren die russischen Experten unnachgiebig für Wünsche aus der Bundesrepublik. Kategorisch lehnte vor allem die jüngst verstorbene Kunsthistorikerin Irina Antonowa (1922 –2020) jegliche Zurückgaben ab. Ihre Stimme hatte bis zuletzt Gewicht.

 

Wie es sich gehört, existiert ein zweisprachiger Katalog; er ist 700 Seiten stark.

     Eine Seite beinhaltet das Vorwort der Staatsministerin für Kultur, Monika Grüters. Darin erinnert die Kulturpolitikerin an den 1998 in Russland gefassten Duma-Beschluss („Beutekunstgesetz“), wonach die sowjetischen Kunstbeutezüge für rechtmäßig und die Kunstwerke als Trophäen zum nationalen russischen Besitz erklärt wurden.

     Monika Grüters bekräftigt den deutschen Anspruch auf Rückgabe der Exponate und macht klar, dass die russische Verfahrensweise völkerrechtswidrig sei, da nach der Haager Landkriegsordnung von 1907, auf die sich Deutschland bezieht, Kulturgüter nicht als Kriegsbeute eingestuft werden dürften. Grüters: „Die Ausstellung ist ein weiterer ermutigender Schritt und auch ein wichtiger Impuls im Dialog über das für beide Seiten schwierige und schmerzhafte Thema der kriegsbedingten Kulturgutverlagerungen.“
     Begrüßenswert ist, dass es eine virtuelle Fassung der Ausstellung geben wird. Dann können auch hierzulande die Exponate wenigsten digital bestaunt werden. Es heißt also: Abwarten und russischen Tee trinken, es wird sich lohnen.
ruwoi


„Eisenzeit. Europa ohne Grenzen“ ist die dritte in einer Reihe von Ausstellungen (nach „Merowingerzeit“ 2007 und „Bronzezeit“ 2013), in der kriegsbedingt nach Russland verlagerte Objekte des Berliner Museums für Vor- und Frühgeschichte wieder zu sehen sind. Die Exponate stammen aus der Staatlichen Eremitage St. Petersburg, dem Staatlichen Historischen Museum Moskau, dem Staatlichen Museum der Bildenden Künste A. S. Puschkin und aus dem MVF der Staatlichen Museen zu Berlin.


Die Ausstellung „Eisenzeit. Europa ohne Grenzen“ wird an zwei Standorten gezeigt:

 

♦ Staatliche Eremitage 
St. Petersburg: 11. November 2020
bis 28. Februar 2021

♦ Staatliches Historisches Museum,
Moskau: 15. April bis 15. Juli 2021

 

 

 

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