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rheinische ART 06/2014

Archiv 2014

IN EINER OPULENTEN WERKSCHAU
„Kasimir Malewitsch und die russische Avantgarde“

 

Auf dem Weg in den Suprematismus und darüber hinaus

 

Kasimir Malewitsch, Suprematismus, 1915, Öl auf Leinwand, Verbund des Historisch - Heimatkundlichen Museums und Kunstmuseums, Tula

 

Zusätzlich zur vergangenen Ausstellung „1914 - Die Avantgarden im Kampf“, die sich vornehmlich mit deutschen Künstlern beschäftigte, ist in der Bundeskunsthalle - durch die Ausstellung von Kasimir Malewitsch (1878-1935) - auch die östliche, die russische Hemisphäre mit in den Erinnerungs-Zyklus „100 Jahre Erster Weltkrieg“ involviert.

 

Der Rundgang in dem Bonner Haus umfasst 13, vorwiegend chronologisch geordnete Stationen, die die Entwicklung des Künstlers in über 300 Werken von den Anfängen bis hinein ins Spätwerk detailliert nachzeichnen.
     Die Werkschau ist in ihrer Zusammenstellung und Präsentation grandios und einzigartig. Über den Einbezug des Malewitsch-Fundus des Stedelijk Museum, Amsterdam – des größten Werkbestands außerhalb Russlands – und des Tate Modern, London hinaus wurden Werke aus den bedeutenden Sammlungen Chardschijew und Kostakis zusammengetragen und durch Leihgaben weiterer bedeutender internationaler Häuser ergänzt. Der vor etwa fünf Jahren gefasste Plan einer Retrospektive von Malewitsch' Œuvre wurde sukzessive verwirklicht. Die Ausstellung wurde zunächst in Amsterdam präsentiert, ist nun in Bonn zu sehen und wird danach in der Tate Modern gezeigt werden.

 

Kasimir Malewitsch, Landschaft mit drei roten Häusern, 1911, Gouache auf Papier, Privatsammlung, Courtesy Schroder Trust SA

Raum 1 Impressionistische Anfänge (1904-07) und Raum 13 Epilog (1933-35) Malewitsch als der namhafteste Maler der Abstraktion war in seinen Anfängen durchaus impressionistisch. Dass sein berühmtestes Konstrukt, der Suprematismus, im Leben des Künstlers nur eine Episode war, zeigt sein Spätwerk, das sich wieder der gegenständlichen Malerei zuwendet.
      Wie durch ein Tor gebildet aus zwei impressionistisch beeinflussten Gemälden, von denen das eine an der Wand der Station 1 und das andere an der letzten, der Station 13, hängt, gelangt der Besucher hinein in eine, diverse Strömungen aufnehmende und ausprobierende Flut an höchst heterogen gestalteten Gemälden, Skulpturen und Gebrauchsgegenständen. Dass Früh- und Spätwerk durch den Rekurs auf die impressionistische Sicht der Dinge zusammengehalten werden, indiziert ein Statement des späten Malewitsch: „Die Welt als Empfindung der Idee, unabhängig vom Bild – das ist der wesentliche Inhalt der Kunst.“ (1927)

 

Kasimir Malewitsch, Bühnenentwurf für die Oper „Sieg über die Sonne",, 2. Akt, 5. Szene, 1913, Bleistift und Aquarell auf Papier,  Staatliches Museum für Theater und Musik, St. Petersburg

 

 

Kasimir Malewitsch, Selbstporträt in zwei Dimensionen, 1915, Öl auf Leinwand, Stedelijk Museum, Amsterdam (Eigentum anerkannt in Übereinkunft mit den Malewitsch-Erben 2008)

 

Raum 4 Sieg über die Sonne (1913) Wie für Max Ernst, dessen Anfänge derzeit in Brühl zu bestaunen sind, scheint zudem auch für Malewitsch zu gelten: „Seine Augen trinken alles.“ Interessant ist, dass bereits in der Phase des Erprobens in Kollaboration mit andern bei Max Ernst der Dadamax und bei Malewitsch der Suprematismus geboren wurden. Bereits vor den dadaistisch anmutenden Werken „Ein Engländer in Moskau“ (1914) und „Komposition mit Mona Lisa / Partielle Sonnenfinsternis in Moskau“ (1915/16) entwirft Malewitsch für den Akt der ersten und einzigen futuristischen Oper „Sieg über die Sonne“, 1913 uraufgeführt in St. Petersburg, „da der Sieg stattfindet“, ein Bühnenbild, das erstmals ein „suprematistisches Quadrat“ zeigt.
     In die Tiefe eines weißen Quadrats ist wiederum ein Quadrat eingestellt, das durch eine Diagonale in zwei Flächen, eine schwarze und eine weiße unterteilt ist. Betitelt ist die Skizze mit „Fünftes Bild“. Nachträglich wurde dann der Titel um den Zusatz „Quadrat“ ergänzt. Entscheidend dabei ist aber nicht, was oben, was unten ist; Malewitsch selbst hängte das die Präsentation eröffnende Bild „Suprematismus: Selbstportrait in zwei Dimensionen“ (1915) einmal wie in der Schau gezeigt und ein weiteres Mal anders herum, quasi über Kopf.

 

Kasimir MalewitschKostümentwürfe für die Oper „Sieg über die Sonne“, Futuristischer Kraftmensch, 1913, Bleistift auf Papier, Staatliches Museum für Theater und Musik, St. Petersburg

 

     Der begleitende Text von Alexej Krutschonych stellt den Bezug zur vergangenen großen Bonner Ausstellung, zu „1914“ (mehr), am deutlichsten her: „Wir beginnen den Kampf gegen das Weltall. Wir fordern die Welt gegen uns heraus“, heißt es zu Beginn; und zuletzt: Die futuristischen Kraftmenschen – für die Malewitsch die Kostüme entwarf – kommen herein: „Anfang gut, alles gut, was ohne Ende ist. Die Welt wird vergehen, doch wir sind ohne Ende!“
     Pathos und Hybris spielten einen nicht unerheblichen Grund für den Hurra-Patriotismus, der viele zum Krieg verführte – auch wenn beispielsweise Ernst im Abstand von mehr als 40 Jahren nach Ende des Ersten Weltkriegs zu August 1914 notierte: „Und dann die große Schweinerei. Niemand aus dem Freundeskreis hat ’s eilig, sein Leben für nichts und wieder nichts zu opfern, für Gott, König und Vaterland.“ (Doch Tatsache ist: Ernst meldete sich freiwillig.)

 

Kasimir Malewitsch, Rotes Quadrat (Malerischer Realismus einer Bäuerin), 1915, Öl auf Leinwand, Staatliches Russisches Museum, St. Petersburg

 

Raum 7 (Bildlicher) Suprematismus (1915-22) Im Zentrum der Ausstellung stehen die suprematistischen Bilder, für die Malewitsch berühmt wurde. Der Begriff Suprematismus ist abgeleitet von lateinisch supremum, das Höchste. Diesen Superlativ verwendet Malewitsch für die höchste Form der Kunst als die Reduktion auf geometrische Grundelemente (vornehmlich Kreis und Quadrat) als Formwerte, als Äquivalente „reiner Empfindung“, wie er im „Suprematistischen Manifest“ (1915) ausführt.
     Dieser Sichtweise zufolge sind weder das „Rote“ noch das berühmtere „Schwarze“ Quadrat nicht die Vollendung, sondern der Anfang, „der Keim“ aller Kunst, wie die Kuratorin Agnieszka Lulinska, betont. Das Ende hingegen ist die Aufhebung aller Bipolarität in Monochromie: „Weiß auf Weiß“ (1917). Doch selbst die Ausführung dieser Komposition zeigt noch einen Hauch von Differenz sowohl in der Divergenz der Farbigkeit der beiden Flächen als auch in der zusätzlichen Markierung der Objektgrenze des weißen Quadrats im Vordergrund.

 

Kasimir Malewitsch, Weiblicher Torso, 1928/29, Öl auf Sperrholz, Staatliches Russisches Museum, St. Petersburg

 

Kasimir Malewitsch, Arbeiterin, 1933, Öl auf Leinwand, Staatliches Russisches Museum, St. Petersburg

 

Raum 12 Supranaturalismus (1928-35) Ein Highlight der Ausstellung ist zudem das vielschichtige Spätwerk, das selten gezeigt wird. Nach knapp zehnjähriger Abstinenz fing Malewitsch noch einmal zu malen an. Auslöser hierfür ist seine Reise über Warschau nach Berlin. Angesichts der unklaren Situation in seiner Heimat, der Sowjetunion, in der mittlerweile Stalin herrschte, übergab er die 70 Werke, die er auf seiner Vortragsreise mit sich führte, dem Architekten Hugo Häring zur Verwahrung.
     Zurück in seiner Heimat schaffte der Künstler Bildwelten, die vornehmlich Bauern und Bäuerinnen zeigen. Selbst die suprematistischen Bilder hatten noch Bezug zur bäuerlichen Welt. Das „Rote Quadrat“ heißt eigentlich „Malerischer Realismus einer Bäuerin in zwei Dimensionen“. Sofern Ober- und Unterkörper der Personen untergliedert sind, erfolgt die Teilung bei Männern zumeist streng achsensymmetrisch in links und rechts der Körpermitte befindliche Segmente. Der Rumpf der Frauen hingegen ist fast immer in zwei Kegeln, je einen für Ober- und Unterkörper dargestellt. Auch die auf dem Hals sitzenden Eierköpfe beiderlei Geschlechts sind meist ein- oder zweifarbige Flächen, häufig ohne jede Andeutung von Gesichtszügen.
     Dieser „Prototyp eines neuen Bildes“, so der Untertitel zu „Torso“ (1928-32) scheint den neuen, den entindividualisierten, zwangskollektivierten Menschen der Stalinzeit zu kritisieren. Die Freiheit der Kunst war damit zu Ende. Was an Ausweg blieb, war entweder vorsichtige Kritik oder Verstellen. Letzteres gelang im Darstellen bäuerlichen Lebens als verklärt und idealisiert, aber vordatiert: auf die vorrevolutionäre Zeit.
     So findet Malewitsch am Ende seines Lebens in den „Supranaturalismus“: Der Mensch ist seinem Wesen nach Natur, genauso wie die Welt, in der er lebt, aber eben nicht nur. Er ist (auch) ein zum Suprematismus (zumindest) fähiges Lebewesen.
Georg Simet


Die Ausstellung „Kasimir Malewitsch und die russische Avantgarde“ wird bis zum 22. Juni 2014 gezeigt.
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland
Museumsmeile Bonn
Friedrich-Ebert-Allee 4
53113 Bonn
Tel. 0228 / 502010
Öffnungszeiten
DI, MI 10 - 21 Uhr DO - SO und feiertags 10 - 19 Uhr 

 
 
 
©Alle Fotos (8) Bundeskunsthalle bzw. Leihgeber

 

 

 

 

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