Archiv 2014
IM GESPRÄCH
Angewandte Kunst
Bereits zum dritten Mal findet die Präsentation von Angewandter Kunst auf der Raketenstation in Neuss statt. Ideengeber und Organisatoren dieses Auftritts mit dem Titel „Station Angewandte Kunst“ sind der japanische Künstler Katsuhito Nishikawa und der auf Vintage spezialisierte Galerist Martin Bohn aus Köln. Die rheinische ART. traf sich mit ihnen im Atelier des Künstlers, wo zeitgenössische Kunst gegenwärtiger nicht sein kann. Im Raum stand die Frage: „Was darf man darunter verstehen, unter `Angewandte Kunst´“? Unversehens fand man sich wieder im Gespräch über Kunst, Angewandte Kunst, Kunsthandwerk ...
Im Gespräch: Der japanische Künstler Katsuhito Nishikawa in seinem Atelier. Foto ©rART
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rheinische ART. Die erste Frage ist naheliegend: Was ist die Station Angewandte Kunst? Und die zweite: Was will die Station Angewandte Kunst? Gibt es darauf eine konkrete Antwort?
Nishikawa Ja, das meint, dass man Angewandte Kunst auch als Kunst betrachtet. Karl- Heinrich Müller, der Gründer und Stifter der Insel Hombroich, hatte diesen Gedanken. Sie können es auf der Museumsinsel nachvollziehen. Dort sind Angewandte Kunst und Kunst gemeinsam ausgestellt, und alles ist Kunst. Diesen Gedanken wollen wir auf der Station weiterführen.
Sie meinen damit, Karl-Heinrich Müller hatte kein Problem damit, Kunsthandwerk als Kunst zu betrachten.
Nishikawa Ja.
Und das ist eine Tradition, die Sie hier fortführen möchten?
Nishikawa Das war ein Grundgedanke, als wir hier angefangen haben.
Jetzt bereiten Sie die dritte Ausgabe der Station vor. Hat sich etwas geändert zu den vorherigen?
Nishikawa Es ist ein Prozess. Wir versuchen, mit verschiedenen Händlern, aber auch Künstlern, das Konzept, oder, wenn Sie so wollen, - den Gedanken -, zu klären. In der Folge haben wir immer andere Leute eingeladen, die unserer Grundidee entsprechen und diese mit uns tragen.
Im Gespräch: Der Galerist Martin Bohn. Foto ©rART
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Nun kennen Sie als Japaner ein anderes Verhältnis zu Kunstgewerbe und Kunsthandwerk als bei uns üblich.
Nishikawa In Japan ist es traditionell anders. Die begrifflichen Grenzen waren und sind dort nicht so eng gesteckt wie im Westen. Früher gab es nur das Kunsthandwerk und wir haben es immer als Kunst betrachtet. Deswegen ist es für mich nicht schwierig, Begriffe wie „Kunst“ und „Kunsthandwerk“ miteinander zu assoziieren. Aber ich habe das Gefühl bekommen, dass heute, in Europa oder mit Blick auf Deutschland, beispielsweise das originale Vintage-Möbel auch als „Kunst“ betrachtet wird. Ich glaube, früher nicht, oder? Aber Martin, wie siehst Du es, dass Vintage-Objekte heute wie, oder fast wie, Kunst betrachtet werden?
Bohn Hier möchte ich ganz einfach an das Statement von Erwin Heerich erinnern, der meinte: „Es gibt gewisse Unterschiede zwischen Möbeln und Skulpturen. Möbel haben eine Funktion, Skulpturen keine. Dennoch kann ein Stuhl eine gute Skulptur sein.“ Und wenn man dann berücksichtigt, dass ein Vintage-Stuhl im Idealfall nicht mehr produziert wird, oder gar einer kleinen Serie oder Edition entstammt, dann wird es richtig spannend.
Werden denn die Vintage-Möbel real benutzt? Ein Kunstobjekt stelle ich wohin oder hänge es mir an die Wand. Ein Möbel benutze ich?
Nishikawa Der Unterschied ist: das eine hat eine Funktion, das andere hat keine Funktion. Und nun lautet die Frage: Wie geht man mit dieser Funktion um?
Bohn Ich kenne Sammler, die die Exponate auch benutzen, das sind mir die Liebsten. Die meisten stellen sie aber in Vitrinen oder auf den Sockel, betrachten sie nur, haben Gefallen und Freude daran, ... halt wie an gesammelter Kunst.
Sie sprechen in Ihren Informationen davon, dass Sie sich nicht mit der üblichen Interpretation des Kunsthandwerks gleichsetzen möchten.
Nishikawa Ich glaube, Kunst ist das Wesen des Menschen. Wie die Menschen leben. Das meint nicht ein konkretes Gemälde oder einen konkreten Stuhl. Und ob „es“ nur gesehen oder auch genutzt wird, ist, glaube ich, nicht so wichtig. Beide sind meiner Meinung nach Kunst.
Ihr Angebot für die interessierten Besucher – was umschließt das alles?
Nishikawa Ich weiß nicht genau, ob der Besucher dieses Konzept verstanden hat oder nicht. Wir haben dem den Titel „Angewandte Kunst“ gegeben, nicht „Kunst“. „Angewandte Kunst“ bedeutet für mich, dass „Kunst“ eine Funktion hat. Das ist „Angewandte Kunst“ und wir haben bewusst nicht „Kunstgewerbe“ oder „Kunsthandwerk“ geschrieben.
Bohn Das zeigt sich im Grunde auch in den ausgewählten Exponaten. Katsuhito hat ganz bewusst Exponate ausgesucht, die das breite Spektrum widerspiegeln, vom Fußbodenbelag zur Edition, vom Druck zur Fotografie bis hin zum traditionellen Handwerk.
Nishikawa Ich denke, dies trifft den Kern der Thematik. Zum einen ist da der grundsätzliche Unterschied zwischen Edition und Unikat. Fasst man die klassischen Begriffe „Kunstgewerbe“ und „Kunsthandwerk“ unter „Angewandter Kunst“ zusammen, so umfasst dieser Begriff auch die Möglichkeit der Edition beziehungsweise der seriellen Fertigung.
Der zweite Grundgedanke ist die Funktionalität. In unserer Schau zeigen wir „Angewandte Kunst“, doch das ist etwas ganz anderes, als „Kunst“ ausstellen. Wir betrachten die Objekte als „Kunst“, aber diese Kunst hat eine Funktion.
Dennoch gibt es Parallelen zu einer „klassischen“ Kunstausstellung, etwa darin, dass die Urheberschaft der ausgestellten Arbeiten stets genannt wird.
Nishikawa Das stimmt. Um eben diesen Gedanken, dass wir „Angewandte Kunst“ als „Kunst“ betrachten, deutlicher zu machen, haben wir extra Objekte mit einer Künstlerherkunft ausgewählt. Sie finden bei uns keine anonymen Produkte oder Antiquitäten.
Herr Bohn, was ist Ihre Rolle bei der Station Angewandte Kunst?
Bohn Als Galerist zeige ich Exponate meiner Edition. Das sind einmal die Möbelentwürfe von Katsuhito Nishikawa , Nikolaus Bienefeld und Klinken- und Schmuckentwürfe von Ingrid Gossner. Als Sammler zeige ich 50 Hocker, ausgesuchte Vintage Entwürfe, die zur Ausstellung auch in einer kleinen Publikation veröffentlicht werden.
Nishikawa Man könnte auch sagen: So wie ich eben den Unterschied zwischen „Kunst“ und „Angewandter Kunst“ herausgearbeitet habe, so ist Martins Beitrag, die Hocker in seiner Vintage Kollektion als Skulptur zu betrachten. Beispielhaft sind die bekannten Riethfeldstühle, die heute eher als Skulptur gesehen werden. Und seine Exponate so zu betrachten; das schafft Martin immer aus dem Kunstkontext heraus. Ich glaube, das ist seine Rolle. Sie sehen, wir wollen mit der „Station Angewandte Kunst“ auch einen bestimmten Gedanken schaffen.
Kann man eine Zielgruppe definieren?
Bohn Die Besucher, die kommen werden, sind garantiert Kenner der Szene und Sammler und ... ja, Freunde, Freunde der Aussteller, der Kunst und letztendlich auch der wunderbaren Location.
Sie haben vor drei Jahren die „Station Angewandte Kunst“ ins Leben gerufen, weil sie davon ausgingen, dass es das noch nicht gibt. Sahen Sie sich gezwungen, so etwas schlicht weg selber zu machen?
Bohn Nach vielen Messe- und Ausstellungserfahrungen haben wir ganz einfach nur nach einem Ausstellungskonzept gesucht, Kulturgüter an einem Ort zur präsentieren, der ihrer Qualität entspricht; Jenseits von Handel und Messe, und diesen Ort haben wir hier auf der Raketenstation gefunden. Wir sahen uns nicht gezwungen, sondern wir hatten und haben unsere pure Freude daran!
Es ist die Idee, schöne Dinge zu zeigen.
Bohn Ja, aber nicht nur zu zeigen, sondern auch über unser Netzwerk weiterhin zu vitalisieren. Des weiteren stellt Katsuhito die Ausstellung nicht primär nach Aussteller- Logen sondern vorrangig nach einer den Exponaten entsprechenden Darstellung in Einklang
Nishikawa (lacht) Das wollen wir versuchen.
Bohn Und wir wollen dem Gedanken von Heinrich Müller, dem Stifter der Museumsinsel Hombroich und damit auch der Raketenstation, unserer Location für die „Station Angewandte Kunst“, entsprechen. Es ist ein Gedanke, der im Alltag untergeht, aber mit dieser Präsentation noch mal hervor gehoben wird.
Das Gespräch führte Irmgard Ruhs-Woitschützke
Die „Station Angewandte Kunst“ findet am 27. und 28. September 2014 in der Veranstaltungshalle auf der Raketenstation Hombroich 32 in 41472 Neuss-Holzheim statt.
Öffnungszeiten
11 – 18 Uhr