rheinische ART
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rheinische ART 01/2014

Archiv 2014

GEWORFEN IN DÜSTERE ZEIT 

Frühexpressionistische Lyrik

(1911-14)

 

Beim Gang durch die Bonner Ausstellung „1914, die Avantgarden im Kampf“, entsteht, insbesondere bei der Malerei der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, der Eindruck einer naiven Weltauffassung und -begegnung bei allen Ausgestellten, von einzelnen Akteuren wie Alfred Kubin einmal abgesehen. Dass dem nicht ganz so war, zeigen die Veröffentlichungen frühexpressionistischer Lyrik in den diversen, mehr oder weniger auflagenschwachen und kurzlebigen Literaturzeitschriften der frühen 10er Jahre des letzten Jahrhunderts.
Von Georg Simet

 

Der Sturm 1913

 

Die Aktion 1914


Die Zeitschriften "Der Sturm" und "Die Aktion" waren die Blätter der Avantgarden

 

Zwei Zeitschriften vor allem konnten ihr Bestehen langfristig sichern und bis zur Machtergreifung Hitlers durchhalten. „Der Sturm“, herausgegeben von Herwarth Walden (mehr), war eher den bildenden Künsten zugetan. „Die Aktion“, von der in Spitzenzeiten circa 7000 Hefte verkauft wurden, war eher ein Sprachrohr der Literaten. Ihr anarcho-kommunistisch orientierter Verleger, Franz Pfemfert, wurde nicht müde, von Beginn an, ab dem ersten Heft in 1911, vor einem europäischen Krieg zu warnen.
     Viele, wenn nicht alle der bedeutenden frühexpressionistischen Lyriker veröffentlichten in dieser „Zeitschrift für freiheitliche Politik und Literatur“, die ab 1913 von Pfemfert in „Wochenschrift für Politik, Literatur, Kunst“ umbenannt wurde. Viele namhafte Künstler, neben Kubin unter anderem Lyonel Feininger, Ludwig Meidner, Max Oppenheimer, Egon Schiele und Karl Schmidt-Rottluff, steuerten Zeichnungen, Holzschnitte, und ähnliches bei. Sie alle kannten daher die düstere Gegenwelt, die Nacht-Seite ihrer Dichterkollegen. Zur Einstimmung sei hier die erste Strophe aus Gottfried Benns „O Nacht-:“ aus dem Kriegsjahr von 1916 empfohlen:
„O, Nacht! Ich nahm schon Kokain,
Und Blutverteilung ist im Gange.
Das Haar wird grau, die Jahre flieh’n,
Ich muß, ich muß im Überschwange
Noch einmal vorm Vergängnis blühn.“

  

     Die den Heften der „Aktion“ der Vorkriegszeit eigentümliche Stimmung und eigenwillige Sprachformung kommt in den Eingangszeilen des „Kunst und Gegenwart“ überschriebenen Aufsatzes von Walter Serner vortrefflich zum Ausdruck:
„Die Möglichkeit, in der Geschichte ein Paradigma für die Gegenwart aufzustöbern, ist gering und einem habilitierenden Trockenwohner vorbehalten: wohl nie noch hat zeitlich derart zusammengetrieben ein solch weggetrenntes und atemloses Kunstwollen die großen Städte durchhastet. Es ist, als wäre in den Tagen der alles nivellierenden Technik die spastische Angst ausgebrochen: die Applikatur dieses stinkenden Massenbetriebs könnte unbeirrbar werden; als wäre sie durch einen wilden Schrei aus dem Takt zu stoßen, als die tiefste Menschenpflicht des Geistigen erkannt worden. Es ist so. Worüber das Heute hinwegstampft, ist all das, vor dem die Vergangenheit stehenblieb und das den einzelnen bestätigt: das Versanden des allgemeinen Kunstbedürfnisses am Bug der Goldschiffe und des fettigsten Genießertums.“


Düster Serners Zeilen wie auch die noch folgenden Zitate stammen alle aus Heften der „Aktion“ aus dem Vorkriegsjahr 1913, um zu zeigen, dass das Dämonische, Düstere den Autorinnen und Autoren eine durchweg vertraute, manchmal vage, manchmal auch sehr klar akzentuierte Grundstimmung war. Optimistische Töne hingegen waren selten zu vernehmen.
      Es ist ein Aufstand der Söhne gegen die Väter. Benn nannte einen seiner Gedichtzyklen (von 1913) nicht von ungefähr „Söhne I-X“. Das Aufbegehren richtete sich insbesondere gegen Autoritätsgläubigkeit und Duckmäusertum. Thomas Rietzschel, der 1986 eine sehr gelungene Auswahl von Publikationen der Jahrgänge 1911-18 der „Aktion“ im Aufbau-Verlag als Kompendium herausgab, brachte es in seiner „Einführung in Die Aktion“ meisterlich auf den Punkt:
„Die biederen Bürger, die mit bierernster Miene am Stammtisch deutschtümelnd politisierten, die sich gar so treu und redlich glaubten, wenn sie den Nacken vor der Obrigkeit beugten und gleichzeitig mit geschwellter Brust daheim im eigenen kleinen Reich Herrscherallüren entfalteten, diese deutschen Pfahlbürger widerten die kritische Jugend an.“


Untertan Doch nicht nur die „Untertan“-Mentalität – siehe Heinrich Manns Roman „Der Untertan“, den er kurz vor Kriegsbeginn vollendete –, sondern auch die Technikverzückung (zum Beispiel von Krupp-Stahl, den schon das Kaiserreich bewunderte), die nationale Be-/Entgeisterung und zunehmende Mobilmachung beunruhigte. Insbesondere von 1912 auf 1913 stiegen die Rüstungsausgaben um weit mehr als 50 Prozent!
Die jungen Dichter konzentrierten sich darauf, ihr Lebensgefühl, die empfundene Entfremdung gegenüber ihrer Väter- und Überväter-Tradition und die stetig wachsende Unrast im städtischen Alltagsleben noch zu übersteigern und zu konterkarieren. Stellvertretend sei hier ein Auszug aus Oskar Kanehls Gedicht „Die Stadt“ widergegeben, in dem auch der expressionistische Sprachstil der Fragmentierung deutlich zum Ausdruck kommt:


„Menschen wie Madengewimmel.
Ohne Schlaf. Eile! Eile!
Geschäft und Büro und Fabrik.
Hohle höhnende Augen,
brillenverdeckelt.
Fliegende Fleischlappen
An krüppligen Knochengerüsten.
Brustlose Frauen,
in Korsettpanzern hängend.
Schwangere,
Krankheit, Gier und Genuß.
Peststinkendes Elend.
Parfümierte Völlerei.“

 

Dieses Gefühl der Groteske, das ständige Schwanken zwischen maßloser Lebensverachtung und Resignation (Schopenhauer) zum einen und Lebensbejahung und -verklärung (Nietzsche) zum andern, entlud sich phasenweise in Lebensmattigkeit-/müdigkeit oder im Herbeisehnen blitzartiger, eruptiver Total-Zerstörung des spießigen „Sumpfs“ (Willy Küster) der Vätergesellschaft.

 

Else Lasker-Schüler schrieb in „Briefe und Bilder“:
„Mein lieber, lieber, lieber, lieber blauer Reiter Franz Marc.
Du willst wissen, wie ich alles zuhause angetroffen habe? Durch die Fensterluke kann ich mir aus der Nacht ein schwarz Schäfchen greifen, das der Mond behütet; ich wär dann nicht mehr so allein, hätte etwas zum Spielen. Meine Spelunke ist eigentlich ein kleiner Korridor, eine Allee ohne Bäume. […] Meine Spelunke ist ein langer, banger Sarg, ich habe jeden Abend ein Grauen, mich in den langen, bangen Sarg niederzulegen. Ich nehme schon seit Wochen Opium, dann werden Ratten Rosen, und morgens fliegen die bunten Sonnenfleckchen wie Engelchen in meine Spelunke und tanzen über den Boden, über mein Sterbehemd herüber und färben es bunt; o ich bin lebensmüde. Feige und armselig sind die Kameraden, kein Fest, keine Schellen. Alle meine Guirlanden hängen zerrissen von meinem Herzen herab.“

     Da liest sich doch all das Bunte, die Pracht, die Fülle, die Feier des Lebens in den Bildern der „Blauen Reiter“, der Maler der „Brücke“ und all der andern Gleichgesinnten gleich ganz anders. Das Schöne der Natur ist bei allem Enthusiasmus immer auch ein mehr oder weniger deutlich ausgesprochener, gegebenenfalls gar vernichtungswürdiger Gegenentwurf. Im Gedicht „Sommerfrische“ von Alfred Lichtenstein heißt es entsprechend:


„Der Himmel ist wie eine blaue Qualle.
Und rings sind Felder, grüne Wiesenhügel –
Friedliche Welt, du große Mausefalle,
Entkäm ich endlich dir … O hätt ich Flügel –
[…]
Wär doch ein Wind … zerriß mit Eisenklauen
Die sanfte Welt. Das würde mich ergötzen.
Wär doch ein Sturm … der müßt den schönen blauen
Ewigen Himmel tausendfach zerfetzen.“

 

Zum Abschluss sei noch die erste Strophe des im Nachhinein prophetisch anmutenden Gedichts „Weltende“ von Jakob von Hoddis (Erstveröffentlichung 1911 in „Der Demokrat“) rezitiert, mit dem er nach einmütiger Ansicht der Literaturwissenschaft den literarischen Expressionismus drei Jahre vor Kriegsbeginn überhaupt erst einläutete:


„Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
In allen Lüften hallt es wie Geschrei.
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei,
Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.“

 

Dass der Krieg, der zur „Umwertung aller Werte“ (Nietzsche) imaginiert und, als er im August 1914 tatsächlich aufzog, entsprechend begrüßt wurde, aber nicht nur als „hinten, weit, in der Türkei“ (Goethe), als Zeitungsnotiz zu lesen war, sondern auf Leben und Tod existenziell durchlitten werden musste, und das sogar mehrere Jahre lang, das konnte sich die Generation der Frühexpressionisten nicht vorstellen. Seit dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 gab es in Deutschland und den Ländern um Deutschland herum keine blutigen, verlustreichen Schlachten mehr.

     Was Krieg heißt, war der Generation der Frühexpressionisten nicht - mehr - in Erinnerung. Umso katastrophaler kam dann der Schock.

 

 "1914 Die Avantgarden im Kampf" 

 

 

 

 

 

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