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rheinische ART 06/2021

Archiv 2021

GOTTFRIED BÖHM VERSTORBEN
Pilgerziel Gottesfels


Der große deutsche Architekt und Pritzker-Preisträger Gottfried Böhm ist im Alter von 101 Jahren verstorben. Er ist der Schöpfer des einzigartigen Mariendoms im rheinischen Neviges.

 

Gottfried Böhm Die katholische Wallfahrtskirche „Maria, Königin des Friedens“, Neviges, 1963–1968. Blick auf den Dom und den Pilgerweg. Foto © Inge und Arved von der Ropp / Irene und Sigurd Greven Stiftung, ca. 1976. Fotoquelle DAM Frankfurt/Main.

 

Mit der Ausstellung „Böhm 100: Der Beton-Dom von Neviges“ würdigte das Deutsche Architekturmuseum Frankfurt/Main (DAM) im letzten Jahr das Hauptwerk des Baumeisters. Gottfried Böhm hatte in seinem langen Leben mehr als 50 Sakralbauten geschaffen und galt als einer der gefragtesten Architekten in der deutschen Nachkriegszeit. Als sein bedeutendster Profanbau wird das Rathaus von Bensberg bei Köln angesehen.

 

Gottfried Böhm Innenansicht Wallfahrtskirche. Foto © Inge und Arved von der Ropp / Irene und Sigurd Greven Stiftung, ca. 1968. Fotoquelle DAM Frankfurt/Main.

 

Gottfried Böhm (1920-2021) Portrait. des Pritzker-Preisträgers  (mehr). Foto © Christian Schaulin, 2008. Fotoquelle DAM Frankfurt/Main. 

 

Der Standort des gewaltigen Pilgerdoms von Neviges ist genau so bemerkenswert wie dessen technische Ausführung in Sichtbeton und der Raum,  der für etwa 3000 Besucher ausgelegt ist. Denn Neviges, ein Ortsteil der Schloss- und Beschlägestadt Velbert, verzeichnet weniger als 19.000 Einwohner und ist mehrheitlich evangelisch-lutherisch geprägt.

     Dass sich gerade hier, inmitten des Städtedreiecks Düsseldorf-Essen-Wuppertal, eines der wichtigsten Zeugnisse der modernen deutschen Architektur und die zweitgrößte katholische Kirche des Erzbistums Köln, nach dem Kölner Dom, befindet, geht auf die Pilgertradition des niederbergischen Ortes zurück.

     Seit einer Marienerscheinung im Jahre 1676 finden Wallfahrten nach Neviges statt, der Ort ist eine der großen rheinischen Pilgerstätten (mehr). Angebetet wird ein kleines Marienbildnis, das lange vom Franziskanerorden gehütet wurde. Die Pilgerzahlen stiegen nach den beiden Weltkriegen so stark an, dass die ursprüngliche Klosterkirche zu klein wurde. Der Orden plante aus diesem Grunde, eine neue Pilgerkirche mit bis zu 8000 Plätzen in Auftrag zu geben. Der hierzu 1962/1963 ausgeschriebene Architekturwettbewerb zählte 15 Teilnehmer.


Einer davon war Gottfried Böhm (mehr). Sein Entwurf wurde zunächst wegen der expressiven Formensprache stark kritisiert und abgelehnt. Erst in einer zweiten Phase setzte sich der Architekt durch. Böhm hatte als Einziger vorgeschlagen, die Kirche als Endpunkt eines ansteigenden Pilgerweges zu inszenieren.

     Einer Erzählung zufolge soll der fast erblindete Kölner Erzbischof Frings das Modell des Entwurfs mit den Fingern ertastet und danach seine Zustimmung gegeben haben. Der Spatenstich erfolgte 1966. Zwei Jahre später überragte der monumentale, etwas zerklüftet wirkende Beton-Dom mit seinem kühn gefalteten Dach die mit Schiefer bekleideten Giebelhäuschen des Ortskerns von Neviges um ein Vielfaches.


Gottfried Böhms fast fensterloses Dom-Gebäude war ein typisches Kind seiner Zeit, der Nachkriegsmoderne. In den Sechzigerjahren dominierte als Werkstoff Sichtbeton, überwiegend in roher Verarbeitung. Der rheinische "Betonkünstler" formte ihn zu einem riesigen, an eine Felsenskulptur erinnerndes, Ensemble.

     Das Beton-Gebirge, für viele mehr Bunker als Bethaus, wurde im Volksmund schnell zum „Gottesfels“ erhoben. Der Korpus zählt architektonisch zu Böhms „brutalistischer“ Werkphase. Obwohl Böhm vorzugsweise in Deutschland baute, wurde das Ausland auf den Kölner aufmerksam. 1986 wurde ihm als erstem deutschen Architekten der Pritzkerpreis verliehen. Die Auszeichnung gilt als der "Nobelpreis der Baumeister".

 

Gottfried Böhm Altarraum mit Empore der Wallfahrtskirche in Neviges. Foto © Steffen Kunkel, 2015. Fotoquelle DAM Frankfurt/Main.

 

Weltberühmte Baumeister wie Le Corbusier (mehr), der US-Amerikaner Louis Kahn, die Briten Peter & Alison Smithson oder der Brasilianer Oscar Niemeyer hatten seit 1950 mit dem unverputzten Beton gearbeitet und bahnbrechende profane wie auch sakrale, häufig allerdings ungeliebte Bauwerke, geschaffen. Ihr radikaler Umgang mit dem Werkstoff und dessen Oberflächenstruktur war neu.

     Der international mit dem französischen Terminus „Béton brut“ (Roh- oder Sichtbeton) belegte Baustoff hat bis heute zahlreiche Verfechter (mehr). Die eben rau daherkommende Optik musste schließlich als Namensgeber für den Stil des „Brutalismus“ herhalten – oft allerdings falsch interpretiert.

 

Gottfried Böhm Innenansicht Wallfahrtskirche Neviges. Blick zum Kerzenfenster der Gnadenkapelle. Foto © Inge und Arved von der Ropp / Irene und Sigurd Greven Stiftung, ca. 1968. Fotoquelle DAM Frankfurt/Main.

 

Wie sich später oft zeigte, wies die gewagte, neue Formensprache in der Architektur und die Materialwahl zahlreiche Schwächen auf. 

     In Neviges etwa bildeten sich Risse im Stahlbetondach und ließen immer wieder Wasser in das Innere der Wallfahrtskirche dringen. Eine neue, dünne Schicht aus sogenanntem Textilbeton soll Abhilfe schaffen.

     Durch das mehrlagige Textilbetonsystem sollen die wasserführenden Risse in ein fein verteiltes, und damit unschädliches Rissbild überführt werden. Das innovative Verfahren wurde am Institut für Bauforschung an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen entwickelt.
K2M


Der Mariendom in Neviges ist in der Regel täglich von 9 bis 17 Uhr geöffnet. Die Gottesdienste finden wegen der Coronapandemie unter den gesetzlich vorgegebenen Schutzmaßnahmen statt.

 

 

 

 

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