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rheinische ART 10/2014

Archiv 2014

HENRI DE TOULOUSE-LAUTREC
Laute Plakate und leise Portraits

 

Er ist der Virtuose der Belle Époque: Von Paris bis Wien und von Hamburg bis Budapest zeigen in diesem Jahr Kunsthäuser Werke von Toulouse-Lautrec zu seinem 150. Geburtstag. Der Blick des aristokratischen Malers und Lithografen in die verruchte Welt der Bordelle und Boudirs am Montmartre hat einen festen Platz im kollektiven Kunstgedächtnis. Auch das Emil Schumacher-Museum in Hagen erinnert seiner.

 

Henri de Toulouse-Lautrec La Troupe de Mademoiselle Eglantine, 1896, farbige Lithografie, Plakat, 43,5 x 32 cm. Sammlung Gerstenberg (in Hagen)

 

Der adelige Plakatmaler und Portraitist, mit vollem Namen Henri Marie Raymond de Toulouse-Lautrec-Monfa (1864-1901) wurde nur sechsunddreißig Jahre alt. Als er endlich zu den bedeutendsten Künstlern Frankreichs zählte, raffte ihn eine Kombination von Alkoholismus und Syphilis dahin. Eingehandelt hatte sich der ausschweifend lebende junge Graf die Maladies vermutlich an seinem Lieblingsort, dem Vergnügungsviertel Montmartre, berüchtigter Hort der Pariser Halbwelt und Bohème.

 

Henri de Toulouse-Lautrec Moulin Rouge, La Goulue; 1891, farbige Lithografie, Plakat, 84 x 122 cm. Sammlung Gerstenberg (in Hagen)

 

Henri de Toulouse-Lautrec La Vache Enragée, 1896, farbige Lithografie, Plakat, 79 x 57,5 cm, Sammlung Gerstenberg (in Hagen)

 

Gegenwelt Montmartre Die Gegend rund um Place Pigalle mit seinen verwegenen Spelunken, schummrigen Bordellen, Kabaretts, Kleinkunstbühnen, Theatern und intimen Cafés war geradezu ein Magnet für viele Künstler der Moderne. „Das Viertel ähnelt einem riesigen Atelier“, bemerkte ein Zeitgenosse über den damals noch vor den Toren von Paris liegenden sündigen Hügel. Für Toulouse-Lautrec wurde er zur zweiten Heimat. 

     Es wäre jedoch falsch, ihn lediglich als versoffenes Pariser Kunstgenie und Chronisten des Cancan-Milieus zu etikettieren. Nach seinen zwar nur zwanzig aktiven aber hochproduktiven Jahren hinterließ er, wie Verzeichnisse ausweisen, ein vielschichtiges Werk: 275 Aquarelle, 363 Lithografien, fast 5100 Grafiken und 737 Gemälde. Grob gerechnet produzierte er täglich sozusagen eine Arbeit, was eine beeindruckende Schaffenskraft darstellt. Darüber hinaus gelten viele Werke als verschollen und entziehen sich damit einer klaren Erfassung.

 

Leidgeprüft Toulouse-Lautrec litt seit Kindheit an körperlichen Gebrechen, die ihn bis zum Tode zeichneten. Die Eltern waren Cousin und Cousine ​​ersten Grades (die Mütter der Eltern waren Schwestern), was die genetischen Defekte des Sprosses nahe legen, darunter Knochenanomalien. Zwei Oberschenkelbrüche mit dreizehn und vierzehn Jahren verheilten wegen der Erbkrankheit nur schwer, sein Beinwuchs setzte aus. Als Erwachsener erreichte er gerade eine Größe von 1,52 Meter.

     Der Körper des erwachsenen Mannes stand somit lebenslang auf kindlichen Beinen. Lippen und Nase wuchsen entgegen dem Rest seines Gesichts, was den Kleinwüchsigen lispeln und sabbern lies und ihm andere chronische Erkrankungen bescherte. Dem unattraktiven Äußeren stand eine aufgeschlossene, liebenswert-melancholische Persönlichkeit gegenüber, der neben einem großen Talent als Künstler eine hohe Arbeitsmoral zu eigen war.

 

Henri de Toulouse-Lautrec Miss May Belfort, Lithografie von 1895, gedruckt von Librairie Grund (geprägtes Siegel LG) in Paris 1948/1949, Blatt 52,7 x 36,1 cm. Miss May Belfort (geborene Mai Egan) war eine irische Sängerin und Partnerin von Jane Avril. Privatsammlung©rART

 

Henri de Toulouse-Lautrec Cecy Loftus, Lithografie von 1895, gedruckt von Librairie Grund (geprägtes Siegel LG) in Paris 1948/1949, Blatt 52,7 x 36,1 cm. Cecy Loftus (1876-1943) war eine schottische Schauspielerin und Sängerin. Privatsammlung©rART

 

Begabt Schon als Kind galt Henri als künstlerisch begabt. Mit achtzehn zog er nach Paris und nahm Unterricht beim bekannten Salonmaler Léon Bonnat. Zwei Jahre später tauchte er in die Kunst- und Amüsierszene des Montmartre, nahm dort Wohnung, löste sich von der akademischen Malerei und fertigte Milieubilder und Karikaturen. In seinen Arbeiten spiegelte sich seine außergewöhnliche Beobachtungsgabe und das Talent, die seinen Figuren eigene typische Mimik, Haltung oder Bewegung mit markanten dynamischen Strichen und Farben zu charakterisieren.
     Finanziell von seiner Familie gefördert, musste die Kunst allerdings nicht für den der Bohème zugeneigten jungen Maler als Lebensbasis herhalten. Gleichwohl bejubelte er seine ersten Verkaufserfolge 1888 in einem Brief an die Eltern enthusiastisch: „Ich fühle mich wundervoll.“ Neben leisen Portraits schuf er großformatige Ölbilder, diese allerdings mit weniger Erfolg. Dass er für den amerikanischen Edeljuwelier Thiffany ein Bleiglasfenster entwarf, unterstreicht sein künstlerisches Talent.

 

Werbe-Lithografie Was ihn letztlich berühmt machte, waren die grandiosen, lauten und farbsatten Plakate für Varietés und Schaubühnen. Als 1891 die vierfarbige Werbe-Lithografie für den Tanzpalast Moulin Rouge - sein Stammlokal - erschien, wurde der verkrüppelte Maler schlagartig stadtbekannt. Mit diesem Plakat begann sein wahrer kommerzieller Aufstieg. Die Arbeit war der Beginn einer von ihm ausgelösten technischen Revolution in der Farblithografie. Toulouse-Lautrec galt von da an neben dem sehr viel älteren Landsmann und Karikaturisten Honoré Daumier (1808-1879) (mehr) als einer der führenden Lithografen des 19. Jahrhunderts.

 

Henri de Toulouse-Lautrec Aristide Bruant, 1892, farbige Lithografie, Plakat, 137 x 96,5 cm, Sammlung Gerstenberg (in Hagen)

 

Henri de Toulouse-Lautrec Le Jockey, 1899, farbige Lithografie, 51,3 x 36 cm. Sammlung Gerstenberg (in Hagen)

 

Plakate Das Moulin Rouge oder das beliebte Kabarett Le Chat Noir und ihre Stars, Tänzerinnen wie etwa Jane Avril, die nie ohne Hut auftrat, La Goulue (bürgerlich die Wäscherin Louise Weber), Diseusen wie Yvette Guilbert und Schauspielerinnen oder berühmte Gäste portraitierte er mit schnellem, meisterhaftem Strich. Diese eleganten Plakatmotive und die lebensnahen Karikaturen aus dem Abseits des Pigalle-Milieus mit seinen Dirnen, Bettlern, Gauklern, Dieben und Trinkern sind bis heute eindrucksvolle Zeugnisse aus der sogenannten Belle Époque und der Pariser Gesellschaft der Jahrhundertwende.

 

Mythos und Wirklichkeit Dass über Jahrzehnte mystifizierte Bild des Meisters als emphatischer, uneigennütziger, genialer Maler gesellschaftlicher Randgruppen, der nur fürs Zeichnen und die Zecherei lebte, wurde 1992 in einer Ausstellung in Paris korrigiert. Die Schau offenbarte die unbekanntere Seite des Adelsmannes: Er war penibler Erbsenzähler, knausriger Kunst-Unternehmer und rabiater Eintreiber von Forderungen, also alles andere als ein großbürgerlicher Bohèmien. Und das, obwohl er zeitlebens von der heimischen Apanage gut leben konnte.

     Als geschäftstüchtiger Vermarkter seiner selbst und seiner Produkte hatte er einen Blick für den Kunstmarkt und die Eskapaden der Kunden. Er griff Sportmotive auf und bediente etwa die Nachfrage nach Erotica mit pikanten Motiven lesbischer Liebschaften sowie mit allerlei Bettszenen. Dies ist in keinerlei Hinsicht verwerflich, eher erstaunlich. Die Erkenntnisse stammten aus dem Pariser Grand Palais, das in einer Retrospektive mit dem Mythos Toulouse-Lautrec aufräumte sowie der beim Verlag Gallimard publizierten Korrespondenzen des Künstlers. Ein Verleger beklagte noch nach dem Tode des Grafen in einem Nachruf, der Mann sei „Buchhalter und Gerichtsvollzieher“ zugleich gewesen.

 

► Henri de Toulouse-Lautrec hatte zahlreiche Liebschaften mit Frauen, blieb jedoch unverheiratet. Zitat: „Die Ehe ist eine lange Mahlzeit, die mit dem Dessert beginnt.“ Seine melancholische Einstellung zu Beziehungen und dem Leben allgemein findet Ausdruck in der Aussage: „Der Herbst ist der Frühling des Winters.“

► Aktuell werden Ausstellungen zu Henri de Toulouse-Lautrec in Hagen und Wien gezeigt. Ständige Werkschauen bieten das Museum Toulouse-Lautrec in seinem Geburtsort Albi sowie das Museum d´Orsey in Paris. Auch das New Yorker Moma würdigt derzeit mit einen Rückblick den Post-Impressionisten.

Claus P. Woitschützke

 

Hagen
Die Ausstellung „Henri de Toulouse-Lautrec - Der Meister der Linie im Emil-Schumacher-Museum“ ist bis zum 25. Januar 2015 zu sehen.
Emil Schumacher Museum Hagen
Museumsplatz 1 - 2
58095 Hagen
Tel. 02331 - 3060 066
Öffnungszeiten
DI - SO 11 – 18 Uhr.


Wien
Die Schau „Henri de Toulouse-Lautrec: Der Weg in die Moderne“ ist die erste Ausstellung zum Oeuvre des Lithografen in Österreich. Sie kann vom 16. Oktober 2014 bis zum 25. Januar 2015 besucht werden.
Bank Austria
Kunstforum Wien

Freyung 8
1010 Wien, Austria
Tel (+43 1) 537 33 26
Öffnungszeiten
täglich 10 - 19 Uhr,
freitags 10 - 21 Uhr

  
 
 

 

 

 

 

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