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rheinische ART 10/2017

Archiv 2017

AMERICA ´67

Zwischen Traum und Albtraum

 

Die Sechzigerjahre waren in den Vereinigten Staaten Jahre eines radikalen gesellschaftlichen Umbruchs. Der „American Way of Life“ erhielte Risse.

 

 Henry Maitek Baseball © Historisches Archiv der Stadt Köln

 1967 kumulierten Bürgerrechtsbewegung, Vietnamkrieg, Rassenunruhen und brennende Armenviertel in den Großstädten. Die Nationalgarde mussten eingreifen, landeweit gab es Dutzende Tote. In Detroit erreichte der Mob die schönsten Vorstädte, Angst ging um. Und der heute oft verklärte Summer of Love in San Francisco (mehr) endete in Wahrheit in Kriminalität und sexueller Gewalt. Ein Horrorjahr?

 

Es gab aber natürlich auch noch ein völlig anderes Amerika. Nämlich das der wachstumsfreudigen und optimistischen Konsumwelt, der mächtigen Straßenkreuzer, gelackten Tankstellen und farbfrohen Billboards an den hochfrequentierten Verkehrstrassen.

     Ja und die Diners, jene Rendezvous-Points und rund um die Uhr geöffneten Imbisshallen an den großen Fernstraßen, die irgendwann den Fast-Food-Ketten zum Opfer fielen. Durchweg Motive also, die wenig später zu Ikonen der Pop-Kultur werden sollten.

 

Henry Maitek Schuhputzer © Historisches Archiv der Stadt Köln

 

Mit Fotodokumenten „vom Baseballfeld bis zum Porno-Dreh“ zeichnet derzeit eine Fotoausstellung in der Kölner Horbach-Stiftung ein US-Gesellschaftspanorama aus den Endjahren der Sechziger.

     Die Doppelausstellung „America '67“ ist ein Blick auf den Zustand der USA vor 50 Jahren. Ermöglicht wird diese Reise in die Vergangenheit – die beredt von der Gegenwart erzählt – durch die Arbeiten der Fotografen Henry Maitek (1922-2007) und Pete Marifoglou (*1954).

     Sie zeigen das prosperierende Amerika aus sehr unterschiedlichen Perspektiven. Wobei Maiteks Arbeiten, so die Stiftung, einer kleinen Sensation gleichkämen, da sie noch bis vor wenigen Monaten verschollen waren.

 

Henry Maitek Waiting © Historisches Archiv der Stadt Köln

 

Zur Erklärung ein Blick zurück auf eine kunsthistorische Katastrophe.

     Mit dem Einsturz des städtischen Archivs in Köln 2009 wurden nahezu eine halbe Million Fotografien verschüttet. Darunter Nachlässe etwa von L. Fritz Gruber (mehr), dem Fotografen Heinz Held (mehr) und der Fotobestand des jüdischen Fotografen Henry Maitek.

     Der gelernte Elektriker stammte aus Oberschlesien, hatte mehrere Konzentrationslager überlebt und war in den Fünfzigerjahren in Köln ansässig geworden. Mit dem Archivunglück schien sein Werk für alle Zeit vernichtet zu sein. In den folgenden sieben Jahren fanden sich nur vereinzelte Fotoarbeiten wieder. Dann tauchte vor etwa einem Jahr ein umfangreicheres Konvolut mit Farbfotos einer Amerikareise auf, die Maitek im Rahmen eines Besuchs bei seiner Tochter 1967 unternommen hatte.

     Es handelt sich bei diesen Aufnahmen überwiegend um Fotografien, die von der Konsumwelt New Yorks und des Mittleren Westens erzählen und ein Ambiente reflektieren, das sich deutlich von dem des heutigen Amerika unterscheidet.

 

Henry Maitek Montréal © Historisches Archiv der Stadt Köln

 

Alltagsbilder Wie ein Street-Fotograf durchstreifte Maitek Manhattan und die Stadtviertel der schwarzen und der jüdischen Amerikaner. Menschen, so seine eigene Aussage, seien das Faszinosum seines Lebens. Mit einem in der KZ-Zeit geschulten Blick für die persönliche Aura eines Menschen fotografierte er Männer, Frauen und Kinder aus allen Gesellschaftsschichten.

     So fing er die kulturelle, religiöse, soziale und gesellschaftliche Vielfalt von New York ein und zeichnete mit seinen Fotos das Antlitz einer Stadt durch ihre Bewohner. Für seine Bilder verwendete er ein neu entwickeltes Filmmaterial mit einer weichen Tönung, das er im Auftrag des US-Konzerns Minnesota Mining and Manufacturing (3M) auf seiner Reise testete.

     Diese Fotografien präsentiert nun die Michael Horbach Stiftung erstmals öffentlich. Die Überschneidungen mit Werkgruppen von William Eggleston (mehr) oder Lee Friedlander lassen heutige Betrachter staunen. Denn keinen dieser Meisterfotografen hat Maitek gekannt, zumal sich diese Szene erst in den folgenden Jahren mit Schauen im New Yorker Museum of Modern Art zu konstituieren begann, wie es bei den Ausstellern heißt.

 

Pete Marifoglou „I don’t care if I got nothing to eat, as long as my country concurs the Moon...’’, 1969 © Pete Marifoglou

 

Pete Marifoglou „Am I Seeing Things Backwards or is the World so...?’’, 1963 © Pete Marifoglou

 

Pete Marifoglou December 25th 1972, 2 o’clock, 34 minutes, and 45 seconds pm, 1972 © Pete Marifoglou

 

Pete Marifoglou The Strip, 1968 © Pete Marifoglou

 

Ganz anders der griechisch-amerikanische Fotokünstler Pete Marifoglou (*1954), der ebenfalls 1967 in New York fotografierte. Das Verblüffende an seinem Werk: Die ersten Aufnahmen, schwarzweiße Stadtbilder aus seinem Kindheitsumfeld Lower Manhatten, datieren aus dem Jahre 1963. Da war der spätere Kunststudent neun Jahre alt.

     Wenige Jahre später spürte er der erbarmungslosen Seite des Lebens nach. Er lichtete in der übel beleumundeten Bronx die Opfer und Tatorte von Mordfällen ab, meist noch bevor die Polizei eintraf. Die Fotografien offenbaren das dunkle, hässliche und brutale Gesicht Amerikas. Nach Aussagen der Kuratoren befasst sich Marifoglou mit den Spuren, „die Menschen im urbanen Kosmos hinterlassen.“

     Seine Kompositionen bestechen oft durch visuelle Strenge, die bis an den Rand der Abstraktion reicht. Dennoch interessiere ihn die ästhetische Seite der Fotografie nicht, so wird er zitiert. Der Wert seiner Arbeiten bestünde allein in ihrer emotionalen Aussage. Und in der Tat sind seine ernüchternden Bilder vom amerikanischen Leben keine Trostspender.

     Eher das Gegenteil: Deutlich wird dies ferner an jenen Fotografien, die er im Teenageralter am Porno-Set in den Filmateliers von Andy Warhols Factory machte. Dort half er hie und da aus und nutzte die Drehpausen für eigene Fotografien der Protagonisten. Mit dem anrüchigen Geschäft hatte sich im prüden Amerika der späten Sechziger Andy Warhol (mehr) seine Kunstaktionen finanziert. In der Michael Horbach Stiftung sind neben den Stadtbildern auch diese schwarzweißen Set-Fotografien erstmals in Serie zu sehen.
rART/ cpw

 

Die Ausstellung "America ´67" kann bis zum 29. Oktober 2017 besucht werden.
Stiftung Michael Horbach
Michael Horbach
Wormser Str 23
50677 Köln
Tel 0221 / 29993378
Öffnungszeiten
MI, FR 15:30 - 18:30 Uhr
SO 11:00 - 14:00 Uhr

 

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