rheinische ART
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rheinische ART 04/2017

Archiv 2017

FORSCHUNG „NEUE WILDE“
Klaus Paier

 

In den Jahren 1978 bis 1989 schuf der „Aachener Wandmaler“ Klaus Paier in der Kaiserstadt circa 50 Wandbilder an öffentlich einsehbaren Mauern und Häuserfassaden. Kaum eine architektonische Fläche im urbanen Raum war vor seinen heimlichen Malaktionen sicher: die frischen Betonwände der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule RWTH genauso wenig wie historische Baudenkmäler.

 

Klaus Paier Der große Krieg (1980), Ecke Pontstr./Augustinerbach Aachen, © Foto: Paier/Stöhr - Ludwig Forum

 

Klaus Paiers kantige Figuren in leuchtenden Farben prägten das Stadtbild Aachens in den 1980er Jahren mit. Die Motive waren unbequem. Sie griffen die großen gesellschaftlichen Themen der Zeit auf: den Kalten Krieg, die Rote Armee Fraktion, den Umgang der Bundesrepublik Deutschland mit ihrer faschistischen Vergangenheit und immer wieder die Gefahren der Atomkraft – Jahre vor dem Reaktorunglück in Tschernobyl.

 

Klaus Paier Es herrscht immer Krieg in den Fabriken (1978), Eilfschornsteinstr. Aachen, © Foto: Paier/Stöhr - Ludwig Forum

 

Neue Wilde Die Präsentation der „politischen Wandmalerei“ Paiers im Ludwig Forum Aachen ist die erste im Rahmen des Forschungsprojektes „Die Erfindung der Neuen Wilden“. Das Projekt geht der Frage nach, wie die Sammelbezeichnung „Neue Wilde“ für den Boom expressiv-figürlicher Malerei in den frühen 1980er Jahren in Deutschland und Teilen Europas Verbreitung gefunden hat.

     Paiers Solidarität galt den Außenseitern der Gesellschaft, mit all den Punks, Homosexuellen und schrägen Gestalten, die seine Bilder bevölkern. Er selbst war nie Teil des kulturellen Mainstreams, auch strebte er keine Karriere als Ausstellungskünstler an. „Die Stadt ist mein Museum“, hat er einmal gesagt. Seine Wandbilder waren unmittelbarer Ausdruck all dessen, was ihn an den gesellschaftlichen Zuständen seiner Zeit störte, und er platzierte sie genau dort, wo sie eigentlich nicht hingehörten, wo sie irritierten, aufrüttelten und nervten. Er selbst nannte sie „Optische Schreie“.

 

Klaus Paier Der Schüler wird zum Sinn des Lebens bekehrt (1980), Entwurfszeichnung, Archiv Thomas Paier © Foto Klaus Paier - Ludwig Forum

 

Klaus Paier (1945 – 2009) wurde in Essen geboren. Nach einer Schlosserlehre und dem nachgeholten Abitur begann er ein Physikstudium an der RWTH Aachen, das er mit Diplom abschloss. Noch während des Studiums entstanden 1978 die ersten illegalen Wandbilder. Beim nächtlichen Malen wurde er häufig von seinem damaligen Freund Josef Stöhr begleitet, der auch eigene Wandbilder realisierte. Die Wandbilder entstanden nie spontan, vielmehr umfasste der Arbeitsprozess stets vier Stufen.
     Am Anfang stand die Recherche nach öffentlichen Flächen, die sich zum Bemalen eigneten. Dabei hielt Paier interessante Orte fotografisch fest. Zu jeder Arbeit entstand dann eine Entwurfszeichnung auf Papier. Sie hielt Konturen und Farben detailliert fest. Bleistiftstudien im Nachlass zeigen gestochen scharfe Darstellungen von menschlichen Schädeln und anderen anatomischen Details. Für die schnelle Umsetzung an der Wand musste der Künstler hingegen eine gröbere Malweise entwickeln. Das Ergebnis war eine Art plakativer Expressionismus aus breiten Konturen und Farbflächen.
     Das Anbringen des Bildes an die Wand fand meist in zwei aufeinanderfolgenden Nächten statt. In der ersten entstanden die Konturen mit schwarzer Farbe, manchmal auf eine vorher aufgetragene weiße Grundierung, in der zweiten Nacht wurde das Motiv farbig ausgefüllt. Die Bilder innerhalb einer Nacht zu malen, hätte zu lange gedauert und das Risiko, während des verbotenen Vorgangs erwischt zu werden, erhöht.
     Paier war kein Sprayer, sondern Wandmaler. Er arbeitete mit dem Pinsel. Diese Technik sowie der gesellschaftspolitische Aspekt seiner Motive waren der Grund dafür, dass der Street Art-Künstler seine Arbeiten eher in der Tradition der klassischen mexikanischen „Muralists“ sah, als in der jüngeren US-amerikanischen Graffitiszene, die seit den 1960ern boomte.

 

Klaus Paier Der Tod ist ein Meister aus Deutschland (1979), Entwurfszeichnung, Archiv Thomas Paier © Foto Klaus Paier - Ludwig Forum

 

Fotografische Dokumentation Der letzte Schritt jeder Arbeit bestand aus der fotografischen Dokumentation des fertigen Bildes. Sie war ein fester Bestandteil des Arbeitsprozesses. Es gibt kein Wandgemälde, von dem sich nicht auch ein Foto im Nachlass des Künstlers finden ließe. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Die meist illegalen Malereien wurden von Seiten der Stadtverwaltung oder des privaten Eigentümers der bemalten Flächen früher oder später entfernt oder übermalt. Besonders kontroverse Motive überlebten nur wenige Tage. So etwa das Gerippe mit Trommel und Hakenkreuzflagge („Der Tod ist ein Meister aus Deutschland… Nie wieder Faschismus“, 1979), dessen Entfernung durch die Stadt schon kurz nach der Fertigstellung begann. Paier schien vom Aktionismus der Stadtväter so beeindruckt, dass er den Vorgang des Wegätzens durch einen Angestellten der Stadt selbst mit der Kamera festhielt...

 

Soziale Plastik Einige Werke zerstörte schlicht die Zeit. Die wasserlösliche Dispersionsfarbe, die Paier nutzte, ist gegen Einflüsse der natürlichen Witterung kaum gewappnet. Der Künstler wusste um den erbarmungslosen Überlebenskampf, dem er seine Werke aussetzte. Er selbst lehnte es aber ab, beschädigte Bilder zu restaurieren, freute sich aber, wenn andere Maler seine Bilder instand hielten. Mit dieser Einstellung stand er der Idee der „Sozialen Plastik“ nahe, wir sie Joseph Beuys formulierte. Die individuelle Leistung des Künstlers ist demnach nur ein Aspekt des Werkprozesses. Die Reaktion der Betrachter, die öffentliche Diskussion und die Entscheidung zur Zerstörung, Duldung oder aktiven Erhaltung der Bilder gehören untrennbar dazu. Das Gesamtwerk ist letztlich der von Paier beschriebene „Kristallisationspunkt von Kommunikation“ aller sozialen Akteure.

 

Klaus Paier Angst (1978), Annuntiatenbach Aachen, © Foto: Paier/Stöhr - Ludwig Forum

 

1987 zog der Maler nach Köln, das letzte Bild von ihm in Aachen entstand 1989. Die meisten seiner Aachener Wandbilder gibt es nicht mehr, zwölf von ihnen sind noch teilweise erhalten – einige wenige komplett, die meisten nur noch fragmentarisch. Drei Motive stehen inzwischen unter Denkmalschutz.

 

 Die Ausstellung zeigt 23 Fotografien aus der Sammlung des Ludwig Forum, 17 mit Motiven Paiers und sechs mit Motiven von Josef Stöhr. Ergänzt werden die Fotos von 19 originalen Entwurfszeichnungen aus dem Nachlass des Künstlers sowie eine Dia-Projektion mit weiteren Wandarbeiten. Gezeigt wird außerdem ein 19- minütiger Film, der anlässlich der Ausstellung in der „Neuen Galerie – Sammlung Ludwig“ 1984 entstand. Er enthält eine Video-Collage aus verschiedenen Wandbildern sowie ein Interview mit Klaus Paier und Josef Stöhr.
rART

 

Die Ausstellung „Optische Schreie – der Aachener Wandmaler Klaus Paier“ ist bis zum 01.10.2017 zu sehen.
Ludwig Forum Aachen
Jülicher Str. 97-109
52070 Aachen
Tel. 0241 / 1807-104
Öffnungszeiten
DI – SO 10 – 17 Uhr
DO bis 20 Uhr (Zentis-Tag: Freier Eintritt für alle)

 

 

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