Archiv 2017
BÖLL UND DIE FOTOGRAFIE
Der Kamerascheue
Er war bekanntlich ein unbequemer Geist und ein stiller Beobachter, der manches ahnte und voraussah. In Sachen Fotografie misstraute Heinrich Böll der steten Präsenz von Kameras, fürchtete Überwachung, Zudringlichkeit und Voyeurismus.
Heinz Held Heinrich Böll am Schreibtisch, 1971. © Museum Ludwig, Köln. Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln |
Man kann nicht sagen, dass der Literaturnobelpreisträger ein absolut gespaltenes Verhältnis zur Fotografie hatte. Dazu war er viel zu sehr von ihr fasziniert und nutzte sie selbst für seine schöpferische Arbeit. Wohl betrachtete er diese Kunst vorsichtig und abwägend und leugnete das Spannungsverhältnis nicht.
Anlässlich des 100. Geburtstags von Heinrich Böll widmet sich das Museum Ludwig Bölls Einstellung zur Fotografie und dem Fotografieren – als Person des öffentlichen Lebens zum einen, aber auch als Gegenstand seiner Betrachtung, als Hilfsmittel für sein literarisches Schaffen und als Motiv in seinen Schriften. Die Schau titelt "Die humane Kamera. Heinrich Böll und die Fotografie".
Als prominenter Autor war Heinrich Böll (1917 - 1985) selbst begehrtes Motiv der Fotografen. Aber freundschaftlich verbunden war der Kölner der Zunft der professionellen Bildjournalisten kaum. Er galt als kamerascheu. Einzige Ausnahme war der ebenfalls aus der Domstadt stammende Fotograf Heinz Held. Ihm war der Literat - was als bemerkenswert gilt - zugetan, von ihm ließ er sich auch im privaten Umfeld ablichten. Bereits zu Lebzeiten Bölls hatte Held, der zu den wichtigen Chronisten Kölns in der Nachkriegszeit gerechnet wird, Fotografisches zu dem Schriftsteller in zwei Bildbänden veröffentlicht.
Heinz Held Heinrich Böll mit Manuskript, 1971. © Museum Ludwig, Köln. Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln
Chargesheimer Mädchen mit Roller, aus "Unter Krahnenbäumen", 1958. © Museum Ludwig, Köln. Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln
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Aus dem Nachlass Helds wird jetzt erstmals eine Auswahl seiner Portraits von Böll präsentiert. Der Ausstellungstitel greift die Überschrift eines Katalog-Vorworts von Böll für die Fotoschau „Weltausstellung der Photographie“ aus dem Jahre 1964 auf.
Die im Museum Ludwig gezeigten 35 Exponate umfassen nicht nur Held-Bilder sondern auch Texte von Böll zur Fotografie sowie zu Aufnahmen seines Sohnes René. Dieser hatte auf Bitten seines Vaters zu dem Roman „Frauen vor Flusslandschaft“ (1962) Fotos von Örtlichkeiten in Bonn gefertigt. Diese Fotografien beschrieb der Autor dann in seinem Roman.
Fotobücher Skepsis oder gar Ablehnung hin oder her: Es war
nicht so, dass sich der Literat der Fotografie vollends verweigerte. Ganz im Gegenteil. Einige der fotografischen Portraits von ihm, ob im Schattenriss oder in vergeistigter Haltung, wirken durchaus komponiert und inszeniert. Und in Bildbänden erschienen immer wieder Texte von ihm, neu verfasste oder wiederverwendete.
So zum Beispiel in dem 1958 erschienenen Fotoband „Unter Krahnenbäumen“ des Kölner Künstlers und Fotografen Carl-Heinz Hargesheimer (1924-1971), alias Chargesheimer. Für das atmosphärisch dichte Bildportrait dieser Straße im Kölner Kunibertsviertel („Kunibäatsveedel“) verfasste Böll das Nachwort „Straßen wie diese“.
Das nördliche Altstadtquartier Kölns und die Straße „Unter Krahnenbäumen“ wurden durch die Bild-Text-Kooperation berühmt. Die Straße ging allerding im Zuge der innerstädtischen Bauarbeiten zur Nord-Süd-Fahrt unwiederbringlich verloren.
Wenig glamourös sondern eher skandalös endete im selben Jahr die Bild-Text-Allianz von Chargesheimer und Böll mit dem damals extrem kritisierten Bildband „Im Ruhrgebiet“. Das Publizisten-Duo hatte das Ruhrgebiet und seine Bevölkerung mit 157 Fotografien und einem kritischen Text ungeschönt und bar jeglicher Klischee-Idylle dargestellt. Politik und regionale Wirtschaft im Revier deuteten das Werk als bösartige rheinische Attacke und gingen auf die Barrikaden (mehr).
Chargesheimer Siedlung Huckingen, Duisburg 1957, aus "Im Ruhrgebiet", 1958. © Museum Ludwig, Köln. Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln |
Nachdenklich Seine Einstellung zur Fotografie umriss Böll 1964 im besagten Katalog zur Weltausstellung der Fotografie, die unter dem Thema „Was ist der Mensch?“ stand.
In seinem Prolog „Die humane Kamera“ formulierte er eine Moral der Fotografie: „Wenn technisch perfektes Photographieren in jedermanns Hand gegeben ist, ist Orwells Großer Bruder ja fast allgegenwärtig (…) Der Sinn dieser Ausstellung könnte darin liegen, Nachdenklichkeit gegenüber dem Photographieren zu erwecken.“
An anderer Stelle seines Vorworts kritisierte er die Zudringlichkeit von Kamera und Fotografen, die darauf ausgerichtet sei, die Menschen zu ertappen, zu denunzieren, zu entlarven. Dann, so Böll, „überschreitet die Photographie ihre ästhetische und gleichzeitig ihre moralische Grenze. Wer am Schlüsselloch lauert, entdeckt natürlich den Menschen in seiner Gebrechlichkeit.“
Heinz Held Heinrich Böll in Langenbroich, im Hintergrund eine Aufnahme von Rosa Luxemburg, 1972. © Museum Ludwig, Köln. Foto: Heinrich Guttmann
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Kritisches An der Foto-Weltausstellung 1964 waren 264 Fotografen aus 30 Ländern mit 555 Aufnahmen beteiligt. Sie war in Nordrhein-Westfalen im Museum Folkwang in Essen, in der Städtischen Kunsthalle Recklinghausen, im Museum am Ostwall in Dortmund und im Haus des Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen in Düsseldorf zu sehen.
Bölls Katalog-Prolog galt als distanzierte Abhandlung, die nachdenklich mache, wie es damals in der Wochenzeitschrift DIE ZEIT hieß. Inhaltlich weckte die Schau bei vielen Besuchern Erinnerungen an die zehn Jahre zuvor als größte Fotoausstellung aller Zeiten gefeierte und weltweit gezeigte amerikanische Bilderschau mit dem programmatischen Titel „The Family of Man“ (mehr). Der Vergleich beider Foto-Ausstellungen warf mehrfach die Frage auf, warum das Vorwort Bölls zu „Was ist der Mensch?“ so viel Vorbehalte und Skepsis enthielt.
Das Humane, das Menschsein – darin liege Bölls Interesse in der Literatur wie in der Fotografie, heißt es im Museum Ludwig. Der Schriftsteller hatte klar gemacht: „Ich mache mir nicht viel aus Pracht-Fotobänden.“ Das Sehen war für ihn der zentrale Sinn, um sich die Welt zu erschließen: „(…) ein gutes Auge gehört zum Handwerkszeug des Schriftstellers“ so Böll in seinem Aufsatz „Bekenntnis zur Trümmerliteratur“ (1952), in dem er die Bedingungen der deutschen Nachkriegsliteratur reflektierte.
Klaus M. Martinetz
Die Ausstellung „Die humane Kamera. Heinrich Böll und die Fotografie“ wird bis zum 7. Januar 2018 gezeigt.
Museum Ludwig
Heinrich-Böll-Platz
50667 Köln
Tel. 0221 / 221 26 165
Öffnungszeiten
DI - SO 10 - 18 Uhr