rheinische ART
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rheinische ART 02/2017

Archiv 2017

SPEZIALMUSEUM PLAGIARIUS

Haus der doppelten Dinge

 

Fälschungen, Raubkopien und Plagiate in einem Museum für bildende Kunst? Ein Horror für Kuratoren, Kunstfreunde und Kenner. Völlig anders liegt die Sache im Museum Plagiarius in Solingen. Produkt- und Markenpiraterie sind hier Programm – eine Sammlung, die weltweit einzigartig sein dürfte.

 

Auszeichnung 2017  Tasche „Taschelini“. Links Originale: Koziol ideas for friends GmbH, Erbach, Deutschland. Rechts Plagiate: Herstellung VR China, Vertrieb: TOKYO 1, Japan Houseware, Indonesien. Foto © Museum Plagiarius e.V. 

 

Ein Museum, das zum Ziel hat, Besuchern den Diebstahl geistigen Eigentums zu präsentieren, ist ziemlich ungewöhnlich. Auf über 130 Quadratmetern breitet das Solinger Spezialmuseum eine Kollektion von über 350 Exponaten aus, in Vitrinen und auf Podesten, aber immer in einer einfachen und höchst wirksamen Form: links das Original, rechts die dreiste Fälschung.

     Das Thema „Original und Fälschung“ ist zeitlos, man ist im Moment gar geneigt zu sagen: brandaktuell. Denn die Schäden für Wirtschaftsstandorte wie Deutschland, die durch das ungenierte Nachahmen von Konsumartikeln, Investitionsgütern oder Verfahrenstechniken mittlerweile entstehen, sind immens.

 

1. Preis 2017 - Roll-Hundeleine „flexi Explore L“ . Links Original: flexi-Bogdahn International GmbH & Co. KG, Bargteheide, Deutschland. Rechts Fälschung: Diverse anonyme Online-Anbieter, die über amazon.com (USA) mit Scheinidentitäten und täglich wechselnden Accounts agieren. Die minderwertige Qualität (z.B. die nicht funktionierende Aufrollmechanik) führte in den USA bereits zu Kundenbeschwerden und Reputationsschäden. Foto © Museum Plagiarius e.V.


Längst ist Nachahmen, Fälschen und Stehlen von Ideen, Formen und Verfahren kein Kavaliersdelikt mehr. „Produktpiraterie bedroht Verbraucher, Staat und Wirtschaft…“ mahnte schon vor Jahren das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Die Ministerialen wissen genau, wovon sie reden, denn aus klugen Ideen innovative Produkte und Dienstleistungen zu machen, sei das Ziel einer Wirtschafts- und Exportnation wie Deutschland, die damit Wohlstand und Wachstum sichere. Bildung, Forschung und Innovation sind somit die zentralen Handlungsfelder für Deutschlands Zukunft, so das BMBF.

 

2. Preis 2017 - Bürostuhl „Silver“  Links Original: Interstuhl Büromöbel GmbH & Co. KG, Meßstetten-Tieringen, Deutschland. Rechts Plagiat: Vertrieb Shenzhen Chunshan Trading Co. Ltd., Shenzhen, VR China Foto © Museum Plagiarius e.V

 

3. Preis 2017 Druckmessgerät 
Links Original: WIKA Alexander Wiegand SE & Co. KG, Klingenberg, Deutschland. Rechts Fälschungen: Herstellung Ma Anshan Exact Instrument Co., Ltd., VR China; Vertrieb Buu Ky, Ho Chi Minh City, Vietnam. 
2015 wurden bei Buu Ky im Rahmen einer Razzia durch die Economic Police „WIKA”-Fälschungen beschlagnahmt; 2016 fand man in einer 2. Razzia die „VIKA“-Fälschungen, bei denen teils nur der vordere Teil des „W“ weggekratzt und teils das „W“ gegen ein „V“ getauscht wurde. (siehe Lücke beim VIKA-Logo). Foto © Museum Plagiarius e.V.

 

Auszeichnung 2017 Waschtischmischer „AXOR Starck V“ (oben) und „Metris Classic“ (unten) Links Originale: Hansgrohe SE, Schiltach, Deutschland.

Plagiat rechts oben: Taizhou Ranbo Sanitary Ware Co., Ltd., Zhejiang, VR China
Plagiat rechts unten: Heshan Khone Sanitary Ware Technology Co., Ltd., Zhejiang, VR China Foto © Museum Plagiarius e.V.
 

 

Museum Plagiarius in Solingen bei Nacht. 
Foto © Museum Plagiarius e.V. Urheber Foto: Uwe Flöck, Solingen; Architekten: Reinhard Angelis, Planung Architektur Gestaltung

 

Negativpreis Plagiarius - Innovation vs. Imitation. Der Negativpreis wird jährlich für besonders dreiste Nachahmungen verliehen. Trophäe ist ein schwarzer Zwerg mit goldener Nase – als Symbol für die exorbitanten Profite, die die Produktpiraten sprichwörtlich auf Kosten kreativer Designer und innovativer Unternehmen erwirtschaften. Foto © Museum Plagiarius e.V.

 

Da sind die Zahlen zur Produkt- und Markenpiraterie schon ernüchternd. Nach Berechnungen der Europäischen Union sollen wertmäßig bis zu zehn Prozent des Welthandels auf Fälschungen und Plagiaten beruhen. Der volkswirtschaftliche Schaden liege für die EU-Länder pro Jahr bei bis zu 300 Milliarden Euro. Darüber hinaus werden jedes Jahr durch die illegalen Erzeugnisse bis zu 200.000 Arbeitsplätze in der Union vernichtet.

 

Für Deutschland wird der jährliche Schaden auf rund 29 Milliarden Euro geschätzt. Verursacht wird diese enorme Summe vor allem durch Umsatzrückgänge bei den heimischen Unternehmen, Verlust von Marktanteilen und Unternehmensimage, Produkthaftungsklagen, mangelnde Steuereinnahmen von Staatsseite und höherer Kosten bei der Verbrechensbekämpfung.
     Wie die Solinger Ausstellung deutlich erkennen lässt, ist das Problem „Fälschung“ nicht nur eines von Luxusartikeln wie Uhren, Parfüm oder Edeltextilien. Produktimitationen sind ein Massenphänomen. Vom Angel-Set bis zum Werkzeugkasten, vom Kochtopf über Kinderspielzeug und Elektrogeräten bis hin zum High-Tech-Erzeugnis wird alles gefälscht. Ohne Rücksicht auf Sicherheitsstandards und Gesundheitsgefährdung.

     Aufgedeckt werden die Duplikate nicht nur durch Zufall im Handel, auf Flohmärkten oder auf Messen. Eindeutige und gezielte Identifizierungen liefern etwa der Zoll. Das Museum Plagiarius erhält nicht selten aus dieser Quelle jene Fälschungen, die den Museumsbesucher staunen lässt. Denn die Plagiate werden nicht nur immer dreister, sie werden auch immer besser.


Schon 1977 rief der Unternehmer und Designer Professor Rido Busse den Negativpreis „Plagiarius“ ins Leben. Ein schwarzer Zwerg mit goldener Nase - seither jährlich per Juryentscheidung neu vergeben - symbolisiert, was sich die Plagiatoren mit ihren geistigen Diebstählen verdienen wollen.
     Mitte Februar wurden die Preisträger des "Plagiarius 2017" ermittelt. Die Jury vergab drei Hauptpreise und weitere sieben Auszeichnungen. Mit dem Plagiarius ausgezeichnet – und damit gleichzeitig öffentlich angeprangert! - werden Unternehmen, die Plagiate hergestellt oder vertrieben haben.

     Jeweils Original und Fälschung, und dies quer durch alle Branchen, werden im Solinger Museum am Südpark gezeigt. Dort verfügt die Sammlung seit 2007 über ein eigenes Gebäude. Es handelt sich um den Kopfbau der umgenutzten Güterhallen des ehemaligen Solinger Hauptbahnhofes.
rART/cpw


Museum Plagiarius
Bahnhofstraße 11
42651 Solingen
Tel. 0212 / 22 10 731
Öffnungszeiten
DO, FR 09.30 – 13.00 und 13.30 – 17.00 Uhr
SA, SO 13.00 – 17.00 Uhr
MO-MI geschlossen

 

 

 

 

 

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