rheinische ART
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rheinische ART 12/2013

Archiv 2014

ZUR ÄSTHETIK DES UNSICHTBAREN
Der Schrein als Zeug

 

Das Weihnachtsfest ist vorbei. Christ ist schon geboren. Die Geschenke sind verteilt. Doch drinnen, im Christmuseum, wirkt die Bescherung recht verstörend – und das trotz bester Konsum-Ausgangslage.

 

Kolumba, Museum des Jahres 2013 Die Deutsche Sektion des internationalen Kunstkritiker- Verbands (AICA) wählte Kolumba zum Museum des Jahres 2013. In der Begründung heißt es: „Zusammenfassend zeichnet sich das Kolumba Museum durch eine hervorragende Architektur aus, durch eine qualitätvolle Sammlung, die den Bogen zwischen alter und zeitgenössischer Kunst spannt, durch ein stringentes Ausstellungskonzept, das Hand in Hand mit der Sammlung geht und Künstler vorstellt, die an der Peripherie des Medieninteresses liegen. Alles ist auf Beschaulichkeit und Wahrnehmung ausgerichtet, auf die Erziehung zur Langsamkeit des Sehens“.
     Nicht außerordentliche Leistungen in einzelnen Aspekten machen den Rang des Museums aus, sondern das Zusammenspiel von gelungener Architektur, reichhaltigem Fundus an Objekten, durchdachtem Konzept, einem Hang zu Außergewöhnlichem und einer auf – soweit möglich – bloße Wahrnehmung gerichteten Rezeption.


Das Thema Kolumba ist das Kunstmuseum des Erzbistums Köln. Dass ein solches Museum christliche Themen in den Mittelpunkt rückt, wird erwartet. Die voraus gegangene, 6. Jahresausstellung widmete sich der Kunst als Liturgie. Im Jahr 2013/14 steht der Schrein im Fokus. Anlass hierfür dürfte die leihweise Überlassung des Siegburger Kirchenschatzes an das Erzbistum Köln sein. Der Umzug bot sich an, da wegen der Bauarbeiten in Sankt Servatius und in der ehemaligen Abtei der Schatz in Siegburg in den nächsten zwei Jahren ohnehin nicht zugänglich und durch die Bauarbeiten zudem gefährdet wäre. So sind der Anno-Schrein, drei weitere Schreine nebst anderen sakralen Gegenständen aus Siegburg derzeit in Kolumba als Leitattraktion zu bestaunen.

 

Kolumba: Anno-Schrein und Gemälde von Max Cole


Das Konzept Der leere Anno-Schrein – die Gebeine des 1183 heiliggesprochenen Kölner Erzbischofs (1056 – 1075) Anno sind wohl auf dem Michaelsberg geblieben – flankiert von drei weiteren Schreinen, bildet zwar das Zentrum der Ausstellung. Doch das Kuratoren-Team um Direktor Stefan Kraus nutzte die Gelegenheit, nicht nur Einzelwerke, sondern das Thema Schrein aus verschiedenen Perspektiven in verschiedenen Konstellationen in Szene zu setzen. So sind in Raum 13 um die vier Schreine herum Bilder der US-Amerikanerin Max Cole (*1937) als Einhegung gesetzt. Die strenge Geometrie ihrer Arbeiten, chargierend zwischen Schwarz und Weiß, stets mit Betonung des Horizontalen gegenüber den weit filigraner wirkenden, sehr aufmerksam und langsam gezeichneten Vertikalstrichen kontrastieren mit dem üppigen Gold der voluminösen, großflächigen Schrein-Häuser.
     In den weiteren 20 Räumen sind noch viele interessante Dinge, technische Apparaturen, Behältnisse, Sakral-, Alltags- und Kunstobjekte versammelt, zu eigenen Arrangements gruppiert, die das Zusammenwirken von Innerem und Äußerem, Verhüllung und Offenbarung im Wechselspiel von Mythos, Legende, Heiligkeit und Profanität, Vergänglichkeit und Gegenwärtigkeit spiegeln. Das allein ist schon gewöhnungsbedürftig.

 

Kolumba: Zeugs. Ein Sammelsurium von Schreinen


Völlig irritierend hingegen wirkt das Sammelsurium geballter Dinglichkeit auf der ersten Etage. Das Zusammen höchst heterogener Objekte, die Entbindung all des versammelten Zeugs von seiner Funktionalität, reduziert auf Form: Radios ohne Stimme, Fernseher ohne Bild, Schreine mit und ohne Reliquien und das wild, kunterbunt, wie sinnlos durcheinander: All das befremdet. Es ist doch immer wieder erstaunlich, dass der Bruch der Gewohnheit, der Vorerschlossenheit des Sinns von Sein selbst uns Menschen der Moderne, ja Postmoderne, immer noch so aus der Fassung bringen kann trotz Dada, Fluxus, etc.
     Hinzu kommen Stücke, die als Einzelwerk, gleichsam als erratische Blöcke, dem Besucher in den Weg gestellt sind und an und für sich wirken sollen. Zwei Behältnisse sind besonders auffällig, antagonistisch komponiert. Felix Droeses (*1950) ebenerdig platzierter „Sicherheitsschrank“ ist (halb) offen, (komplett) entleert.

     Thomas Rentmeisters (*1964) Container im ersten Stock hingegen ist geschlossen. Dies „Haus des Seins“ (Heidegger) spricht. Sein fortwährend laufender Ventilator brummt monoton, klinge-linge-ling, stetig und unaufhörlich dasselbe Lied vor sich hin –, solang der Stecker nicht gezogen ist. Der Tresor von Droese hingegen ist vielleicht geknackt, jedenfalls (bereits) verstummt. Auch das fensterlose Container-Schokoladen-Blech-Geviert kann aufgebrochen werden.

     Ob Schrödingers Katze Pate stand? In ihrem Fall weiß man ja auch nicht, wenn sie denn überhaupt in der Box sitzt, ob sie lebt oder nicht, solange man nicht nachsieht. Hinter allem real Faktischen lauert immerzu das abgründig Potenzielle der Vielfalt an Sinnunterstellung und -deutung. Statt, wie im Begleittext geschehen, allein Heidegger zu zitieren, wäre Nietzsche durchaus hilfreich: „Zarathustra aber sah das Volk an und wunderte sich. Dann sprach er also: Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Tier und Übermensch, — ein Seil über einem Abgrunde.“
     Sobald das Gewohnte plötzlich außer Kraft ist, die „Verfallenheit an das Man“ (Heidegger) sich blitzartig lichtet, bleiben wir verstört zurück, taumelnd, bis sich uns neue Sichtweisen – hoffentlich – öffnen und zu einem gangbaren Weg verfestigen.


Die Architektur Das vom Schweizer Stararchitekten Peter Zumthor (geb. 1943) konzipierte Ausstellungsgebäude kann genauso als Schrein dienen, begriffen, ergangen werden wie die Gegenstände in ihm – und nicht nur die als Schrein bezeichneten, sondern alle Gegenstände, alle Dinge, alles Zeug.

 

Die gotische »Madonna in den Trümmern« der St. Kolumbakirche im Frühjahr 1945 (Foto: Hermann Claasen)

 

Was den Bau jedoch auszeichnet, einzigartig macht, ist, dass er auf den Ruinen von St. Kolumba aufsetzt und so eine Geschichte erzählt. Im letzten schweren Bombenangriff auf Köln am 2. März 1945 wurde St. Kolumba völlig zerstört. Doch eine Statue, von den Kölnern fortan „Zur Madonna in den Trümmern“ genannt, blieb wundersamer Weise stehen. In den Worten Heideggers: „Wahrsein besagt, das Seiende aus seiner Verborgenheit herausnehmen und es als Unverborgenes sehen lassen, entdecken.“ Manchmal hilft das Böse nach. Schutzmauern können eben bersten – und wenn, zeigen sie vielleicht, wenn das Schicksal es gut meint, etwas vormals Geschütztes nackt, in neuem Licht und Glanz.

     In Jannis Kounellis‘ (*1936) „Tragedia civile“ (1975) hingegen ist das, was vom Dasein bleibt, nur ein abgehängter Mantel mit Hut. Die Wand dahinter überstrahlt alles riesig golden; vom Mensch aber ist nichts als eine Reminiszenz geblieben. Nur ein Öllämpchen brennt zum Trost: „Und das ewige Licht leuchte ihnen.“ Über van Goghs "Ein Paar Schuhe" konnte Heidegger noch schwadronieren: „Zur Erde gehört dieses Zeug und in der Welt der Bäuerin ist es behütet.“ In wessen Welt Kounellis‘ Anzug behütet ist, bleibt hingegen offen, vage, tragisch, indifferent.
     Im Vergessenwerden zeigt sich die Tragik des zivilen Seins. Das Leben ist nichts als „Vorlauf in den Tod“ (Heidegger). Allein sub specie aternitatis, durch Gott, Christus ist Erlösung möglich. Ein weiterer Aspekt, der hier mit anklingt betrifft Hölderlins Spruch: „Was bleibet aber, stiften die Dichter.“ Doch Kounellis‘ Installation bricht mit dem überkommenen Geniekult. Es ist nicht mehr der den Unsterblichen zugerechnete Meister des Worts, der ewige, dem Irdischen entrückte Werke, Wahrheiten schafft; sondern es ist der Künstler, der uns gleich das Hier und Jetzt unserer Welt einfängt, spiegelt, neu und anders in Szene setzt. Und insbesondere ist es der Kurator, der des Künstlers Werk in Zusammenhänge setzt, es inszeniert, es uns, den Betrachtern, zum Ereignis werden lässt.
     Museen wie das Kolumba können und sollen begangen werden. Viel interessanter als das Äußere ist für uns das Innere, die Entdeckung des Wahren. Der Museumsbau trägt dazu bei. Die hohen Decken, die lichtdurchstrahlten, luftigen Räume lassen alle Werke in der ihnen eigenen, natürlichen Farbigkeit, der (von den Kuratoren) erhofften Essenz erstrahlen. Dynamik entsteht durch die bis zum Boden reichenden, großen Fenster. Sie fangen den natürlichen Rhythmus der Jahreszeiten, von Tag und Nacht, Sonne und Wolkenspiel ungefiltert ein.

 

Kolumba: Elfenbeinkruzifix Rheinland, zweite Hälfte 12. Jahrhundert

 

Eine Schule des Sehens Auf dem Weg durch die Ausstellung begegnen dem Besucher immer wieder andere, die so wie er im Begleitheft blättern. Keine Erklärungen an den Wänden, keine großen oder kleinen Täfelchen zu Künstler, Werk, Jahr stören die Kontemplation. Alles Wesentliche, aus Sicht der Kuratoren, ist im Heft gesagt. Alles darüber hinaus liegt am Betrachter. Es liegt an ihm, ob und wie weit er sich dem verborgenen Sinn der Dinge, der Welt öffnet und diese sich für ihn, seine Welt lichten. Nur eine – zugegebenermaßen rhetorische – Frage Nietzsches bleibt ungefragt: „Weiß der Heilige denn nicht, dass Gott tot ist?“ Der Gekreuzigte bleibt als fundamentum inconcussum durch alle Räume der Ausstellung hindurch unerschüttert fest: DER Anker für alle Zeit. In einem der schönsten Gedichte Nietzsches ist dies Paradox der Zeitlichkeit genial formuliert:
„… Weh spricht: Vergeh! / Doch alle Lust will Ewigkeit -, / - will tiefe, tiefe Ewigkeit!“

Georg Simet


KOLUMBA
Kunstmuseum des Erzbistum Köln
Kolumbastraße 4
50667 Köln
Öffnungszeiten
täglich von 12 bis 17 Uhr
DI geschlossen

 

 

©Fotos: Kolumba, Köln/Foto: Lothar Schnepf

 

 

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