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rheinische ART 10/2014

Archiv 2014

VOGELSANG IP
Altlast neu gesehen

Über den Umgang mit einem schwierigen Erbe

 

Sie gilt bundesweit als eine der größten erhaltenen nationalsozialistischen Bauensembles. Die ehemalige NS-„Ordensburg“ Vogelsang in der Eifel ist seit 2009 öffentlich zugänglich. Nach jahrelanger - durchaus kontroverser - Diskussion wurde 2008 vom Land NRW festgelegt, was mit dieser architektonischen Altlast passieren soll. Eine Begehung.

 

Vogelsang Zufahrtsstraße und Teil des Torgebäudes, das als ehrenhofartige Dreiflügelanlage ausgebaut war und den Eingang zur Gesamtanlage markierte. Ab 1950 wurde unter belgischer Verwaltung der Eingangsbereich als (frz.) Malakoff bezeichnet. Der Terminus steht für ein militärisches Mauerwerk mit festungsähnlicher Architektur. Namensgebend ist das Fort Malakoff im Krimkrieg von 1855. Foto©rART

 

Es ist kein einfacher Ort. Was auf den Besucher einwirkt, ist der steingewordene Ausdruck der NS-Denkweise und seiner größenwahnsinnigen Ideologie. Die ehemalige NSDAP-Kaderschmiede für Hitlers Führungskräfte ist ein riesiges Areal in idyllischer Natur, und doch seltsam farbschwach, irgendwie düster. 2015 werden die Umbauten zu einem Veranstaltungs- und Tagungsort unter der Kurzbezeichnung „Vogelsang IP“ (Internationaler Platz) abgeschlossen sein. Derzeit erscheint es aufgeräumt, ja, aber nur „besenrein“! Kein wirklicher Platz für Party-Events, da ändern auch die bunten Graffitis an den Bauzäunen nichts. Das Erstaunliche allerdings: der Bauzustand ist wider Erwarten gut und die Anlage beeindruckt.

 

Reiterrelief auf dem westlichen Flankenturm im Eingangsbereich. Der Reiter trägt eine Fackel und ist mit einem Schultermantel bekleidet. Die Darstellung entspricht dem antiken Motiv des nackten Heroen. Mit dem Ritterrelief des östlichen Flankenturms verbildlicht das Duo die Zielsetzung der Ausbildung in der "Schulungsburg". Die Ausführung der Reliefs oblag dem Kölner Bildhauer Willy Meller. Foto©rART

Neue Perspektiven Nachdem die Immobilie vom belgischen Militär 2005 zurückgegeben wurde, legte die NRW-Landesregierung die weitere Verwendung fest. Die damalige Wirtschaftsministerin Christa Thoben: „Für die Zukunft der Ordensburg Vogelsang im Nationalpark Eifel besteht mit den Beschlüssen der Landesregierung eine sensible, seriöse und solide Grundlage für die weitere Nutzung der Anlage. Wir wollen eine touristisch bedeutsame Zukunft..., ohne die furchtbare Vergangenheit zu leugnen.“


Vogelsang habe aufgrund seiner Lage im Herzen Westeuropas alle Chancen, sich zu einem touristischen Ankerpunkt zu entwickeln. Seither wird der über 100 Hektar große NS-Nachlass sukzessive um- und ausgebaut. Vogelsang IP, so die gleichnamige Betreibergesellschaft, wird künftig ein Ausstellungs- und Bildungszentrum sein, ein Lern- und kultureller Veranstaltungs- und Tagungsort. Kern ist der historische „Adlerhof“, der zu einem Forum und Besucherzentrum umgestaltet wird. 42 Millionen Euro an EU-, Bundes-, Landes- und Gesellschaftsmitteln werden bis 2015 in die denkmalgeschützte Bausubstanz und die Entwicklung einer NS-Dokumentation sowie einer Nationalparkausstellung fließen.

 

Konversion Die authentische Anlage mit ihrer enormen Gebäudemasse liegt in dem rund 4.200 Hektar großen ehemaligen NATO-Truppenübungsplatz „Camp Vogelsang“ und war bis Ende 2005 für Publikum gesperrt. Vogelsang gilt als eines der historisch anspruchsvollsten „Konversionsprojekte“ in der Bundesrepublik, womit amtlich die Umstellung von einer militärischen auf eine zivile Nutzung umschrieben wird.
Terrassenförmig sind über 70.000 Quadratmeter Raumfläche entlang eines Hanges regelrecht in die Landschaft inszeniert.

 

Aus der Luft: Heute wie früher bietet Vogelsang dem Besucher ein beeindruckendes Panorama aus Architektur, inszeniert als politische Macht, und Natur mit Blick auf den Urft-Stausee. Foto© Vogelsang IP

 

Architektur Beleg dafür, dass sich der damalige Kölner Bauplaner Clemens Klotz an die sogenannte „Heimatschutz-Architektur“ anlehnte, die eine landschaftskonforme Baugestaltung bei Nutzung regionaler Baustoffe vorsah. Dem Besucher erschließt sich der geschichtsträchtige Ort am besten von einem tiefgelegenen Punkt, den Sportanlagen mit der Schwimm- und Turnhalle, mit dem Blick hangaufwärts.

 

Schwimmhalle mit Athletenmosaik, einer der wenigen Vogelsang-Räume, der nahezu original überliefert ist. Architektonisch auffällig ist der moderne, funktionale und streng kubische Baukörper mit rasterartigen geradlinig geschnittenen Fenstern. Die unteren Fensterhälften waren als Schiebesystem konstruiert, dies ermöglichte eine dem Freiluftbad ähnliche Nutzung. Foto©Vogelsang IP


Apropos Schwimmhalle „Alles steht unter Denkmalschutz und ist noch weitgehend im Originalzustand von 1936“, hört man über das wohl ungewöhnlichste Hallenbad des Landes. Das Bad mit NS-Wandmosaik ist heute eine öffentliche Schwimmanlage. Das drei Meter hohe Wandkunstwerk spiegelt unverkennbar den Stil der heroisierenden, den Körperkult betonenden Denkrichtung. Die Halle mit dem 25-Meter-Becken, den alten Kacheln und den Panoramafenstern mit Blick auf den See ist aber nur ein kleiner Teil des gewaltigen Architektur-Komplexes.

 

Kameradschaftshäuser am Westhang. Die spröde wirkenden zweigeschossigen Bruchsteinhäuser waren, wie die ähnlichen aber größeren Hundertschaftshäuser, reine Zweckbauten und dienten als spartanische Unterkünfte. Foto©rART

 

Provokation Die weitläufig verteilten Gebäude und Kultstätten – es ist die größte Nazi-Hinterlassenschaft in NRW - zwingen zum Blick auf diese deutsche Geschichte, machen sie durch ihre wuchtige Architektur erfahrbar, bezeugt stumm ihren „Ewigkeitswillen“ und sind doch gleichzeitig auch ein Mahnmal. Vogelsang ist auch eine Provokation und fordert zur Auseinandersetzung auf, allein schon durch die monumentale Präsenz.

 

Besuch von Adolf Hitler im April 1937 in der Ordensburg Vogelsang. Foto ©Bundesarchiv Bild Nr. 146-1985-108-27A

 

Rückschau Zwischen 1934 und 1936 stampfte die „Deutsche Arbeitsfront“ (DAF) unter der Leitung von Robert Ley die „Ordensburg“ nach Plänen des Architekten Clemens Klotz in moderner Betonbauweise regelrecht aus dem Boden. Klotz, ein sogenannter „Vertrauensarchitekt der DAF “, erarbeitete auch die Entwürfe für die Ordensburg Krössinsee in Pommern und die gigantische NS-Freizeitanlage Prora auf Rügen. Die Baukosten für Vogelsang betrugen 36 Millionen Reichsmark. Bis heute erhalten und begehbar sind unter anderem vier sogenannte Kameradschaftshäuser, die lang gestreckte Burgschänke, Adlerhof und Turm („Bergfried“), ein dem antiken Stil angelehntes Freilufttheater, der Sonnenwendplatz mit dem „Fackelträger“- Relief des Kölner Bilderhauers Willy Meller (mehr), eine Turnhalle und das Schwimmbad.

     Als Eliteschule diente die Ordensburg bis Kriegsbeginn 1939. Danach war sie Truppenquartier, „Adolf-Hitler-Schule“, Notunterkunft für „Ausgebombte“ und „Wehrertüchtigungslager“ für die Hitler-Jugend. 1945 wurde Vogelsang von der US-Armee besetzt, dem britischen und später dem belgischen Militär übergeben. Ab 1955 dienten einige Gebäude - erweitert um Neubauten wie etwa einem Truppenkino (mehr) und der Van-Dooren-Kaserne - der belgischen Armee. Die Rückgabe der Liegenschaften an die Bundesrepublik erfolgte am 8. Dezember 2005. Während die Manöverareale dem Nationalpark Eifel angegliedert wurden, blieb die Entscheidung, den gesamten Vogelsang-Komplex als Flächendenkmal unter Schutz zu stellen und touristisch zu nutzen, bis heute nicht unumstritten. Denn auf die grundsätzliche Frage, wie mit architektonischen NS-Relikten umzugehen sei, gibt es keine einhellige Antwort.

     Die Ex-Ordensburg würde nach dem Umbau ab 2015 einen bedeutenden Teil im Netzwerk der deutschen Erinnerungsstätten repräsentieren, da mit einem derartigen Zentrum eine inhaltliche Lücke geschlossen werden könnte, betonen Fachkreise. Bislang existiert in Deutschland noch keine Institution, die sich wissenschaftlich mit dem Erziehungs-, Bildungs- und Indoktrinationssystem des NS-Staates beschäftigt. Das Interesse der Öffentlichkeit - auch an der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit - ist auf jeden Fall bemerkenswert groß. Seit der Wiedereröffnung wurden in Vogelsang über 1,5 Millionen Besucher registriert. Mehr als ein Viertel aller Gäste stammt aus dem Ausland, vor allem dem Benelux-Raum.

Klaus M. Martinetz

 

Vogelsang IP

Standortentwicklungsgesellschaft

53937 Schleiden

Tel. 02444 - 915790

Fax 02444 - 9157929


Öffnungszeiten des Geländes

täglich 8 – 20 Uhr
Winterzeit 10 – 17.30 Uhr
Gastronomie täglich 10-17 Uhr


Buchhinweise (Auswahl)

 Heinen, Franz A. (2005): Vogelsang: von der NS-Ordensburg zum Truppenübungsplatz, Eine Dokumentation, Helios-Verlag Aachen

 

► Herzog, Monika (2007): Architekturführer Vogelsang, Edition B, Biermann-Verlag Köln

 

► Schmitz-Ehmke, R. (2003): Die Ordensburg Vogelsang: Architektur-Bauplastik-Ausstattung. Rheinland-Verlag Köln

 

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