rheinische ART
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rheinische ART 09/2017

Archiv 2017

SKULPTUR PROJEKTE MÜNSTER
Im Wandel der Zeit

 

Ist es ein Blick auf die Kunst von morgen? Angesichts der Vielschichtigkeit und Ungewöhnlichkeit der 35 Kunstwerke, die im öffentlichen Raum der Stadt Münster präsentiert werden, darf die Frage gestellt werden.

 

Nicole Eisenmann Sketch for a Fountain © Skulptur Projekte 2017 Foto: Henning Rogge

 

Denn wer nach Münster zu den alle zehn Jahre stattfindenden Skulptur Projekte reist, sollte sich darauf einstellen, viel Neues und wenig Traditionelles zu erfahren. Es ist die fünfte Ausgabe dieses Projektes, ursprünglich initiiert, um den Westfalen die skulpturale Kunst nahe zu bringen, das heute eine überragende internationale Beachtung und Anerkennung erfährt.


Der Stadt Münster gefällt es. Sie avanciert zu einer Metropole der Kunstgattung Skulptur, darf auf annähernd 600.000 Besucher in den rund 100 Tagen der Ausstellung hoffen und wird von der internationalen Presse besprochen. Circa 1000 international akkreditierte Journalisten waren am Eröffnungswochenende anwesend, wie die Veranstalter mitteilen. Diese große Zahl mag sicherlich mit der gleichzeitig eröffneten documeta in Kassel zu betrachten sein, der zweiten Großveranstaltung zum Thema Kunst in diesem Jahr in Deutschland. Aber – von Kassel nach Münster zu reisen - die Zeit muss man sich auch erst einmal nehmen.

 

Überall in der Stadt wird auf die Skulptur Projekte aufmerksam gemacht, wie hier am Museum für Kunst und Kultur des Landschaftsverbandes Westfalen Lippe im Stadtzentrum. An der Ecke des Gebäudes hängt die Wasserwaage von John Knight, A Work in situ. Foto © rheinische ART 2017


Nicht dass sie stattfindet ist dabei von so großem Interesse, sondern was sie wie zeigt. Mit alle zehn Jahre taktet die Skulptur Projekte langsam. Doch die dazwischen liegende Dekade lässt Raum – Raum für Entwicklungen in Gesellschaft und Politik, für weltbewegende Prozesse und Themen, die die Künstler aufgreifen, um das Neue auch neu in ihrer Kunst zu reflektieren und zu verarbeiten. Es ist die Kunst der Gegenwart und nicht die Wiederkehr des ewig Gleichen, dem der Besucher in Münster begegnet. Die bekannten Kunstbegriffe geraten hier schon mal ins Wanken.

 

Ayse Erkmen On Water © Skulptur Projekte 2017 Foto: Henning Rogge

 

Michael Smith Not Quite Under_Ground © Skulptur Projekte 2017 Foto: Henning Rogge

 

Ob die Ausstellung selbst künstlerische Trends setzt oder die Tendenzen für das, was morgen möglich sein wird, aufzeigt, ist nicht so einfach zu definieren. Bei einem Besuch der Schau wird sehr schnell deutlich: Die künstlerischen Maßstäbe hängen hoch, sehr hoch bei dieser Veranstaltung, die sich niemandem verschließt.
     Denn diese Schau bringt Kunstwerke in den öffentlichen Raum. Sie begegnen jedem, der sich in Münster bewegt, ob zu Fuß durch das Zentrum oder mit dem Fahrrad durch die parkähnlichen Grünanlagen der Stadt. Man kann sich ihnen nicht entziehen. Die unweigerliche Konfrontation mit den Kunstwerken ist gewollt. Wie nah der Betrachter dann der Kunst kommt, entscheidet er selbst. Dabei kann es durchaus passieren, dass er Kunst sieht, sie aber nicht erkennt. Nicht immer sind die Skulpturen monumental, auf ein Podest gestellt oder in Stein gehauen. Auch die Dimensionalität der Objekte erfährt hier durchaus eine neue Definition.

 

Einige Beispiele: Cosima von Bonin und Tom Burr stellten einen Lastwagen mit einem angehängten Tieflader, auf dem eine große schwarze Holzkiste platziert ist, vor dem Haupteingang des Museum für Kunst und Kultur des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe ab. Sperrig ist sie, diese Kunst, sie steht im Weg und fährt keinesfalls, wie angenommen, alsbald davon.

 

Cosima von Bonin / Tom Burr Benz Bonin Burr Skulptur Projekte Münster 2017 Foto © rheinische ART 2017

 

Am Münsteraner Hauptbahnhof trifft der Besucher unweigerlich auf Emega Ogbohs Soundinstallation „Passage through Moondog/ Quiet Storm“ (Passage zu Moondog/ Ruhiger Sturm) im sogenannten Hamburger Tunnel, einer längeren Fußgängerpassage. Michael Smith installierte ein Tattoostudio im Stadtzentrum, wo über 65-Jährige Sonderkonditionen erhalten und Jeremy Deller zeigt Tagebücher, geführt von 2007 bis 2017. Dellers Kunst ist eine Langzeitstudie. 2007 bat er über 50 Kleingärtnervereine, Tagebuch zu führen. Das Projekt titelt „Speak To The Earth And It Will Tell You“ (Sprich zur Erde und sie wird es Dir sagen“. Die Tagebücher stehen auf einem Holzregal im Kleingartenverein Mühlenfeld. 

 

Jeremy Deller Speak to the Earth and It Will Tell You (2007 - 2017) © Skulptur Projekte Münster 2017 Foto: Henning Rogge


Laut der Halbzeitbilanz des Projektes sind der Steg von Ayṣe Erkmen, „On Water“ (Auf dem Wasser), ein knapp unter der Wasseroberfläche des Binnenhafens installiertes Gitter, auf welchem die Besucher quasi „auf dem Wasser“ laufen können, der Brunnen von Nicole Eisenmann „Sketch for a Fountain“ (Skizze für einen Brunnen), einem Ensemble aus fünf ziemlich genüsslich-entspannten, überlebensgroßen Figuren, ohne eindeutige Geschlechterzugehörigkeit, um ein Wasserbecken gruppiert, sowie die verschiedenen Werke rund um das LWL-Museum für Kunst und Kultur im historischen Stadtkern die am stärksten von den Besuchern frequentierten Arbeiten. Im Museum ist übrigens auch die Wohnung von N. Schmidt zu besuchen, einer Installation von Gregor Schneider. Man sieht, die gebotene Kunst spricht alle Sinne an.

 

Ei Arakawa Harsh Citation, Harsh Pastoral, Harsh Münster © Skulptur Projekteb2017 Foto: Henning Rogge

 

Zerstörung Nicht vermeiden lässt sich Vandalismus oder Diebstahl bei Kunst im öffentlichen Raum. Bei der Skulptur Projekte in diesem Jahr traf es Ei Arakawa, der auf eine Wiese am als Freizeitort beliebten Aasee ein Licht- und Klangspiel mit sieben LED-Leinwänden mit der Darstellung von Gemälden anderer Künstler aufgestellt hatte. Bei dem Diebstahl eines der LED-Bilder handelt es sich vermutlich um einen gezielten Kunstraub.


Zeit und Veränderung Die großen Themen der Ausstellung, das ist unschwer zu erkennen, sind die Zeit und die Veränderung. Die Schnelllebigkeit durch die fortschreitende Digitalisierung in unserer Privat- wie Arbeitswelt gibt dem Faktor Zeit eine neue Dimension und hat unser gesellschaftliches Miteinander verändert. Alles taktet schneller, alles scheint greifbar nah und alles scheint möglich. Doch sind die gebotenen neuen technischen Möglichkeiten wirklich immer ein Fortschritt? Oder sollte der Mensch lernen, sich aus der Fülle der neuen Angebote das für ihn Notwendige, Nützliche, das für ihn Beste, heraus zu suchen?

     Eine Konstante der Skulptur Projekte ist der künstlerische Leiter Kasper König. Der internationale Kurator und langjährige Direktor am Museum Ludwig Köln hat sie alle geprägt, alle Ausgaben dieser Münsteraner Kulturveranstaltung. Die Qualität dieser Ausstellung könne erst nach fünf bis sechs Jahren beurteilt werden, betonte er zum Start dieser Großveranstaltung, und verwies auf das Ziel, mit den Skulptur Projekte 2017 eine populäre Schau zu bieten. Wohlgemerkt, König meint populär, nicht „populistisch“. Der Unterschied ist ihm deutlich wichtig denn er setzte nach: „Wir gewöhnen uns an zu viel Sch...."

 

Im LWL-Museum ist auch die Partnerschaft der Skulptur Projekte mit der Stadt Marl sichtbar. In die raumfüllende Installation mit mehreren Videowänden und dem neu gestalteten Fußboden von Nora Schultz Pointing their fingers at an unidentified event out of frame ist die Skulptur YZI , 1969, von Olle Bærtling, eine Leihgabe vom Skulpturenmuseum Glaskasten Marl, integriert. Foto © rheinische ART 2017


Aus „Bruch und Kontinuität“, einem Essay, veröffentlicht im Katalog der Schau, der drei Kuratoren Kasper König, Britta Peters und Marianne Wagner: „Eine internationale Großausstellung wie die Skulptur Projekte, für die alle Arbeiten … neu entstanden sind, besitzt ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten und wird zugleich unter den Bedingungen einer globalen, zunehmend als verunsichernd wahrgenommenen Gegenwart entwickelt. Im Januar 2015 nahmen die ersten Mitarbeiter_innen des Teams ihre Arbeit auf und fanden die ersten Besuche von Künstler_innen statt – während der sogenannten Flüchtlingskrise und dem sichtbaren Erstarken rechter Parteien in ganz Europa, aber noch vor dem reaktionären Backlash, für den Stichworte wie Brexit, Trumps Wahl zum US-amerikanischen Präsidenten und der Umbau der Türkei zu einer Autokratie unter Erdoğans Herrschaft exemplarisch stehen können.
     Die Projekte der Künstler_innen, aus denen sich die Ausstellung in ihrer finalen Form herauskristallisiert hat, sind unter diesen Vorzeichen entstanden.“

 

Alexandra Pirici Leaking Territories © Skulptur Projekte 2017 Foto: Henning Rogge

 

50 Jahre Skulptur Projekte sind eine lange Zeit. 39 Skulpturen vergangener Ausstellungen sind bisher in der Stadt verblieben. Nach der diesjährigen Schau wird es eine archivarische Aufarbeitung der fünf Skulptur Projekte geben, die für die Wissenschaft und die Öffentlichkeit zugänglich sein wird.

Irmgard Ruhs-Woitschützke


Die Skulptur Projekte 2017 sind bis zum 01. Oktober 2017 zu besuchen. Einen sehr guten Überblick und weitere Informationen bietet die Webseite der Skulptur Projekte unter
www.skulptur-projekte.de

 

 

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