rheinische ART
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rheinische ART 07/2014

Archiv 2014

OTTO PIENE IN DER LANGEN FOUNDATION

Light and Air
von Georg Simet

 

 

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Otto Piene vor seinen INFLATABLES, „Light and Air“ Ausstellung, Langen Foundation, Neuss, 2014, © VG Bild-Kunst, Bonn 2014, Foto: Katja Illner

 

Auch wenn Otto Piene (* 1928) Anfang des Jahres im Kunstmuseum Celle den Deutschen Lichtkunstpreis für sein Lebenswerk erhielt, eingehegt im Ruhestand-Reservat ist der Weltenbummler noch lange nicht. Im Rahmen der Quadriennale Düsseldorf 2014 ist er zur Zeit Gast in der Langen Foundation. Die von Christiane Maria Schneider enthusiastisch kuratierte Ausstellung zeigt ältere und neuere, relativ kleinflächige, vor allem aber raumfüllende und zuletzt auch raumentgrenzende Arbeiten. Im Mittelpunkt stehen zunächst – bis zum Höhepunkt, dem Open Air Spektakel am 9. August – Installationen, die in zwei Jahren Vorarbeit eigens neu arrangiert wurden.


ZERO Der Künstler Otto Piene war Mitbegründer der in Düsseldorf heimischen Avantgardegruppe Zero, die sich 1957/58 formierte und gegen Ende der 60-er Jahre bereits wieder auflöste. Ihrem Manifest von 1963 entsprechend ist Zero äquivalent zu Stille, Anfang und allem, was rund ist. Kurz gefasst: „Zero ist Zero.“ Öffnet man die Homepage der Zero Foundation ertönt zunächst der Countdown: „neun, acht…“. Zero, das ist der Startschuss – für die Rakete der Kunst (hinaus in die unendliche Weite des Himmels), die fix und fertig montiert auf ihre Startfreigabe wartet: „Sei, was Du bist.“ Ein wenig dieses zeroistischen Geists steckt in Piene bis heute.


Von Düsseldorf aus zog es Piene in die USA. Ab 1974 leitete er zwanzig Jahre das Medienlabor für künstlerisch-optische Experimente am renommierten Massachusetts Institute of Technology (M.I.T.) in Boston. Ziel seines Experimentierens war die Verwirklichung des “Traums einer besseren Welt“, vor allem einer Kunst, die dem Menschen angemessen ist: die ihn nicht klein macht und begrenzt und sein Lebenswerk in dicke, überdimensionierte Bilderrahmen zwängt.

 

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Otto PieneLichtraum, „Light and Air“, Ausstellung Langen Foundation, Neuss, 2014, © VG Bild-Kunst, Bonn 2014, Foto: Katja Illner


(Im Dunkeln) das Licht Der Weg ins Untergeschoss der Langen Foundation, in den Schoß der Erde, führt zunächst durch Stygian blackness, einen noch ebenerdig liegenden, abgedunkelten, u-förmigen Gang aus schwarzem Stoff. Vom Balkon öffnet sich sodann der Blick in die Unterwelt. Doch das Dunkel wirkt nicht bedrohlich, vielmehr beruhigend. Denn es ist von angenehmem Licht durchpulst, das aus streng geometrisch geformten Körpern wie Würfeln, Kugeln und Zylinder, deren Außenhaut zum Teil regelhaft, zum Teil unregelmäßig durchbrochen ist, in den Raum ausstrahlt. Gebrochen wird das Licht dabei nicht nur an den Objekten und Wänden, sondern auch am Gang und am Glas der Geländer.

     Dadurch entstehen nicht nur kontemplative, orakelhafte Musterwelten aus Licht und Schatten. Die miteinander spielenden, luftigen Strukturen bilden zudem in sich geschlossene Welten aus, die vor-, neben-, hinter- und übereinander gelagert zu sein scheinen. Der Lichtraum wird zum Multiversum, zu einem Kosmos. Zusätzlich unterstützt wird dies durch das in konzentrischen Kreisen wie um eine Sonne arrangierte, großflächige Lichtpunktensemble, das von der rechten Seitenwand her den Flaneur auf seinem Abstieg in den Lichtraum begleitet.

 

 

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Ausstellung Otto Piene Retrospektive, Lichtraum, „The Zero Experience“, Städtische Galerie, Haus zur Steinernen Glocke, Prag, Tschechien, 2002, © VG Bild-Kunst, Bonn 2014, Foto: Günter Thorn

     Unwillkürlich fühlt man sich an Goethes Faust erinnert, an die Stelle rückversetzt, in der der Erzengel Raphael die Sphärenharmonie verkündet:


Die Sonne tönt nach alter Weise
in Brudersphären Wettgesang,
und ihre vorgeschriebne Reise
vollendet sie mit Donnergang.

 

Die einzelnen Komponenten des Lichtraums sind nicht neu, wurden aber eigens für die Ausstellung so arrangiert, dass der Raum Subjektivität, Leben erhält, eine eigene Befindlichkeit und Gestimmtheit entfaltet und in Stille zu transzendieren scheint.
     Doch auch für den Donner ist gesorgt. Vom Nebenraum her tönen in rhythmischem Wechsel auf- und abschwellende Geräuschformationen herüber und künden von einer andern, einer lauten, der Motorenwelt des industriellen Zeitalters.


In Inflatables (die Luft) Dasselbe Konstruktionsprinzip der Neukomposition von bereits Gezeigtem gilt auch für den Nachbarraum. In ihm sind in der einen Hälfte palmenähnlich anmutende Gebilde zu einer Art Strandkulisse gruppiert. Die Stars genannten, einfarbigen Objekte, die zum Teil bis an die Decke heranreichen, erinnern ihrer Machart nach an den Stern von Bethlehem (der, in vielen Darstellungen, einem Kometen gleich, einen Lichtschweif hinter sich herziehend auf seine eigene Explosion hin zuzurasen scheint). All die Stars bestehen aus mächtigem Stamm, einer geknickten Luftröhre, die in einem Blätterkranz aus aufblasbaren Kegeln endet. Mal hängen sie schlapp fast bis zum Boden herab. Mal plustern sich die Schwellkörper motorgetrieben geräuschvoll auf. Einige Kegel sind lang und schmal, andere kurz und dick. Man sieht dem Publikum an, welch‘ Spaß es macht, in diesen Wald des élan vital hinein und durch ihn hindurch zu spazieren.

 

 

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Otto Piene INFLATABLES, „Light and Air“, Ausstellung, Langen Foundation, Neuss, 2014, © VG Bild-Kunst, Bonn 2014, Foto: Katja Illner


Regenbogen „Rot orange gelb grün indigo blau violett Zero Zero Regenbogen.“ So stand es im Manifest. Auch diesen Zero-Aspekt griff Piene später wieder auf. Nicht nur sind die Stars farblich differenziert in „Black Star“, „Purple Star“, Yellow Star“ und so weiter. Auch das Regenbogen-Motiv wurde bereits zu einem Sky Event transformiert. Zum Abschluss der durch einen Terrorakt des Schwarzen September überschatteten Olympiade von 1972, dem insbesondere viele israelische Sportler zum Opfer fielen, überspannte Piene einen Teil des Olympiazentrums von München mit einem mehrere hundert Meter langen Regenbogen der Hoffnung. Ein Film hierzu ist in einem kleinen Vorführraum zu sehen.


Blau und weiß; blau und rot Die andere Hälfte der lichtdurchfluteten zweiten Halle, die den Blick aus der Tiefe der Erde in den Himmel hinein frei gibt, ist für Pienes Bilder reserviert. Sie fassen den Raum in einem Halbkreis aus teils in Glide (1997) zerfließendem und teils sich zu Eye Fly (1993/97) verdichtendem Blau und Weiß: „Zero ist schön, dynamo, dynamo, dynamo“. Diese Dynamik der Zero-Jahre ist ebenfalls bis in die viel späteren Arbeiten hin gegenwärtig. Stetige Veränderung ist das, was Piene seit Anbeginn reizte. Daraus resultierte nicht nur sein Hang mit diversen Materialien zu arbeiten, sondern auch seine Vorliebe für Feuer und Himmel: „Der verändert sich auch ständig.“ In weiterem Kontrast zur weiß-blauen Himmel-Farbigkeit der Bilder im Unterbau zeigt die über eine Treppe erreichbare höhere, die Ausgangsebene Bilder in vorherrschend Blau und Rot.
      So wie im Untergeschoss Sky Art (1995) fast nur blau gestimmt ist (mit dem entsprechend vorgelagerten und in kleiner Größe gesetzten Schriftzug in schwarz), ist das Pendant hierzu auf der Ausgangsebene - das auf Deutsch betitelte Bild Feuerwasser (1993) - vornehmlich in vitalem Rot gestaltet. Feuerwasser ist zudem als Wort ein begriffliches Konstrukt, gebildet aus den elementaren Zero-Begriffen Feuer und Wasser. Durch die Auswahl der Arbeiten und die geschickte Hängung wird last but not least auch das kontrasthafte, dialektische Formprinzip Pienes in der Ausstellung gekonnt nach-inszeniert.


Versus Malewitsch Da zur selben Zeit in Bonn Malewitschs „Rotes Quadrat“ auf weißem Grund von 1915 (mehr) als Glanzstück einer Retrospektive zu sehen ist, ist Pienes später Gegenentwurf zu erwähnen: „Rotes Viereck auf blauem Grund“ (1987). Im Vergleich der beiden Werke zeigt sich die Divergenz der Stile überdeutlich: Auf der einen Seite die suprematistische Reduktion von Farbigkeit auf monochrome Vollkommenheit, auf der andern Seite die spielerische, kontrastive Dynamisierung, Erzeugung von Farbtexturen; monochrom, statisch ist in Pienes Bild allein der Hintergrund.

 

 

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Otto Pine, SKY LEI, Waikiki Sky Event, Kapiolani Park, Honolulu, Hawaii, USA, 19. September 1970 © VG Bild-Kunst, Bonn 2014, Foto: Nan Rosenthal

 

 Licht und Luft: Höhepunkt der Ausstellung ist/wird sicherlich das für den 9. August angekündigte Sky Event. An diesem Tag sollen die Besucher der Langen Foundation ermuntert werden, sich selbst als Künstler zu betätigen und Inflatables in den „Himmel über Zero“ steigen zu lassen. Der Countdown läuft – gen Zero: Womit (fast) alles begann und von Neuem beginnt: Wiederkehr des ewig Gleichen (Nietzsche), doch nie desselben. Das Leben: Ein „Wanderzirkus“.

 

Die Ausstellung „Otto Piene, Light and Air“ ist bis zum 10. August 2014 (verlängert bis zum 7. September 2014) zu sehen.
Langen Foundation
Raketenstation Hombroich 1
41472 Neuss
Tel. 02182 / 5701-0

 

 

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