rheinische ART
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rheinische ART 03/2017

Archiv 2017

DIE ZUGEZOGENEN
Exit vom Brexit

 

Wie sieht es aus, wenn eine fiktive deutsche Familie, die lange in der Metropole London lebte, sich durch den politisch eingeleiteten Brexit veranlasst sieht, England zu verlassen und nach Krefeld zieht? Ein Besuch in Haus Lange.

 

Elmgreen & Dragset Eternity, 2008 Skulptur aus Epoxidharz auf einem Holzbett, Bettwäsche, weiße, supermatte Lackierung. Installationsansicht Die Zugezogenen, Museum Haus Lange, Kunstmuseen Krefeld, 2017 Courtesy Galerie Perrotin Foto © rheinische ART 2017

 

Die Zugezogenen, sie hatten Glück, ihr neues Heim ist Haus Lange, eine exklusive Villa, Ende der 1920er Jahre vom Stararchitekten der Moderne, Ludwig Mies van der Rohe, entworfen. Das großbürgerliche Wohnhaus im Bauhaus-Stil besticht durch Funktionalität, Rationalität und Transparenz.

     Der alte Jaguar der neuen Bewohner, mit englischem Kennzeichen, parkt vor der Tür. Sein Dachgepäckträger wurde noch nicht entladen, im Haus ist etwas Leben auszumachen, Lampen brennen und die Offerte des Maklers auf dem Verkaufsschild draußen im Vorgarten ist durchgestrichen: Verkauft.

 

Elmgreen & Dragset Zu verkaufen, 2017 Edelstahl Installationsansicht, Die Zugezogenen, Museum Haus Lange, Kunstmuseen Krefeld, 2017 Courtesy the artists Foto © rheinische ART 2017

 

Umzug Es ist die Zeit des Umzugs, des Wechsels einer Heimstatt in eine andere, die das Künstlerduo Michael Elmgreen (*1961 in Kopenhagen) und Ingar Dragset (*1969 in Trondheim), thematisiert. Die Künstler fokussieren sich in ihrer Installation auf den Moment des Einzugs der Familie in das neue Haus und inszenieren diesen wichtigen Moment der Migration mit einer sehr realistischen Präsentation, die die Grenze zur Fiktion nur scheinbar kennt.

 

Kultureller Unterschied In ihrer angenommenen Geschichte ist es eine deutsche Familie, die nach Deutschland zurückkehrt, und die doch die kulturellen Eigenheiten ihres jahrelangen Gastlandes – eben Großbritannien – teilweise übernommen haben und demzufolge „mitbringen“.

     Es muss nicht immer die Migration aus Afrika oder dem arabischen Raum sein, die im gesellschaftlichen Fokus steht. Die kulturellen Unterschiede sind auch innerhalb Europas gegeben, eine Tatsache, der sich die Menschen vielfach gar nicht bewusst sind. Elmgreen & Dragset machen sie deutlich.

 

Elmgreen & Dragset Installationsansicht, Die Zugezogenen, Museum Haus Lange, Kunstmuseen Krefeld, 2017 Courtesy the artists Foto © rheinische ART 2017

 

Die Ausstellung Im Haus selbst ist der Umzug noch im vollen Gange. Kleine Skulpturen, Nippes-Waren ähnlich, dekorieren im Wohnzimmer die lange Fensterbank, erste Bilder hängen geordnet an der Wand, über dem Kamin thront ein großformatiges, gemaltes Portrait des Kindes der Zugezogenen.

     Ein riesiger schwarz lackierter Esstisch dominiert den Raum. Er ist eingedeckt wie zu einem Festessen, das Geschirr bedarf eines besonderen Geschmackes, um es gut zu finden, und die Stühle, in ihrer Form zum Tisch passend, haben mit der Zeit der Moderne, die das Haus mit seiner klaren Linienführung atmosphärisch ausstrahlt, nichts, aber auch gar nichts, gemein. Die Harmonie der Kontraste, sie muss sich erst noch einstellen.

     Unpassend fühlt sich auch der kleine Junge, der verschüchtert unter seinem Portrait im kalten Kamin kauert. Alles ist neu. Hat er Angst?

 

Elmgreen & Dragset Installationsansicht (Ausschnitt), Die Zugezogenen, Museum Haus Lange, Kunstmuseen Krefeld, 2017 Courtesy the artists. Foto: Volker Döhne
Foto © Elmgreen & Dragset und VG Bild-Kunst, Bonn 2017

 

Distanziert steht die Haushälterin, eingekleidet zum Servieren, einige Meter von ihm entfernt. Nebenan bellt der Familienhund sein Spiegelbild an, Umzugskartons sind halb geöffnet und noch nicht ausgepackt, Teppiche liegen noch aufgerollt am Boden und im Bündel lehnen Styropor-Stuckelemente, die einmal die dem Bauhaus-Stil folgenden schmucklosen kantigen Decken verschönern sollen, an der Wand. Die unterschiedlichen Wirklichkeiten finden hierin einen unglaublich starken Ausdruck.

 

Elmgreen & Dragset Second Marriage, 2008 Metallknoten, Waschbecken, Spiegel, Seife, Seifenspender Installationsansicht, Die Zugezogenen, Museum Haus Lange, Kunstmuseen Krefeld, 2017 Sammlung Goetz, München  Foto: Volker Döhne © Elmgreen & Dragset und VG Bild-Kunst, Bonn 2017

 

Schwarz-Weiß Dass der deutschen Familie aus England kommend die bauhaus-weißen Wände nicht behagen, ist im Obergeschoss zu erfahren. Hier sind Maler dabei, die Wände schwarz zu streichen. Ist das jetzt schwarzer Humor? Zwei Kinderzimmer sind bereits fertig. In ihnen sind Kinderbetten mittig aufgestellt und auf diesen thronen – Geier. Und aus den Wasserhähnen im neu eingerichteten Badezimmer wird offensichtlich nur kaltes Nass fließen...

 

Draußen auf der Terrasse wiederholen Elmgreen & Dragset ihre bekannte Installation von der Biennale in Venedig 2009, wo ein toter Mann im Swimming-Pool liegt. Auch hier trägt das Wasser den leblosen Körper wie schwebend, die eleganten Straßenschuhe stehen, glänzend poliert, sorgsam aufgestellt am Rande.

 

Elmgreen & Dragset Installationsansicht, Die Zugezogenen, Museum Haus Lange, Kunstmuseen Krefeld, 2017 Courtesy the artists Foto © rheinische ART 2017

 

Kunsthaus/Wohnhaus In einem der Räume, die sich zur Gartenseite hin öffnen, steht ein Flügel. Es ist schwer zu sagen, ob dieses Mobiliar von den Zugezogenen mitgebracht wurde oder ob es zu den zurück gelassenen Möbeln des Vorbesitzers zählt. Auf ihm steht ein Taktgeber, ein Metronom: Tak, Tak, Tak... Es ist ein Geräusch, das den Besucher bei seinem Gang durch das Wohnhaus immer begleitet. Tak, Tak, Tak...

     Elmgreen & Dragset nutzen Haus Lange so, wie es ursprünglich intendiert war: als Wohnhaus einer Familie. Es ist interessant, diese Bauhaus-Villa, längst eine Ikone der Moderne wie das benachbarte Haus Esters und bekannt für zeitgenössische Kunstpräsentationen, in diesem häuslichen Setting zu erfahren.

 

Das Künstlerduo, so teilen die Kunstmuseen Krefeld als Ausrichter mit, deutet in seinen Installationen, Skulpturen und Performances das Alltägliche und Vertraute mit gesellschaftskritischen Witz und subversivem Humor um. In Krefeld nutzen sie überlegt Doppelungen und Spiegelungen, setzen aber auch gezielt Risse in den Objekten ein. Ihr Auftritt im Haus Lange ist ihre erste institutionelle Einzelausstellung im Rheinland. Abwegig ist ihre Fiktion einer deutschen Rückkehrer-Familie bedingt durch den Brexit keinesfalls. Sie verweisen auf ein sehr prominentes Mitglied der Kunstszene, das ebenfalls nach Deutschland zurück kam: Martin Roth, vormaliger Direktor des Victoria & Albert Museums in London.
Irmgard Ruhs-Woitschützke

 

Die Ausstellung „Die Zugezogenen“ von Elmgreen & Dragset ist bis zum 27. 08.2017 zu sehen.
Museum Haus Lange
Wilhelmshofallee 91
47800 Krefeld
Tel. 02151 / 975580
Öffnungszeiten
DI – SO 11 – 17 Uhr

 

 

 

 

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