rheinische ART
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rheinische ART 07/2017

Archiv 2017

ERHEITERUNG IN DUISBURG
Wurm worldwide


Die Region an Rhein und Ruhr hat ihn wieder! Erwin Wurm, der österreichische Topstar der zeitgenössischen Kunst und Meister der ironischen Abgründe, wird in Duisburg gleich im Doppelpack präsentiert.

 

Blick in die Ausstellung Erwin Wurm Installationsansicht Wandobjekt lindgrünes Strickbild 2017 und 18 Pullover, 1992. Foto © rheinische ART 2017

 

Der international renommierte Bildhauer ist für skurrilen Humor und ebensolche Kunst bekannt.

     2014 hatte er im Duisburger Lehmbruck Museum seine küssenden „Bronze-Würstchen“ ausgestellt und im Wuppertaler Skulpturenpark Waldfrieden war im Jahr darauf das Publikum über seine Haus-Deformationen und Wurstautos amüsiert wie irritiert (mehr).

 

Erwin Wurm Fat Convertible, 2005, Mixed media 130 x 469 x 239 cm Foto Studio Erwin Wurm © VG Bild-Kunst, Bonn 2017. Exponat im Lehmbruck Museum.

 

Erwin Wurm Kastenmann rosa/gelb, 2008-2009, Gips MDF Wolle, Sammlung Christoph La Garde, Wien. Foto © rheinische ART 2017

 

Ausloten was geht! Erwin Wurm bei der Ausstellungseröffnung im MKM Duisburg, Foto © rheinische ART 2017

 

Jetzt gibt´s als Sommerschau einen breiten Überblick über das Schaffen von Erwin Wurm (*1954). Das Lehmbruck Museum und das MKM Museum Küppersmühle zeigen gemeinsam Arbeiten aus allen wichtigen Werkgruppen des Künstlers.
     Aber nicht nur in der Duisburger Expo-Kooperative gibt es aktuell Absurditäten der Kunstmarke „Wurm“ zu bewundern. Das Wiener Belvedere, dass zeitgleich „Performative Skulpturen“ des Künstlers im 21er Haus präsentiert, stellt nüchtern fest: An Wurm komme 2017 keiner vorbei!
     In der Tat. Auf mehreren internationalen Ausstellungen ist der Mann aus der Steiermark im laufenden Jahr vertreten. Und auf der Kunstbiennale in Venedig bespielt Erwin Wurm neben der Wiener Künstlerin Brigitte Kowanz (*1957), die für ihre Licht-Installationen bekannt ist, den Pavillon seiner Heimat. Abgesehen davon befinden sich Werke von ihm in großen Sammlungen, darunter Tate London, MoMA und Guggenheim in New York und Centre Pompidou Paris. Wurm worldwide!


Nun also noch die Retrospektive in Duisburg, die das Zeug hat, ein echter Kurzweiler, ja gar ein Sommer-Knaller zu werden.

     Im Museum Küppersmühle ist eine von Wurms neuen großflächigen Installationen zu sehen. Ein monumentales Kunstwerk, das es „so noch nie gegeben“ habe, vermerken die Kuratoren. 90 Meter Länge misst der lindgrüne Riesen-Pullover, der eigentlich ein Wall Covering ist und der sich über fünf Ausstellungsräume erstreckt. Das MKM darf sich eingepackt fühlen.

     Aus der Distanz, so feiern die Veranstalter den Hingucker, wirke die Wandbekleidung wie Malerei und erinnere „auch an die Farbfeldmalerei, wie sie ab Mitte der 1950er-Jahre in Amerika“ entwickelt wurde. Deren Hauptvertreter waren bekanntlich Barnett Newman, Mark Rothko, Ad Reinhardt und Clyfford Still.

 

Erwin Wurm Installationsansicht Mentales Rot (Sex), 2007, Wolle auf Leinwand, Sammlung Sanziany & Palais Rusomofsky, Wien. Foto © rheinische ART 2017


Ob Erwin Wurm, der Verwandlungskünstler, bei der lindgrünen Strickware - gefertigt in Bangkok - an die Heilwirkung dieser Farbe dachte und sich bewusst war, dass Lindgrün das Herz erheitere und die üblen Dinge des Lebens vergessen lasse? Nicht zwingend, aber durchaus denkbar. Erwin Wurm ist schließlich Kunsterzieher und somit von Berufswegen schon mit Farbdeutungen und -wirkungen durchaus vertraut.

 

Erwin Wurm Boxhandschuh, 2016, Bronzeguß patiniert, 146 x 112 x 96 cm. The Artist and König Galerie Berlin Foto © rheinische ART 2017

 

Am Eingang begrüßt den Besucher an der Küppersmühle ein Boxhandschuh in der Signalfarbe orange-rot. Reifenspuren daran lassen die Frage auftauchen: Was war da los?

     Die Schau selbst hat die eine oder andere Überraschung, sozusagen echte „Wurmwerke“, die unkonventionell daherkommen und für hintergründige Deutung Raum lassen. Der Mann ohne Kopf aber dafür deutlichem Phallusbesitz ist da – zum Gaudi so mancher Visiteure – nur eines der frechen, ironischen Kunststücke, die Wurms drastisches wie radikales Streben nach einem Durchbrechen der konventionellen Kunstkategorien erahnen lassen. Da erinnere er, so heißt es aus Wien, an den großen Objektkünstler Marcel Duchamp (mehr). Bei Wurm sind die Dinge eben nicht das, was sie scheinen.


Der Ironie-Champion über seine Absonderlichkeiten: „Ich finde spannend, was passiert, wenn man Alltagsgegenständen den Nutzwert entzieht, bekannte Formen neu interpretiert.“ Auch Wurms One Minute Sculptures sind im MKM vertreten. Der Besucher findet sich aufgefordert, selbst die künstlerische Bühne zu betreten und für 60 Sekunden zur lebenden Skulptur zu werden.
     Damit stellt der Österreicher den gängigen Skulpturenbegriff ebenso zur Disposition wie die Drinking Sculptures, die die Besucher im nicht weit entfernten Lehmbruck Museums in Versuchung führen sollen. Die umgebauten Möbel dort, wie etwa der Martin Kippenberger Schrank, erscheinen zunächst harmlos, in den Barfächern aber ist Alkohol versteckt. Kurze, handgeschriebene Anweisungen fordern die Besucher auf, sich zu betrinken. So unterlaufen sie jegliche museale Förmlichkeit und lassen – bei richtiger Nutzung, wie das Haus erklärt – die kognitiven Fähigkeiten ins Bodenlose sinken.

 

Erwin Wurm Land der Berge, 2017, Bronze, 55-teilig, Studio Erwin Wurm, © VG Bild-Kunst, Bonn 2017, Foto: Studio Erwin Wurm, Berg 23, Bronze, patiniert, Hammer, 28 x 28 x 23 cm. Exponat im Lehmbruck Museum.

 

Doppeldeutigkeiten Zu den neuen Arbeiten gehören im Lehmbruck Museum die Werkkomplexe Land der Berge und Vaterland, die ohne Zweifel Assoziationen mit des Künstlers bergreicher österreichischen Heimat hervorrufen. Aber auch hier ist der Wurm drin!

     Die beschauliche Naturidylle, das Erhabene der Gipfel und der Touristentraum Alpen werden zu einer Kollektion miniaturisierter, dunkel patinierter Bergformationen – kleine Berghäuflein, garniert mit Werkzeugen oder Sonstigem, Müllberge oder Berge voll Müll? Die 36 Zeichnungen auf Bütten, die Grafikserie namens Vaterland, ist ausschließlich in Braun gehalten, jedoch in unterschiedlichen Tönen. Ist es die Farbe der Wiener Kaffeespezialität "Kleiner Brauner", oder war es doch was anderes? Es bleibt dabei: Die Gedanken sind frei!
     Wurm sieht sich selbst als eine Art Gesellschaftsforscher, der aus ungewöhnlicher Perspektive auf unsere Zeit blickt, auf die Art, wie die Gesellschaft konsumiert, ihren Alltag organisiert oder sich präsentiert. Er ist ein Experimentator in Sachen Bildhauerei, der seit Jahrzehnten auslotet, was da an Ausdruck noch möglich ist. Von Konsumwahn bis Adorno, von Fettsucht bis zu körperloser Kleidung – die Themen sind unbegrenzt und als Material eignet sich im Grunde die ganze Welt.
cpw


Die Ausstellung Erwin Wurm läuft im MKM Museum Küppersmühle bis zum 3. September 2017. Die Schau im Lehmbruck Museum endet am 29. Oktober 2017.

MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst
Philosophenweg 55
47051 Duisburg
Tel. 0203 / 301 948 10
Öffnungszeiten
MI 14 - 18 Uhr
DO - SO 11 - 18 Uhr
Lehmbruck Museum
Friedrich-Wilhelm-Straße 40
47051 Duisburg
Tel. 0203 / 283 3206
Öfnungszeiten
DI - FR 12 - 17 Uhr
SA, SO 11 - 17 Uhr

 

Die Ausstellung „Erwin Wurm – Performative Skulpturen“ wird bis zum 10. September gezeigt.
Belvedere Wien
21er Haus

Arsenalstraße 1
1030 Wien
Tel 43 1 795570
Öffnungszeiten
MI + FR 11 - 21 Uhr
DO, SA, SO 11 - 18 Uhr

 

 

 

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