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rheinische ART 08/2017

Archiv 2017

ENTARTETE KUNST IN SOLINGEN
Verkauft, versteigert, verbrannt


..aber nicht vergessen! Es ist eines jener Kapitel in der deutschen Kunst- und Museumsgeschichte, das bis heute nichts an Schrecken verloren hat und für Fassungslosigkeit sorgt. In einer beispiellosen „Säuberungsaktion“ beschlagnahmte das NS-Regime im Frühsommer vor 80 Jahren als „entartet“ bewertete Kunstwerke der Moderne.


 

Kurt Tuch Badende am Krüpelsee, um 1918/22, Öl auf Leinwand, Bürgerstiftung für verfolgte Künste - Else-Lasker-Schüler-Zentrum - Kunstsammlung Gerhard Schneider © Sonja Tuch

 

Um was es sich bei „Entartung“ konkret handelte, wurde den "Volksgenossen" danach anschaulich vorgeführt.

     Am 19. Juli 1937 eröffnete in München die NS-Propagandaschau „Entartete Kunst“. Sie war der öffentlichkeitswirksame Teil der umfassenden Jagd auf alle Andersdenkenden und wurde zum Synonym der Zerstörung der Moderne durch das „braune Regime“. Beschlagnahme und Ausstellung organisierte der Präsident der „Reichskammer der bildenden Künste“ Adolf Ziegler. Der ehemalige Maler bei der Eröffnung der Schau: "Sie sehen um uns herum diese Ausgeburten des Wahnsinns, der Frechheit, des Nichtkönnens und der Entartung."

 

Joseph Goebbels, „Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda“, im Februar 1938 in der Ausstellung "Entartete Kunst" im Münchner Haus der Kunst. Rechts davon (mit Brille) der Ausstellungsleiter Hartmut Pistauer. Foto Bundesarchiv, Bild 183-H02648 Fot.: Ste. 27.2.38

 

Oscar Zügel Rote Tänzerin, 1933, Öl auf Leinwand, Bürgerstiftung für verfolgte Künste – Else-Lasker-Schüler-Zentrum – Kunstsammlung Gerhard Schneider © Katia Zügel

 

Martel (Martha) Schwichtenberg Frauenkopf, um 1920, Öl auf Pappe, Bürgerstiftung für verfolgte Künste – Else-Lasker-Schüler-Zentrum – Kunstsammlung Gerhard Schneider © Zentrum für verfolgte Künste

Gleichzeitig war dies der Auftakt für einen Tour-Reigen durch deutsche Ausstellungshäuser. Bis April 1941 wurde die Schau in zwölf Städten präsentiert und zog offiziell etwa 2,1 Millionen Besucher an, andere Berechnungen liegen noch höher. Diese Femeschau war, schlichtweg, ein Publikumsrenner.

     Gezeigt wurde, was nicht der deutsch-völkischen Kunstauffassung und dem sogenannten NS-Schönheitsideal entsprach und daher als „entartet“ galt. Darunter fielen Gemälde, Zeichnungen, Fotografien und Skulpturen des Expressionismus, Impressionismus, des Dadaismus, aller kubistischen Strömungen wie auch die Neue Sachlichkeit, Werke des Fauvismus und Surrealismus.

     Die Arbeiten wurden rigoros und radikal aus den längst gleichgeschalteten Kunsthäusern, insgesamt waren es 32 Museen, aussortiert, oder in regelrechten Plünderungen aus den Beständen entwendet.
     Über 700 beschlagnahmte Werke von mehr als 120 Künstlern wurden in der Münchener Auftaktausstellung auf diffamierende Weise präsentiert. „Die Beschlagnahme und Ausstellung von Werken der so genannten ´Entarteten Kunst´ ist eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Kunst- und Museumsgeschichte", so Kulturstaatsministerin Monika Grütters anlässlich des Gedenkdatums.


Die Nationalsozialisten hatten mit dem Gesetz über die Einziehung von Erzeugnissen „Entarteter Kunst" den juristischen Rahmen geschaffen, mit der die geächtete Kunst verkauft, getauscht oder vernichtet werden konnte. Vor allem als „wertlos“ taxierte Avantgarde-Werke wurden zerstört, einiges gelangte auf schwierigen Wegen ins Ausland. Zu den maßgeblichen Kunsthändlern jener Jahre gehörte Hildebrand Gurlitt (mehr).

 

Otto Pankok Hoto II, 1931, Lithografie, Bürgerstiftung für verfolgte Künste – Else-Lasker-Schüler-Zentrum – Kunstsammlung Gerhard Schneider © Erben Otto Pankok

 

Insgesamt wird heute davon ausgegangen, dass in den NS-Jahren rund 20.000 Werke von über 1.600 Kunstschaffenden als „degeneriert“ und „volksverderbend“ aus Museen und öffentlichen Sammlungen entfernt wurden.

     Darunter unter anderen die Werke von George Grosz, Ernst Ludwig Kirchner (mehr), Max Ernst, Karl Schmidt-Rottluff, Max Pechstein (mehr), Paul Klee (mehr), Otto Griebel, Ernst Barlach, Otto Pankok oder Otto Freundlich. An das tragische Schicksal Freundlichs erinnerte das Museum Ludwig in Köln erst jüngst mit einer bemerkenswerten Werkschau (mehr).

 

Theo Gebürsch Berliner Häuser, 1930, Öl auf Leinwand, Bürgerstiftung für verfolgte Künste – Else-Lasker-Schüler-Zentrum – Kunstsammlung Gerhard Schneider © Erben Theo Gebürsch

 

Florenz Robert Schabbon Kniender männlicher Akt in Landschaft, 1921, Öl auf Pappe, Bürgerstiftung für verfolgte Künste – Else-Lasker-Schüler-Zentrum – Kunstsammlung Gerhard Schneider © Zentrum für verfolgte Künste

 

Milly Steger (mehr) Weiblicher Torso, um 1921, Gips © Zentrum für verfolgte Künste / Judith Schönwiesner. Exponat in der Ausstellung "Malerei und Plastik in Deutschland 1936"

 

Doppelausstellung Derzeit widmet das Solinger Zentrum für verfolgte Künste dem Kunstfrevel von 1937 zwei Expositionen. Die Leitausstellung titelt „Vor 80 Jahren – Die NS-Aktion ´Entartete Kunst´“ und speist sich aus Neuwerbungen zum Thema. Das Interessante: die Kuratoren erinnern nicht nur an bekannte Namen, sondern auch an oft übergangene oder fast vergessene Kunstschaffende, die Repressionen unterworfen waren und deren Arbeiten teilweise zerstört wurden oder bis heute verschollen sind.

     Zu diesem Kreis gehörten etwa der Expressionist Kurt Tuch (1877-1963), der Maler und Kunstpädagoge Georg Netzband (1900-1984) oder Theo Gebürsch (1899-1958) von der Künstlergruppe „Porza“. Nicht allen gelang ein Ausharren im Exil oder in der inneren Emigration. Der expressionistische Bielefelder Maler Florenz Robert Schabbon (1899-1934) nahm sich aus Verzweiflung das Leben.

     Eingebettet in die Hauptschau ist die exemplarische Geschichte der Ausstellung „Malerei und Plastik in Deutschland 1936“. Diese seinerzeitige Jahresschau des Deutschen Künstlerbundes im Hamburger Kunstverein war anlässlich der Olympischen Spiele organisiert und von Publikum und Presse begeistert aufgenommen worden. Sie wurde nur elf Tage nach ihrer Eröffnung geschlossen. Offizielle Begründung: der größte Teil der Werke sei „Kunst der Verfallszeit“. Diese heute fast nur Kunstexperten bekannten Vorgänge erscheinen wie der Auftakt zur Aktion „Entartete Kunst“, betonen die Kuratoren in Solingen.


Neuerwerbungen Die vom Solinger Museum erworbenen neuen Werke stammen zum einen aus dem Oscar Zügel Archiv „Kunst und soziale Verantwortung“. Der Maler Oskar Zügel (1892-1968) hatte Joseph Goebbels abstrakt gemalt - das reichte für eine Verbannung. 1934 ging der Regimegegner zunächst ins spanische und dann ins argentinische Exil. Auch nach 1945 kehrte er nicht wieder nach Deutschland zurück. Sein Werk ist künstlerisch wie inhaltlich von den Strömungen der Zeit zwischen 1920 und 1960 geprägt. Es finden sich neben Gemälden der Neuen Sachlichkeit und der Abstraktion auch Arbeiten, die sich kritisch mit den politischen Verhältnissen der NS-Zeit Europas und des späteren Kalten Kriegs beschäftigen. Zügel hat ein in vielfältiger Weise einzigartiges Gesamtwerk hinterlassen, das nun für die Öffentlichkeit gerettet werden konnte.

 

Oscar Zügel Dornbusch, um 1926-1928, Öl auf Leinwand, Bürgerstiftung für verfolgte Künste – Else-Lasker-Schüler-Zentrum – Kunstsammlung Gerhard Schneider © Katia Zügel

 

Die Bürgerstiftung für verfolgte Künste konnte zum anderen Werke aus der Kunstsammlung Gerhard Schneider ankaufen. Eine Sammlung, die in Umfang und Schwerpunkt europaweit als einzigartig gilt. Der Sammler hat sich vor allem auf die weniger bekannten Kreativen, die in den Sog der Verfemung, der Beschlagnahmung und öffentlichen Diffamierung durch den NS-Staat geraten waren, fokussiert. Mittlerweile umfasst die Sammlung Werke von über 400 Künstlern, von denen 100 auf den Femeschauen zwischen 1933 und 1941 als „entartet“ stigmatisiert wurden.
Klaus M. Martinetz

 

Der Thematik „Entartete Kunst“ wird ab Herbst in Ausstellung in Bern und Bonn gedacht. Das Kunstmuseum Bern zeigt Teile aus den im Nachlass von Gurlitts Sohn Cornelius aufgefundenen Werken. Die Bundeskunsthalle Bonn präsentiert Arbeiten, die NS-verfolgungsbedingt entzogen wurden oder deren Herkunft noch nicht geklärt werden konnte. "Mit der Doppelausstellung 'Bestandsaufnahme Gurlitt' setzen beide Häuser ein Zeichen bei der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Kunstpolitik", so Kulturstaatsministerin Grütters.

 

Die Ausstellungen „Vor 80 Jahren: Die NS-Aktion »Entartete Kunst«“ und „Malerei und Plastik in Deutschland 1936“ werden bis zum 10. September 2017 gezeigt.

Kunstmuseum Solingen / Zentrum für verfolgte Künste
Wuppertaler Str. 160
42653 Solingen-Gräfrath
Tel.: 0212 / 2 58 14 – 0
Öffnungszeiten
DI - SO 10 - 17 Uhr

 

 

 

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