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rheinische ART 12/2023

Archiv 2023

PHILOSOPHIE
„Es ist gut!“


Sagte der Mann, dreht sich im Bett um und verstarb. Das passierte in Königsberg am Sonntag, den 12. Februar 1804 gegen 11 Uhr. Der Dahingeschiedene war der 80-jährige deutsche Philosoph Immanuel Kant und der kurze Satz angeblich sein letzter.

 

Emil Doerstling Kant und seine Tischgenossen, 1893, Leihgabe Stiftung Königsberg / Ostpreußisches Landesmuseum, Lüneburg.  Bildquelle © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2023 Ergänzende Bild-Erläuterung siehe unten Hinweispfeil.

 

In 2024 dürfte am 24. April vielerorts an den 300. Geburtstag des berühmten Aufklärungsvordenkers aus Königsberg erinnert werden. In der Bonner Bundeskunsthalle wird in einer raffiniert illustrierten Schau bereits jetzt an Kant gedacht.

     Apropos Königsberg. Die ehemals ostpreußische Stadt, die vermutlich vielen nur durch die gleichnamigen Klopse bekannt ist, heißt heute Kaliningrad und ist russisch. Sie entstand just in Kants Geburtsjahr 1724 durch Vereinigung der Orte Altstadt, Kneiphof und Löbenicht. Eigentlich hätte sie auch eine Geburtstagsfeier verdient.

 

War Kant ein Frauenfeind? Nicht unbedingt. Einem Bekannten schrieb er 1757 den Vers ins Stammbuch: „Großen Herren und schönen Frauen soll man wohl dienen, doch wenig trauen.“

Bild: In der Ausstellung präsentierte Kant-Illustration von Antje Herzog. Bildquelle © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2023

 

Sicherlich wird das Kant-Jahr reich gefüllt sein mit Gedenkfeiern, Symposien, Kongressen und Ausstellungen. 

     Das Besondere an der Schau in Bonn ist die visuelle Gesamtkonzeption, die sich dem Leben und Wirken Kants widmet. Denn die Kuratoren Agnieszka Lulinska und Thomas Ebers positionieren mit großflächigen Illustrationen die Lebensjahrzehnte von Immanuel Kant (1724 –1804) als gezeichnete Biografie an die Wände.

     Das schafft Lust zum Lesen, erhöht das Verstehen und bietet damit einen musealen Mehrwert der besonderen Art.

 

Johannes Heydeck Immanuel Kant am Schreibtisch 1872, Leihgabe Stiftung Königsberg / Ostpreußisches Landesmuseum, Lüneburg. Bildquelle © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2023

 

Durch Anekdoten, Episoden und anschaulichen Exponaten wird die vermeintlich trockene Philosophie aufgelockert, der Philosoph menschlich und ein Ratgeber für alle Tage.

     Am Ziel dieser Schau lässt die Bundekunsthalle keine Zweifel aufkommen: Sie will, wie es heißt, Kants Werk einem philosophisch nicht vorgebildeten, explizit auch einem jungen Publikum nahebringen. Wie ginge dies besser als mit den kurzweiligen comicartigen Bilderstrips?

 

Vieles dürfte manchem Besucher neu sein. Wer sich zum Beispiel fragt, wieviel Preußische Reichstaler Kant wohl als Denker und Hochschulprofessor verdient haben mochte und was er sich dafür hätte kaufen können, erhält ausführliche Antworten.

  

Immanuel Kant Zeichnung von Antje Herzog 2023, Bildquelle © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2023

 

Auch Kants ambivalentes Verhalten zu Frauen wird nicht unter den Tisch gekehrt. Weibliches in gesellschaftlicher Runde am Abend? Das schätzte der Mann der Aufklärung, dessen Gedanken universellen Charakter hatten, nicht sehr. Er lud stets nur Männer ein, in der Regel unterschiedicher Profession!

     Und seine mittlerweile bekannten Verstrickungen in Fragen des Kolonialismus und Rassismus, gar einiges auch in Antisemitismus? sind kein Tabu in der Ausstellung. Alles wird mittels kritischer Interventionen hinterfragt und historisch kontextualisiert.

 

Blick in die Ausstellung, Themenbereich „Was kann ich wissen“, mit Wandzeichnungen. Foto © rheinische ART 2023

 
Kants bahnbrechende Beiträge zur Aufklärung, seine Überlegungen zur Ethik, Emanzipation, Erkenntnistheorie und zum Völkerrecht gelten als aktuelle Referenzpunkte, betont die Bundeskunsthalle.

     Des Philosophen Aufforderung, formuliert 1784, „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ wurde zum Wahlspruch der Aufklärung und hat bis heute nichts von ihrer Dringlichkeit verloren. Und so widmet sich die Bonner Schau ausgiebig den vier berühmten Fragen des Denkers: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch?

 

Immanuel Kant Critik der reinen Vernunft, Titelblatt der Erstausgabe
1781 Leihgabe Stiftung Königsberg / Ostpreußisches Landesmuseum, Lüneburg. Bildquelle © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2023

 

Sessel für Sesselreisen. Rekonstruktion von Kants geschätztem Sitzmöbel zum Studium. Foto © rheinische ART 2023

 

Da ist es dann doch erstaunlich, dass Kant nie über seine Geburtsstadt Königsberg und die Nachbarorte hinausgekommen ist. Die aufstrebende Ostsee-Metropole war quasi Standort seines Homeoffice, bestückt mit Tinte, Federkiel und Papier!

     Der Mann, der Geselligkeit und einen strengen Tagesablauf liebte, humorvoll wie geistreich Konversation betrieb, war weder jemals in Berlin noch in Paris, Prag, London oder Wien. Sein umfangreiches Wissen verschaffte er sich mit dem seinerzeit geschätzten „armchair travelling“ – mit Sesselreisen. Lokal leben und arbeiten, global denken? Vielleicht!


Die Bilderfolgen sind nicht der einzige Clou in Bonn. Alles ist garniert mit einem mutigen wie modernen immersiven Blick auf Kants Heimatstadt Königsberg! Diese multimediale Überraschung hat es in sich.

     Es ist ein auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierendes sogenanntes VR-Projekt. Eine nach dem neuesten Stand der Technologie entwickelte, ziemlich echt wirkende Virtual Reality-Rekonstruktion der barocken Residenzstadt. Sie wurde bekanntlich 1944/1945 völlig zerstört und nie, entgegen etwa Danzig oder Breslau, wieder in historischer Schönheit aufgebaut.

 

Im Zweiten Weltkrieg völlig zerstört, nun digital wieder auferstanden: Die alte Preußenresidenz Königsberg. VR-Rekonstruktion der Stadt Königsberg © men@work Media Services S.R.L. Bildquelle © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2023


Dieser digitale Teil bildet ein zentrales Element in der Bonner Präsentation und lässt Kants kreatives Milieu, in dem er sich zeitlebens bewegte, auferstehen. Die im Parcours gebotenen „Vertiefungsebenen“ und direkten Vergleiche des digital rekonstruierten Stadtbildes mit dem heutigen Kaliningrad sowie die Illustrationen der Graphic-Novel-Autorin Antje Herzog zu Kants Universum vervollständigen somit das multisensorische Erlebnis.

     Das wird in Sachen Immanuel Kant so schnell nicht noch einmal zu sehen sein! Mit Sicherheit ist dies eine großartige Ausstellung, vor der Schwellenangst nicht angebracht ist!
K2M

 

 Bild-Erläuterung zur Tischrunde: Der Philosoph schätzte abendliche Diskussionsrunden, aber ohne Frauen! Das Gemälde war eine Auftragsarbeit für den Königsberger Stadtrat Dr. W. Simon, der es der Stadt schenkte. Malerische Umsetzung der Schrift „Kant und seine Tischgenossen“ (Königsberg 1847) des Juristen Christian Friedrich Reusch. Dargestellt sind die Herren Prof. Kraus, Polizeidirektor v. Hippel, Kriegsrat Scheffner, Hamann, Borowski, die Kaufleute Jacoby und Motherby. Beim Servieren sein langjähriger Diener Martin Lampe.


Kants analytisches Denken und seine wegweisenden Maximen des moralischen Handelns sind im geistigen und gesellschaftlichen Kanon tief verankert. Seine Überlegungen, dass für alle Menschen universell die gleichen Gesetze und somit die gleichen Rechte gelten sollten, wurde, wie es in Bonn heißt, umgesetzt in der US-amerikanischen Verfassung von 1776, den Grundsätzen der Französischen Revolution und letztlich in der UN-Menschenrechts-Charta von 1948.


► Die Vortragsreihe „Kant und die Gegenwart“ in Zusammenarbeit mit dem Digitalen Kant-Zentrum NRW und der Universität Bonn bildet eine inhaltliche Brücke zu dem 14. Internationalen Kant-Kongress, der vom 8. bis zum 13. September 2024 vom Institut für Philosophie der Universität Bonn und der Kant-Gesellschaft e. V. (Deutschland) ausgerichtet wird.

 

Die Ausstellung Immanuel Kant und die offenen Fragen wird bis zum 17. März 2024 gezeigt.
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