rheinische ART
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rheinische ART 04/2023

Archiv 2023

FOTOGRAFIE
Gespenstische Visionen

 

Hätte die Künstlerin Daniela Comani ihr Fotoprojekt erst 2020 beendet statt im Jahr zuvor, hätte sie nicht so viel rechnen lassen müssen.

 

Daniela Comani Planet Earth: 21st Century, 2015–2019 Rome, Italy. Porta San Paolo / San Paolo Gate, former Porta Ostiensis (270–275 AC), Piramide Cestia / Pyramid of Cestius (18–12 BC) and Cimitero acattolico / Protestant Cemetery (1716) Postkarte: 14,8 x 10,5 cm © Daniela Comani und VG Bild-Kunst, Bonn 2023

 

Daniela Comani Planet Earth: 21st Century, 2015-2019, Cape Town, South Africa. Partial view of The Flats Postkarte: 14,8 x 10,5 cm © Daniela Comani und VG Bild-Kunst, Bonn 2023

 

Ihre im Essener Folkwang zu sehenden Bildwerke sind am Computer bearbeitet, also auch berechnet worden. Es sind Schwarz-Weiß-Fotos ohne Menschen und Fahrzeuge, kühl, sachlich, unwirklich.

     Sie sind eine Erinnerung an leere Straßen im Herbst des Jahres 1973, als es wegen der Ölkrise vier autofreie Sonntage gab. Und natürlich ungeplant wie ungewollt an die gespenstischen Zustände während der Corona-Zeiten 2020, mit den weitreichenden Kontaktverboten, in denen die Innenstädte wie ausgestorben wirkten.

 

Daniela Comanis menschenleere Fotografien widmen sich urbanen Strukturen und bedeutenden architektonischen Monumenten wie dem Arc de Triomphe, fernöstlichen Skyscraper-Siedlungen, dem Aachener Dom oder römischen Bauwerken.

     Es ist ein neu erworbener Foto-Werkkomplex des Museum Folkwang, der unter dem Titel Planet Earth: 21st Century als Buch erschienen ist und nun in der gleichnamigen Ausstellung im Dialog mit Werken aus den Beständen der Fotografischen Sammlung des Hauses präsentiert wird.

     Das Interesse der italienischen Künstlerin und Wahlberlinerin Comani (*1965, Bologna) an den gezeigten Orten sei nicht touristischer Natur, wie die Kuratoren hervorheben. Für die Fotografin ist ihre Bestandsaufnahme von Baukunst ein zeithistorisches Dokument des frühen 21. Jahrhunderts.

 

Unentwegt formt und überformt der Mensch die Erde, Städte wachsen, wuchern aus oder verfallen, Monumente werden gestürzt oder überdauern Generationen. Comanis Archiv stellt einen Moment dieser Entwicklung dar, in seinen abgebildeten Objekten sowie auch im Stand der Technik selbst.

     Die virtuellen Reisen, die Comani von 2015 bis 2019 unternahm, waren lediglich davon begrenzt, welche Orte durch die digitalen Kartendienste bereits in 3D zur Verfügung gestellt wurden.

 

Daniela Comani Planet Earth: 21st Century, 2015-2019, Tokyo, Japan. Nakagin Capsule Tower (Kisho Kurokawa, 1972) Postkarte: 14,8 x 10,5 cm © Daniela Comani und VG Bild-Kunst, Bonn 2023

 

Die Künstlerin nutzte die Kartendienste Apple Maps Flyover und Google Earth mit deren fotorealistischen 3D-Computergrafik-Prozessen (Rendering).

     Sie reproduzierte durch die Auswahl bestimmter Perspektiven und Ausschnitte die Screenshots als schwarz-weiße Postkarten für ihr Künstlerbuch.

     Das virtuelle Bild, so heißt es im Folkwang, eröffne weitere Aspekte von Comanis Arbeitsweise. Denn bei genauerer Betrachtung fallen Rechenfehler, sogenannte Glitches, in den Renderings ins Auge, in denen die markanten Architekturen ihre feste Form verlieren und sich fotografische Bildinformationen zu neuen virtuellen Realitäten verändern.

     Ganze Stadtteile verschwimmen in schemenhaften Volumen und Texturen. Auffällig ist die bewusste Abwesenheit von Menschen und Fahrzeugen, die algorithmisch aus den Stadtansichten herausgerechnet wurden.

 

Edouard Denis Baldus (1813–1889) Cathédrale Notre-Dame de Rouen, um 1858, Kathedrale Notre-Dame de Rouen, Albuminabzug Bildmaß: 33,3 x 39,9 cm. Erworben 1961 für die Studiensammlung der Folkwangschule, seit 1979 © Museum Folkwang


Flankierend
zu den menschenleeren städtischen Ansichten Comanis werden in der Ausstellung Werke anderer Künstler aus dem Bestand der eigenen Sammlung gezeigt.

     Darunter, fast versteckt und aus dem 19. Jahrhundert, Fotografien von Edouard Baldus mit verschiedenen Stadtansichten Frankreichs. Baldus, ein gebürtiger Westerwalder mit nachgewiesenen Aufenthalten in Köln, gilt als erster professioneller Architekturfotograf.

     Um 1830 war er als Bombadier in der preußischen Armee in Köln stationiert. Nach unsteten, wechselvollen und widersprüchlichen Jahren in Frankreich erhielt er 1856 den Regierungsauftrag, die großen Überschwemmungen der Rhône im Bild festzuhalten. Im Auftrag von Napoleon III. dokumentierte er ferner den Bau des neuen Louvre (1855–1858).

     In seiner Zeit zählte Baldus zu den führenden Fotografen Frankreichs (mehr). Seit Jahren stehen seine Fotografien wieder im allgemeinen Interesse, denn seine Serienfotografien gelten als Vorläufer der Fotoarbeiten von August Sander (mehr) und dessen Neuer Sachlichkeit wie auch der sogenannten Becher-Schule. 

rART/K2M


Die Ausstellung Daniela Comani Planet Earth: 21st Century ist bis zum 11. Juni 2023 geöffnet.

Museum Folkwang
Museumsplatz 1
45128 Essen
Tel. 0201 / 8845-444
Öffnungszeiten
DI, MI + SO 10 – 18 Uhr
DO + FR 10 – 20 Uhr

 

 Zeitgleich sind unter dem Titel Stopover 2023 neue Arbeiten der Masterstudierenden Photography Studies and Practice der Folkwang Universität der Künste zu sehen.

 

 

 

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