Archiv 2023
FUSSBALL
Bolzende Blagen - veritable Vereine
Die deutsche Fußballseele leidet. Derzeit gibt’s in Sachen nationalem Rasen-Ballsport - ob Nationalmannschaft, U21-Team oder Frauenfußball - nicht viel, was dem Fußballfan Freude macht.
Unhaltbarer Schuss von Hartmut Heidemann (MSV Duisburg) auf das Tor von Schalke-Torwart Josef „Jüppken“ Elting, Duisburg, 19.02.1966; © Horstmüller / Foto: Marianne Müller. Bildquelle © Fotoarchiv Ruhr Museum Essen |
Da ist ein Blick in vergangene Jahrzehnte und in die Hochburgen dieses Sports an Rhein und Ruhr wohltuend. Es ist ein nostalgischer Blick zurück!
Stars von morgen? Ruhrgebietskinder, gerne Blagen genannt, sind oft Fußballfreunde. Essen 25.01.1967. Foto Anton Tripp Bildquelle © Fotoarchiv Ruhr Museum Essen
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Das Deutsche Fußballmuseum in Dortmumd und das Ruhr Museum Essen zeigen gemeinsam die große Foto-Sonderausstellung „Mythos und Moderne. Fußball im Ruhrgebiet“ auf der 12-Meter-Ebene des Ruhr Museums. Sortiert in elf Themenblöcke sind mehr als 450 seltene oder noch nie gezeigte Fußballfotografien zu sehen. Eine herzaufgehende Freude nicht nur für Fußballfans - und damit ein Sommervergnügen für alle!
Dort begegnen dem Besucher alle jene großen Recken der älteren bis jüngeren deutschen Fußballgeschichte. Ob Helmut Rahn, Toni Tureck, Fritz Herkenrath oder Stan Libuda.
Letzterer ist auf einem Foto vor seinem kombinierten Tabak-Lotto-Kiosk, ein echtes Ruhrpott-Büdchen, in der Ausstellung zu sehen. Apropos Libuda. Der hieß ja eigentlich Reinhard mit Vornamen.
Den „Stan“ erhielt er, weil er in seiner Spieltechnik dem berühmten englischen Rechtsaußen Sir Stanley Matthews das Wasser reichen konnte. Der dribbelstarke Ruhrgebiets-Kicker wird bis heute kulthaft verehrt und unvergessen ist die Fan-Weisheit von damals: „An Gott kommt keiner vorbei – außer Libuda.“
Reinhard „Stan“ Libuda vor seinem Lotto-Toto-Geschäft mit Tabakwaren und Zeitschriften, Gelsenkirchen 1975. Foto © Klaus Sturm/Horstmüller; © Bildquelle Ruhr Museum Essen |
Ebenso legendär ist eines der berühmtesten Bonmots der deutschen Fußballgeschichte, Tatort: Herne. Der Flügelstürmer Willi „Ente“ Lippens von Rot-Weiß-Essen handelte sich 1965 nach einem Wortgeplänkel mit einem Schiedsrichter eine zweiwöchige Spielsperre ein. Der Unparteiische nach einem Foul: „Herr Lippens, ich verwarne ihnen“. Lippens Antwort: „Herr Schiedsrichter, ich danke Sie.“
Zurück zur Aktualität: Die Fußball-Europameisterschaft findet im kommenden Jahr in Deutschland statt. „Gelsenkirchen und Dortmund zählen zu den Spielorten der EM 2024, da ist es naheliegend, die Fußballkultur im Ruhrgebiet, die für die Menschen hier prägend ist, genauer zu betrachten“, so Manuel Neukirchner, Direktor des Deutschen Fußballmuseums.
Fußballspiel des TSV August-Thyssen-Hütte Hamborn vor der August-Thyssen-Hütte, Duisburg 1937/38. Foto Willy van Heekern. Bildquelle © Fotoarchiv Ruhr Museum |
Blick in die Ausstellung. Foto © Ruhr Museum, Foto Christoph Sebastian
Kopfballduell Foto © Archiv Gerd Kolbe, Foto Günter Jendrny. Bildquelle © Fotoarchiv Ruhr Museum
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Ruhr Museums-Direktor Heinrich Theodor Grütter trägt als Leiter des großen Regionalmuseums des Ruhrgebiets die Idee zu einer Fußballausstellung schon länger mit sich herum, wie das Museum erklärt. „Mitarbeitern ist aufgefallen, dass wir einen sehr großen Schatz an Fußballmotiven, insbesondere vor Industriekulisse, haben“, sagt er. „Insgesamt besitzt das Ruhr Museum bis zu 60.000 Fotos zur Fußballkultur im Ruhrgebiet in seiner Sammlung.“
Was macht den Mythos Ruhr-Fußball aus? Ein Blick zurück erklärt vieles. „Hier wird Fußball gearbeitet“, heißt es in der Ausstellung. In der Tat!
Fußball im Ruhrgebiet ist die Geschichte eines Arbeitersports. Die ursprünglich bürgerlich-elitäre Sportart wurde an der Ruhr nach dem Ersten Weltkrieg zum Massenereignis und -erlebnis. Die Kohlezechen stellten den Bergleuten auf ihren Betriebsgeländen Plätze zum Fußballspielen zur Verfügung und förderten die ansässigen Vereine. Die neu errichteten Stadien hießen nicht selten martialisch Kampfbahnen; wie die 1928 eingeweihte Vestische Kampfbahn in Gladbeck.
Der sagenhafte Aufstieg des FC Schalke 04 zu der überragenden deutschen Fußballmannschaft in den 1930er- und 1940er-Jahren löste in der Folge eine bisher nie dagewesene Fußballbegeisterung von Dortmund bis Duisburg aus.
Junger Zuschauer auf dem Platz des ESV Frillendorf 08/85 vor der Zeche Friedrich Ernestine, Essen, um 1951. Foto © Ernst Lerche. Bildquelle © Fotoarchiv Ruhr Museum
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Viele Spieler waren damals noch Bergleute. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg prägten sogenannte „Malocher-Vereine“ den Ruhrgebietsfußball. Mehr als ein Dutzend Zechen- und Arbeitervereine spielten in der höchsten Spielklasse, damals die Oberliga West.
Meisterschaften und Pokalerfolge wurden im Revier gefeiert, Rot-Weiss Essen und Borussia Dortmund, Schwarz-Weiß Essen und auch noch einmal der FC Schalke 04 verbuchten Sieg um Sieg. Mit der Bergbaukrise ab den frühen Siebzigerjahren begann der sportliche Abstieg. Selbst bei den Vorzeige-Clubs herrschte in jener Zeit Tristesse.
Dennoch hält sich der Mythos des Ruhrgebiets-Fußballs mit seinen Triumphen und Idealen bis heute. Ruhr Museum-Chef Grütter bringt es auf den Punkt: „Der Ruhrgebietsfußball ist ein wesentliches gesellschaftliches und kulturelles Element für das Verständnis der Region.“
rART/ bra
Die Ausstellung Mythos & Moderne. Fußball im Ruhrgebiet wird bis zum 4. Februar 2024 gezeigt.
Ruhr Museum in der Kohlenwäsche
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