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rheinische ART 06/2023

Archiv 2023

CRIMINAL WOMEN
Von Diebinnen und Mörderinnen


Lange orientierten sich die Vorstellungen von Kriminalität vornehmlich an Männern. Vermeintlich psychische wie physische Stärke als maskuline Attribute machten das männliche Verbrechertum einfach denkbar. Wer aber waren kriminelle Frauen? Und warum wissen wir so wenig über sie?

 

Nach Giovanni Francesco Barbieri, genannt Il Guercino, Judith mit ihrer Magd, ca. 1651, Öl auf Leinwand, 121 x 157 cm, © Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale), Foto: Punctum/Betram Kober. Bildquelle Museum LA8 Baden-Baden

 

Bekanntlich werden Frauen traditionell Eigenschaften wie Mutterschaft, Liebe und Wohlwollen zugeschrieben. Gewalt, Eigennutz, Skrupellosigkeit, angeblich dem Manne typische Qualitäten, gehören nicht dazu. Und doch sind laut der aktuellen Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes Frauen mit circa 25 Prozent an der Gesamtkriminalität beteiligt.

 

Polizeifoto der „Engelmacherin“ und Massenmörderin Elisabeth Wiese (1859–1905), die in Hamburg durch die Guillotine hingerichtet wurde. Foto © Polizeimuseum Hamburg

 

Warum polarisiert dieses Thema noch heute? Dieser Frage geht die Ausstellung Criminal Women. Eine Geschichte der weiblichen Kriminalität in Baden-Baden nach.

     Die Schau in der Bäderstadt ist im Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts LA8 zu sehen und greift einen Themenbereich auf, der im deutschen Museums- und Ausstellungskosmos bislang ohne Beispiel ist.

     Mörderinnen? Widerstandskämpferinnen? Prostituierte? Frauen die abtreiben? Criminal Women widmet sich in einem hochinteressanten Parcours diesen Fragen und verortet kriminelle Frauen zwischen Kriminalisierung und individuellem Tatmotiv ab dem 19. Jahrhundert bis in die Zeit der 1930er Jahre, wie die Kuratorinnen betonen.

     Die weibliche Kriminalität solle aus einer lange unbeachteten Nische geholt werden, so das erklärte Ziel der faktenreichen Schau. Sie „vergegenwärtigt die abwegigen Konstruktionen des ´weiblichen Kriminellen`, sensibilisiert für damalige und heute noch bestehende Diskriminierungen und führt zugleich die Taten, die Frauen* ausübten vor Augen.“ Die Schau fragt daher immer wieder aufs Neue, was weibliche Kriminalität gesellschaftlich und Jahrzehnte übergreifend und in Einzelfällen bedeutet. 

Kraniometer (Schädelmessgerät), vernickelter Stahl, 31 cm x 15 cm x 2,5 cm, spätes 19. Jh., © TECHNOSEUM, Mannheim, Foto Klaus Luginsland. Bildquelle Museum LA8 Baden-Baden

 

Alice Lex-Nerlinger Paragraph 218, Spritztechnik, Gemälde, 95 x 76,5 cm, 1931, Inv.Nr.: VII 60/876x, Stadtmuseum Berlin © s.nerlinger, Foto: Michael Setzpfandt, Berlin. Bildquelle Museum LA8 Baden-Baden

 

Eva Schulze-Knabe Kopf einer Mitgefangenen, Kohle auf Papier, 29,8 x 20,8 cm, 1933 © Sammlung Frieder Gerlach, Konstanz. Bildquelle Museum LA8 Baden-Baden.

 

Buchcover Foto © Verbrecher Verlag Berlin 2023

 

Und sie macht deutlich, dass der sogenannte Abtreibungsparagraf 218 in Deutschland erst 1991 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wurde und seither Frauen selbst entscheiden können, ob und wann sie ein Kind bekommen wollen. Gegen den Paragrafen hatten sich schon vor über 90 Jahren Frauen gestemmt, namentlich Künstlerinnen wie etwa Alice Lex-Nerlinger.


Der Besucher dieser eher ungewöhnlichen wie faszinierenden Präsentation sieht sich zahlreichen Objekten der Kriminologie, der Technik- und Medizingeschichte in Kombination mit besonderen Kunstwerken des 19. und 20. Jahrhunderts gegenüber.

     Damit werden wissenschaftliche und künstlerische Vorstellung von Weiblichkeit, die daraus resultierenden Ideen vom „Weiblichen Verbrecher“, die Metaphern um „Racheengel“ oder „von Teufel Getriebene“ thematisiert. Und die Exponate verdeutlichen, wie unterschiedlich die Frauen, die kriminell wurden, vermessen, dokumentiert und bestraft wurden.

     Es sei daran erinnert, dass der italienische Arzt, Gerichtsmediziner und Eugeniker Cesare Lombroso noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts Verbrecherinnen einen kleinen Schädelinhalt und einen asymmetrischen Körper beimaß. Und die vorwiegend männlichen Theoretiker, Juristen sowie die Polizeibehörden sahen die Ursachen für Straftaten von Frauen lange in der Menstruation. Umstände, die aus heutiger Sicht durchaus verwundern, ja sprachlos machen. 

     Doch die damaligen Fachleute erklärten, wie es in dem lesenswerten Begleitbuch zur Ausstellung (s. Literaturhinweis unten) heißt, dass die Monatsblutung zu einer nicht näher definierten „Hysterie“ oder eine „Überemotionalität“ führe und dies grundsätzlich auf ein geringeres Hirnvolumen zurückgehe. Dadurch galten straffällige Frauen als unzurechnungsfähig, intellektuell eingeschränkt und wurden daher nach Ansicht von Fachleuten milder oder gar seltener bestraft.


Die Schau Criminal Women konzentriert sich in erster Linie auf die „profane Mehrheitskriminalität“, wie es heißt. Damit gemeint sind die Prostituierten, die Diebinnen und Bettlerinnen, die politischen Häftlinge oder jene Frauen, die abtreiben. Im weiteren Sinne auch die „gefallenen Mädchen“, die in Anstalten zur Verhinderung eines Lebens in Prostitution eingeliefert wurden. Somit Frauen, „die von der Geschichtsschreibung und der öffentlichen Wahrnehmung übersehen wurden“.

     Übersehen wurden viele andere feminine Täterinnen allerdings nicht. Es gab Mörderinnen, die Geschichte schrieben. Sei es die biblische Judith, die Holofernes köpfte oder Charlotte Corday, die 1793 in Paris den französischen Revolutionär Jean-Paul Marat erstach. Die adelige Dame tat es gezielt und bewußt, zog gemäß der Überlieferung ein Küchenmesser aus dem Dekolleté und tötete den badenden Journalisten und Anti-Monarchisten, der entspannt in seiner Badewanne lag, durch Stiche in Brust und Hals.

     In Hamburg wurde 1905 die „Engelmacherin“ Elisabeth Wiese, deren Gipsmaske in der Ausstellung zu sehen ist, hingerichtet. Sie war des fünffachen Kindesmordes überführt und hatte zudem versucht, ihren Ehemann Heinrich, ein Kesselflicker, zu vergiften oder mit einer Rasierklinge im Schlaf zu töten. Beides misslang, aber die grausamen Kindstötungen und die Leichenentsorgung per Kochherd und Elbe brachten sie auf das Schafott.

 

Nina Jirsíková Dozorkyn (Aufsichtsperson), Buntstift auf Papier, 43,9 x 30, vor 1945, © Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück. Bildquelle Museum LA8 Baden-Baden

 

Im Obergeschoß des Museums zeigt die Ausstellung die bisher wenig beachtete weibliche Perspektive von Kriminalität.

     Dabei befassen sich die Kuratorinnen unter anderem mit Fragen, wie die NS-Justiz das Denken über Kriminalität veränderte und Prostitution und Abtreibung strafrechtlich verstanden wurden.

     Ein Augenmerk wird dabei unter anderem auf Künstlerinnen gelegt, die im NS-Staat kriminalisiert wurden. Zu ihnen zählen etwa die Malerin und Widerstandskämpferin Eva Schulze-Knabe (1907–1976) oder die tschechoslowakische Choreografin und Tänzerin Nina Jirsíková (1910–1978), die das KZ Ravensbrück überlebte.

 

Letztlich ist bemerkenswert, dass die Ausstellung einen hochaktuellen Bezug herstellt. Experten aus den Disziplinen Pädagogik, Psychiatrie und Justiz rätseln, warum minderjährige Gören Gleichaltrige krankenhausreif schlagen, quälen, drangsalieren oder gar, wie in Freudenberg, eine 12-Jährige ermorden. Was also, so fragt die Öffentlichkeit, macht Mädchen zu kriminellen Gewalttäterinnen? Darauf hat die Schau in Baden-Baden natürlich keine Antwort. Aber sie rückt die Thematik in den Fokus und ist einen Besuch wert, auch wenn der Weg unter Umständen weit ist.
rART/cpw

 

Die Ausstellung Criminal Women. Eine Geschichte der weiblichen Kriminalität kann bis zum 29. Februar 2024 besucht werden.
Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts LA8
Lichtentaler Allee 8
76530 Baden-Baden
Tel 07221 – 9954586
Öffnungszeiten
DI – SO 11 – 18 Uhr

 

 Begleitbuch zur Ausstellung:
Jadwiga Kamola, Sabine Becker und Ksenija Chochkova Giese (Hg.): Criminal Women. Eine Geschichte der weiblichen Kriminalität. Erste Auflage. Broschur, 160 Seiten mit 32-seitigem farbigem Bildinnenteil. Verbrecher Verlag Berlin 2023. ISBN 978-3-95732-554-9. Preis 24,00 €.

 
 

 

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