rheinische ART
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rheinische ART 10/2023

Archiv 2023

MODERNE
Genialer Außenseiter

 

Die Kunstsammlung NRW zeigt den französisch-belarussischen Maler Chaïm Soutine. International, in den USA, Frankreich und auch der Schweiz, wird er zu den bedeutendsten Künstlern der klassischen Moderne gezählt. In Deutschland hingegen ist er wenig bekannt. Warum das so ist, weiß die Kunstgeschichte. Für das Publikum jedenfalls sind Werk und Leben dieses Ausnahmekünstlers eine Entdeckung.

 

Chaïm Soutine Les Maisons - Häuser, 1920/21, Öl auf Leinwand, 58 × 92 cm Musée de l’Orangerie, Paris bpk / RMN - Grand Palais / Hervé Lewandowski, Foto © Kunstsammlung NRW

 

Ausnahmekünstler deshalb, weil er malte wie kein anderer. Seine Malerei ist wuchtig und zart zugleich, ist emotional wie atmosphärisch dicht. Die vielzitierte Intensität seiner Gemälde ist so außergewöhnlich wie sein Leben, das mit einer Durchmischung von Wahrheit und Mythos bis heute fasziniert.

     Entspricht sein dokumentierter Lebensweg doch der klischeehaften Karriere vom „Tellerwäscher bis zum Millionär“, respektive vom „armen, jüdischen, belarussischen Maler zum gesellschaftlich anerkannten und vermögenden Malerstar“ im Paris der 1920er und -30er Jahre.

 

Chaïm Soutine La Vieille Actrice - Die alte Schauspielerin, 1922, Öl auf Leinwand, 92,1 × 65,1 cm, Loaned from a Private Collection, courtesy of McClain Gallery Paul Hester; Private Collection, courtesy of McClain Gallery, Foto © Kunstsammlung NRW

 

Die Ausstellung im k20 titelt „Chaim Soutïne – Gegen den Strom“ und konzentriert sich mit 60 Gemälden, die der Künstler zwischen 1918 und 1928 malte, auf die frühen Meisterwerke. Die Schau, so ist dem Katalog zu entnehmen, brauchte fünf Jahre organisatorische Vorlaufzeit.

     Drei Museen sind involviert: Die Kunstsammlung NRW in Düsseldorf, das Louisiana Museum of Modern Art, Humlebæk und das Kunstmuseum Bern.
     Dass es nicht selbstverständlich ist, Arbeiten von Soutine in seiner eigenen Sammlung vertreten zu haben, macht die doch sehr lange Liste der Leihgeber deutlich. Nicht selten haben auch die namhaftesten Museen nur ein einzelnes Werk von ihm, wie auch die Kunstsammlung NRW (Stillleben mit Fasan, 1919).

 

Chaïm Soutine Le Groom - Page, 1925, Öl auf Leinwand, 98 × 80,5 cm Ancienne collection du baron Kojiro Matsukata affectée en 1959 au Musée national d'art moderne en application du traité de paix avec le Japon de 1952 Centre Pompidou, Paris, Musée national d'art moderne - Centre de création industrielle bpk | CNAC-MNAM | Philippe Migeat, Foto © Kunstsammlung NRW

 

Chaïm Soutine La Raie - Rochen, 1922 Öl auf Leinwand, 81 × 47,5 cm Musée Calvet, ville d’Avignon Don Émile Joseph-Rignault, à la Fondation Calvet, 1947 © Adagp, Paris 2011, Foto © Kunstsammlung NRW

 

Umso wertvoller ist die Düsseldorfer Schau. In der Zeit der klassischen Moderne in Paris, wo die Kubisten und Surrealisten ihre Arbeiten für eine neue Zeit malten, die abstrakten Künstler für ihre Richtung um Aufmerksamkeit rangen und der Realismus ein Thema war, portraitierte Soutine Pagen, Konditoren, Zimmermädchen oder Messdiener wie mit einem Zerrspiegel betrachtet, malte Landschaften, die sich gewaltig fließend umwuchten, wo sich Häuser wie Pappeln im Sturm neigen, und malte Stillleben mit Sujets, die aus dem Schlachthaus kamen: Tote Fasanen, Hasen, aber auch aufgeschlitzte und aufgehängte Rinder. Sein Malstil war expressionistisch, seine Gemälde werden beherrscht von intensivsten Farbfeuerwerken mit einem oft pastosen Auftrag der Ölfarben, der eine reliefartige Anmutung provoziert.


Und er hatte Erfolg damit. Nicht sofort, lebte er doch als junger Immigrant – er war 1913 an die Seine gezogen - an der Armutsgrenze und arbeitete in den billigsten Ateliers der Stadt, war ein Fremder, der die französische Sprache schlecht beherrschte und zudem Einzelgänger. Er schloss sich keiner Künstlervereinigung an, ging jedoch in den Louvre und studierte dort die alten und neueren Meister der Sammlung. Besonders fasziniert war er von Rembrandt van Rijn, Jean Fouquet, Camille Corot und Gustave Courbet.

 

Chaïm Soutine Fotografie, Datum unbekannt / Silbergelatineabzüge, 8,8 × 13,4 cm mahJ, don d'Ariel Fenster photo © mahJ, Foto © Kunstsammlung NRW


Zustimmung erfuhr der junge Maler, der von der Atmosphäre der Stadt Paris ganz verzaubert war, durch seine Freundschaft zu Amedeo Modigliani, der seinen Galeristen Léopold Zborowski überredete, Soutine ebenfalls zu betreuen. Das sollte sich auszahlen, denn der us-amerikanische Kunstsammler Albert C. Barnes hielt sich zu Beginn der 1920er Jahre in Paris auf. Bei seiner Suche nach jungen Talenten entdeckte er Soutine und kaufte von ihm das Bildnis eines Konditors. Und 51 weitere Arbeiten.

 

Chaïm Soutine Le Petit Pâtissier - Der kleine Konditor, 1922/23, Öl auf Leinwand 73 × 54 cm Musée de l’Orangerie, Paris bpk / RMN - Grand Palais / Thierry Le Mage, Foto © Kunstsammlung NRW 

 

Chaïm Soutine L’Idiot du village - Dorftrottel, 1920, Öl auf Leinwand, 92 × 65 cm Musée Calvet, Avignon © Adagp, Paris 2010, Foto © Kunstsammlung NRW

 

Das war eine Sensation selbst im kunstverwöhnten Paris und brachte Soutine Ruhm und Reichtum. Er, der mittellose Junge (*1893) aus Smilovitchi, einer kleinen Ortschaft nahe Minsk, wurde ein vielbeachteter Künstler, der auch international ausgestellt wurde, und lebte alsbald das Leben eines gutsituierten Mannes. 1937 lernte er Gerda Groth kennen, eine deutsch-jüdische Exilantin. 1939 bricht der Zweite Weltkrieg aus, 1940 wird Soutine in den Registern der Stadt Paris als russischer Jude eingetragen. Gerda Groth wird von der deutschen Armee in das Lager Gurs in den Pyrenäen deportiert. Nach ihrer Entlassung sieht sie Soutine nicht wieder, der später mit der Malerin und ehemaligen Lebensgefährtin von Max Ernst, Marie-Berthe Aurenche (1905-1960) liiert ist.
     Es kommt eine Zeit, in der Soutine kaum mehr malen kann. Er muß den Judenstern tragen und erhält von einem Freund gefälschte Papiere. Ein ihn Zeit seines Lebens begleitendes Magenleiden erlaubt ihm nicht, zu arbeiten. Sein Gesundheitszustand verschlechtert sich. Soutine verstirbt an einem Magengeschwür am 9. August 1943 in Paris.

 

Obwohl bereits vor 100 Jahren entstanden, scheint seine Malerei in Technik und Sujet von faszinierender Zeitlosigkeit zu sein, schreibt das ausstellende Haus. „Auch heute noch fällt Soutines Name ungewöhnlich häufig, wenn zeitgenössische Künstler*innen nach Schlüsselfiguren in ihrer Biografie befragt werden.“ Dazu gehörten Willem de Kooning, Jackson Pollock, Jean Dubuffet und Francis Bacon. Später kamen Georg Baselitz, Marlene Dumas, Anish Kapoor und andere dazu.
Irmgard Ruhs-Woitschützke

 

Die Ausstellung „Chaim Soutïne – Gegen den Strom“ ist bis zum 14.01.2024 zu sehen.
Kunstsammlung NRW
K20
Grabbeplatz 5
40213 Düsseldorf
Öffnungszeiten
DI – SO 11 – 18 Uhr

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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