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rheinische ART 05/2023

Archiv 2023
GREVEN DIGITAL
NRW-Geschichte in Bildern

 

Sie waren in den Dreißigern so was wie Superstars der kommerziellen Fotografie. 40 000 Werke von dem Frankfurter Bilderdienst Dr. Paul Wolff & Tritschler werden derzeit im Kölner Greven Archiv digitalisiert und zur Verfügung gestellt.

 

Ist es japanische Bäderkultur oder ein deutscher Firmenpool? Dr. Paul Wolff, Eröffnung des Opelbades in Wiesbaden, 1934.  Foto © Dr. Paul Wolff & Tritschler, Historisches Bildarchiv, Offenburg. Bildquelle Kehrer Verlag Heidelberg

 

Das Projekt titelt „Die Geburt von Nordrhein-Westfalen“ und umfasst ausschließlich Fotografien mit Motiven aus dem Rheinland und aus Westfalen, die bei Fotokampagnen zwischen 1928 und 1963 gefertigt wurden. Rund 40 000 Lichtbilder der Agentur wurden jetzt der Kölner Irene und Sigurd Greven Stiftung und dessen digitalem Archiv übergeben, zu sukzessiver Digitalisierung und Archivierung für das Land Nordrhein-Westfalen.

     Mit Unterstützung der NRW-Stiftung und der Stiftung Haus der Geschichte Nordrhein-Westfalen werden damit einzigartige kunst- und zeithistorische Fotobestände Westdeutschlands gesichert. 

 

Alfred Tritschler Kunsthalle Düsseldorf im April/Mai 1950 mit dem ehemaligen Land- und Amtsgericht Düsseldorf im Hintergrund. Bildquelle © www.grevenarchivdigital.de | Foto © Dr. Paul Wolff & Tritschler, Historisches Bildarchiv Offenburg

 

Alfred Tritschler Hohenzollernbrücke Köln, um 1953. Bildquelle © www. grevenarchivdigital.de | Foto © Dr. Paul Wolff & Tritschler, Historisches Bildarchiv, Offenburg

 

Wer oder was verbirgt sich hinter den, der Allgemeinheit kaum vertrauten, Namen Dr. Paul Wolff und Alfred Tritschler? Über rund dreieinhalb Jahrzehnte – zwischen 1928 und 1963 – betrieben der ehemalige elsässische Assistenzarzt Paul Wolff und der gelernte Offenburger Fotograf Alfred Tritschler eine der einflussreichsten und kommerziell erfolgreichsten Fotoagenturen Europas.

     Als sie 1928 in Frankfurt am Main ihre Agentur gründeten, die später als Dr. Paul Wolff & Tritschler oHG firmierte, gehörten sie zu den Pionieren der Fototechnik mit der seinerzeit neuen Leica-Kleinbildkamera.

     Der Geschäftszweck der Agentur war die Fertigung von Fotos für Buchillustrationen, Kataloge, Kalender, Mappen und Industriewerbung. Daraus entwickelte sich die Reportagefotografie mit teils an den dynamischen Stil von Cartier-Bresson (mehr) erinnernde Bilder.

     Die avantgardistischen Bildkompositionen der beiden Fotografen von Stillleben oder Pflanzenstudien erinnern ferner an Albert Renger-Patzsch (mehr). Dessen Arbeiten im Stile der Neuen Sachlichkeit stammen aus denselben Jahrzehnten.

 

Es dürfte damals wohl kaum eine Illustrierte oder eine Tageszeitung in Deutschland gegeben haben, die nicht auf Fotos von Wolff-Tritschler zurückgriffen. Auch New Yorker Medien scheuten sich nicht, die Bildwerke nachzufragen.

     Die Fotopioniere perfektionierten die Arbeit und machten technisch und ästhetisch höchstklassige Aufnahmen. Bis heute befinden sich noch rund 500.000 Originalnegative der Agentur in Privatbesitz, wie die Greven-Stiftung erklärte.

 

Das geschäftstüchtige Duo arbeitete im Auftrag von Wirtschafts- und Industrieunternehmen, für Kommunen, Kirchen und Kulturinstitutionen, schufen aber auch freie Arbeiten. So gut wie alle Fotografien wurden mit der handlichen Kleinbildkamera von Leica gemacht, deren Vorzüge Wolff 1934 in dem Fachbuch „Meine Erfahrungen mit der Leica“ werbewirksam und verkaufsfördernd beschrieb. Die Publikation wurde in mehrere Sprache übersetzt, unter anderem 1942 in das Japanische.

 

Alfred Tritschler Busbahnhof neben der Hohenzollernbrücke unterhalb des Doms, Köln 1953. Bildquelle © www.grevenarchivdigital.de | Foto © Dr. Paul Wolff & Tritschler, Historisches Bildarchiv, Offenburg

 

Die nun in Köln digitalisierten Fotografien zeigen quasi die Geburt des „industriellen Kernlands“ des heutigen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, also den Rhein-Ruhr-Raum, aus faszinierender Nähe. Sie spiegeln die industrielle Situation in den Jahren der Weimarer Republik ebenso wie die Phasen des Wiederaufbaus und des Wirtschaftswunders.

     Gleichzeitig wird der Wandel von Fotoästhetik und Bildsprache von den späten 1920er-Jahren über die NS-Zeit bis in die frühe Bundesrepublik Deutschland sichtbar. In allen genannten Zeiträumen war die Fotografie ein beliebtes, modernes und leistungsstarkes Medium, das für politische, wirtschaftliche und kulturelle Belange eingesetzt wurde.

 

Cover zur Publikation I. Metje: Alfred Tritschler - Mittelalter - Fotografien. Foto © Greven Verlag Köln

Die Bildagentur erhielt nach Kriegsende auch im Rheinland erste Aufträge, die von Alfred Tritschler, der als erfahrener Industrie- und Werbefotograf galt, ausgeführt wurden. 1949 fotografierte Tritschler das zerstörte Aachen und den Dom. Diese umfangreiche Foto-Dokumentation galt schon damals als meisterhaft. Der Düsseldorfer Verlag L. Schwann brachte die Fotoarbeiten in dem Bildband „Der Dom zu Aachen“ auf den Markt.

     Zwei Jahre später erschien in demselben Verlag der bemerkenswerte Fotoband „Tochter Europas - Düsseldorf“. Er zeigt urbane Szenen in der neuen Landeshauptstadt, darunter Kö-Impressionen, Altstadt-Idyllen und Alltagsvorgänge in den teils noch zerstörten Straßen und Häuserzeilen sowie Industriemotive aus dem städtischen Umland von Düsseldorf.

     Alfred Tritschler war es auch, der 1948 im Kölner Museum Schnütgen ausgewählte Kunstwerke des Museums dokumentierte. Lange unbeachtet blieben die Fotografien im Museumsarchiv deponiert, bis man sie als überraschenden Fund ans Tagelicht beförderte und in der ersten Fotoausstellung des Hauses im Winter 2019/2020 öffentlich präsentierte.

 

Buchcover  „Licht und Schatten“. Fotografie Alfred Tritschler (?), aus der Serie: Es ist etwas passiert, 1928 | Mit Dr. Paul Wolff unten links im Bild Foto © Dr. Paul Wolff & Tritschler, Historisches Bildarchiv, Offenburg. Bildquelle Kehrer Verlag Heidelberg.

 

Der Zufallsfund in Köln entspricht dem Schicksal, das die Frankfurter Bildagentur ereilte. Sie geriet in Vergessenheit. Als die Firma Leica im Jahr 2001 in New York anlässlich des 50. Todestags von Paul Wolff eine Ausstellung organisierte, wurde das Werk der Bildagentur Dr. Paul Wolff & Tritschler oHG wiederentdeckt.

     In Deutschland war die Schau im neuen Ernst Leitz Museum für Fotografie und Fototechnik in Wetzlar 2019 zu sehen. Kuratiert und begleitet mit dem umfangreichen Sachbuch "Licht und Schatten" vom Wolff-Experten Hans-Michael Koetzle (s. Literaturhinweis unten).

 

Die Rollen der beiden Kleinbild-Pioniere sind bis heute schwer einzuschätzen, denn sie hinterließen ein heterogenes Gesamtwerk.

     So gelten sie abwechselnd als Lichtbildner, Künstler, Bildreporter, Dokumentaristen, Propagandafotografen, Werbe- und Reisefotografen. Wolff und sein Kompagnon Tritschler waren, wie es Koetzle einmal betonte, eben von all dem etwas.

    Vor allem aber seien sie auch gutgelaunte, den Luxus liebende Geschäftsmänner gewesen, die das schöne Leben schätzten, das Abenteuer, die Reisen mit dem Auto, Schiff und Zeppelin und die großen Veranstaltungen ihrer Zeit. Dazu gehörten die Olympischen Spiele 1936 in Berlin. Im Gegensatz zu anderen Fotografen, die künstlerische Perspektiven verfolgten, kam es den Frankfurter Bildschöpfern – die sich eher der Bildjournalistik verpflichtet fühlten – mehr auf das Emotionale an, auf Gefühlsausdruck, sowie auf die Wünsche der Leser nach Exotik und Eleganz, Abenteuer, Sport und Natur.
 

Dr. Paul Wolff Pionier der Kleinbildfotografie. Bildquelle Wikipedia, gemeinfrei. Foto © Dr. Paul Wolff & Tritschler, Historisches Bildarchiv, Offenburg.

 

Alfred Tritschler mit Leica, 1938. Foto © Dr. Paul Wolff & Tritschler, Historisches Bildarchiv, Offenburg. Bildquelle Kehrer Verlag Heidelberg

 

Der Mediziner Paul Wolff (1887–1951) war Foto-Autodidakt. Er galt als der geselligere und der Fröhlichkeit zuneigende Geschäftspartner. Stets tadellos gekleidet, meist mit Fliege, gern mit langer Zigarettenspitze, gab er den selbstbewussten Charmeur, der potenzielle Auftraggeber mit seinem Mercedes-Cabrio zu beeindrucken suchte. Stilistisch war er auf der Höhe der Zeit oder ihr sogar voraus.  

 

Der Berufsfotograf Alfred Tritschler (1905–1970) war unter anderem Spezialist für Industriefotografie. Er arbeitete für die Opel AG sowie die Frankfurter Fahrzeugfabriken Adlerwerke und Wanderer-Werke AG. Tritschler veröffentliche den Bildband „Was ich bei den Olympischen Spielen 1936 sah“, der in vier Sprachen übersetzt wurde.

     Seine typische fotografische Handschrift findet sich ferner in dem ersten farbigen Industriebildband mit dem Titel „Im Kraftfeld von Rüsselsheim“. 1936 nahm er an einer Luftschiffreise nach Südamerika teil, bei der er seinerzeit als sensationell bewertete Fotos aus kühnen Perspektiven fertigte. 1949 war er Mitherausgeber von „Kleiner Wagen in großer Fahrt“; eine Hommage an den „Brezelkäfer“ von Volkwagen, der zum Synonym für das deutsche Wirtschaftswunder avancierte.

rART/cpw


Die Digitaisierung der Foto-Sammlung erfolgt sukzessive und  kann online eingesehen werden. hier

 

 

Literaturhinweise:


Dr. Paul Wolff & Tritschler: Licht und Schatten – Fotografien 1920 bis 1950. Herausgegeben von Hans Michael Koetzle, Halbleineneinband, 24 x 29 cm, 464 Seiten, 967 Farbabbildungen. Deutsche Ausgabe ISBN 978-3-86828-880-3. Kehrer Verlag Heidelberg; Preis 78,00 Euro


► Iris Metje: Alfred Tritschler - Mittelalter - Fotografie, 136 Seiten mit 102 Fotografien, 24 × 29 cm, Leinen mit Schutzumschlag, ISBN 978-3-7743-0925-8. Greven Verlag Köln; Preis 25,00 Euro

 

 

 

 

 

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