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rheinische ART 09/2016

Archiv 2016

GELESEN

PLÄTZE IN DEUTSCHLAND


Es ist eine traurige, aber nicht wegzudiskutierende Wahrheit: Zahlreiche innerstädtische Plätze sind in Deutschland nach Ende des Zweiten Weltkriegs in rein funktionale und »autogerechte« Flächen umgestaltet worden. Ihrer Seele beraubt sind diese Räume, einst Kristallisationspunkte gesellschaftlichen Lebens, heute verödet.

 

Cover der Publikation: C. Mäckler/ B. Roth (Hg.) Plätze in Deutschland 1950 und heute, Verlag DOM publishers, Berlin 2016

 

Ein jüngst erschienener Bildband zeigt eindrucksvoll die Fehlplanungen bei der Gestaltung von urbanen Plätzen.
      Ursprung dieses Buches ist die gleichnamige, seit 2013 in einer kleinen, aber bemerkenswerten Wanderausstellung „Plätze in Deutschland. 1950 bis heute“ bundesweit gezeigte Schau. 

     Das Buch ist eine nüchterne und darum eindringliche Dokumentation über deutsche Stadtbaukunst - oder was Verantwortliche aus Baumeisterkreisen, Politik und Verwaltung einst dafür hielten.

 

Köln, Trankgasse (am Dom) um 1905.  © Deutsches Institut für Stadtbaukunst

(TU Dortmund), C.Mäckler/B. Roth a.a.O. S. 88

 

Köln, Trankgasse (am Dom ) 2011.  © Deutsches Institut für Stadtbaukunst

(TU Dortmund), C.Mäckler/B. Roth a.a.O. S. 89

 

Denn wer bislang glaubte, dass die zuweilen architektonischen Grausamkeiten in deutschen Innenstädten allein den Zerstörungen durch den Bombenkrieg oder doch wenigstens dem Zwang des schnellen Wiederaufbaus geschuldet seien, wird mit dem Bildband eines Besseren belehrt. Tatsächlich waren viel innerstädtische Plätze bis in die Sechzigerjahre häufig noch als geschlossene und intakte Raumeinheiten existent. Wohlproportioniert, oft von Bäumen gesäumt und eingerahmt von prächtigen Gründerzeitfassaden waren sie ästhetisch attraktive Standorte, oft mit öffentlichen Einrichtungen wie Rathaus oder Museum versehen, die von den Bürgern gerne als kommunikativer Treffpunkt genutzt wurden. Sie waren einladend, gesellig und - schön.
 

Das betonierte Grauen begann in den Fünfzigern, mit mehrspurigen kreuzungsfreien Hochstraßen, brachialen Verkehrsschneisen, komplexen Tunnel- und Rampensystemen, dem Abbruch identitätsstiftender Gebäude, standardisierten Waschbetonfassaden auf kühlen und graufarbenen Pilotis. Zweckfunktionale Bedarfserfüllung stand im Vordergrund, die ästhetische Wirkung und die hohe kulturelle Relevanz eines Platzes für die Gesellschaft spielten eine untergeordnete, wenn überhaupt eine, Rolle.

     Aus heutiger Sicht ist ein städtebaulicher Albtraum geblieben. Schon 1975 wies der damalige Bundespräsident Walter Scheel im Rahmen des Denkmalschutzjahres darauf hin, dass nach 1945 mehr historische Bausubstanz in Deutschland zerstört wurde als im Zweiten Weltkrieg - und damit auch soziale Strukturen, die sich über Jahrhunderte bewährt hätten.

     Schließlich gingen die »modernen Lösungen« jener Jahre etwas verniedlicht als »Bausünden« in den Sprachschatz ein. Bausünde ist ein eher harmloser und dehnbarer Begriff. So gut wie jeder Stadtmensch kennt eine, kann sie benennen und beschreiben.

 

Bonn, Bahnhofsplatz 1955 © Stadtarchiv Bonn, Photo Bernd Virnich Bonn. © Deutsches Institut für Stadtbaukunst (TU Dortmund), C.Mäckler/B. Roth a.a.O. S. 60

 

Welche dieser »Bausünden« deutsche Städte bis heute quälen, verdeutlichen die Autoren Christoph Mäckler und Birgit Roth an über zwei Dutzend Fallbeispielen von Stadtplätzen. Sie tun dies mit der einfachen optischen Methode des Bildvergleichs von „Einst und Jetzt“, die in der Wirkung allerdings durchschlagend und nachhaltig ist. Geschaffen haben sie damit eine schauens- und lesenswerte Dokumentation über das architektonische Versagen im Nachkriegsdeutschland.

 

Bonn, Bahnhofsplatz 2011 © Deutsches Institut für Stadtbaukunst (TU Dortmund) Detlef Podehl,  C.Mäckler/B. Roth a.a.O. S. 61

 

Beispiel Bonn Der Bahnhofsplatz der langjährigen Bundeshauptstadt, der 1955 noch von Gründerzeithäusern flankiert wurde und im Zuge einer „Modernisierung“ - nicht etwa wegen der oft zitierten Bombenschäden - zu einer fast surrealen Betonödnis umgestaltet wurde, zählt zu den Negativbeispielen.

     Sicher, alles muß in seiner Zeit betrachtet werden, aber dass die gebaute Unattraktivität in einer rheinischen Stadt nicht allein Nachahmungen fand sondern tatsächlich noch überboten werden konnte, visualisieren die Autoren auf eindrucksvolle wie auch bestürzende Weise. Kurz: Es geht irgendwie immer noch schlimmer. Etwa am Franckeplatz in Halle an der Saale, am Charlottenplatz in Stuttgart, wie auch in Nürnberg (Königsstraße), Osnabrück (Stau) oder Frankfurt am Main (Bahnhofsplatz).

 

Hamburg, Esplanade 1957 © Deutsches Institut für Stadtbaukunst (TU Dortmund) C.Mäckler/B. Roth a.a.O. S. 80


Hamburg, Esplanade 2015. © Deutsches Institut für Stadtbaukunst (TU Dortmund)  C.Mäckler/B. Roth a.a.O. S. 81

 

Der 184 Seiten starke Fotoband ist eine Besonderheit im Genre der gerade boomenden Baumeisterliteratur. Auf jeweils einer Doppelseite werden siebenundzwanzig schwarz-weiße Bildpaare mit deutschen Stadtplätzen gezeigt. Links jeweils der frühere Zustand - in der Regel aus den Fünfzigern oder Sechzigern - rechts die aktuelle Sicht.

     Die urbanen Vergleiche, ohne Erläuterungen und lediglich mit Stadtname, Platz, Straße und Jahreszahl ausgestattet, sprechen eine deutliche Sprache und machen den Betrachter seinerseits sprach- und ratlos. Sprachlos, weil deutlich wird, wieviel unbeschädigte und erhaltenswürdige historische Bausubstanz nach dem Krieg noch bestand, ratlos bei der Frage, wieso dies alles so kommen musste.


Die Fotografien hätten, so die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, eine klare Botschaft: „Sie wollen ein Bewußtsein schaffen für das, was angerichtet wurde - und zwar nicht durch Bombenschäden des Krieges, sondern durch die Stadtplanung der Nachkriegszeit.“

     Erneuerungswut, Hybris von Stadtplanern, Architekten-Cliquen, Stadtoberen oder Bauherren, mangelndes Traditionsbewußtsein oder Klüngel- und Vetternwirtschaft, geändertes Mobilitätsverhalten, auch so etwas wie Zeitgeist: dieses Gemisch war der Nährboden für eine Entwicklung, die zu den heute trostlosen Zuständen vieler Innenstädte oder Stadtquartiere beigetragen hat, in Einzelfällen sie sogar ausgelöst haben mag.


Die Publikation kann man als einen Mahnruf, als einen Appell zu einem bewußteren, besseren und auf historischen Kenntissen fussenden Städtebau und eine qualitativ bessere Stadtarchitektur verstehen. Oder auch als einen Ansporn für die Bürger, sich den „Platz“ als herausragenden öffentlichen Raum für das gesellschaftliche Leben einer Stadt zurückzuerobern.
rART/cpw


► Die Ausstellungen organisierte das „Deutsche Institut für Stadtbaukunst“ in Dortmund. Es gehört zur Fakultät Architektur und Bauingenieurwesen der TU Dortmund und widmet sich der Erforschung und Lehre der Stadtbaukunst.


Christoph Mäckler ⁄ Birgit Roth (Hrsg.)
Plätze in Deutschland. 1950 und heute
Band 6 der Reihe Bücher zur Stadtbaukunst,
Deutsches Institut für Stadtbaukunst
Hardcover , 210 × 250 mm, 184 Seiten, 60 Abb.,
DOM Publishers, Berlin 2016
ISBN 978-3-86922-479-4
38,00 Euro

 

 

 

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