rheinische ART
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rheinische ART 03/2016

Archiv 2016

SEHNSUCHTSORT PALMYRA
Für immer verloren?


Die einst multikulturelle Handelsstadt Palmyra im heutigen Syrien war schon vor Jahrhunderten ein Faszinosum. Zum Entsetzen der internationalen Öffentlichkeit zerstörte 2015 die Terrormiliz des sogenannten Islamischen Staates (IS) die wichtigsten Bauwerke des Weltkulturerbes.

 

Louis-François Cassas Bēltempel (Sonnentempel), auch bekannt als Baaltempel. Fassadenaufriss von Norden, 1785, Feder in Schwarz, laviert, Wallraf-Richartz- Museum & Fondation Corboud, Köln 2016

 

Nach dem Schock, den Bilder von Tausenden von Toten und gigantische Flüchtlingsströme aus dem vom Bürgerkrieg geschüttelten Syrien weltweit auslösten, war die sukzessive Auslöschung des Menschheitserbes Palmyra der zweite Schlag. Eine Ausstellung in Köln macht derzeit schmerzhaft deutlich, was der Welt durch diese Kultur-Barbarei genommen wurde.

 

Louis-François Cassas Turmgrab des Iamblik, Feder in Schwarz, laviert, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Köln 2016

 

Exposition  Es ist eine kleine Kabinettausstellung, aber dennoch ein großer Wurf. Selten genug haben historische Ansichten von Monumenten so aktuellen Bezug, zeigen vergleichsweise wenige Zeichnungen und neue Satellitenbilder eindringlich das Einst und Jetzt. „Palmyra - Was bleibt?“ lautet das Thema der Ausstellung.

     Das Wallraf präsentiert über 30 Zeichnungen mit Palmyra-Motiven des französischen Zeichners, Archäologen und Architekten Louis-François Cassas (1756-1827). In nur zwei Monaten war es ihm 1785 gelungen, fast alle palmyrischen Monumente direkt vor Ort in detailreichen Zeichnungen festzuhalten - vom Portal bis zum Palmenornament. Seine Arbeiten spiegeln noch heute auf atemraubende Weise die einstige Schönheit und Faszination der antiken Stätte wider.

 

Louis-François Cassas Turmgrab des Iamblik, Ansichten und Schnitte der Fassadennische, Feder in Schwarz, laviert und aquarelliert, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Köln 2016

 

Dichter, Gelehrte und Orient-Romantiker ließen sich schon Ende des 18. Jahrhundert fast enthusiastisch über die antiken Ruinen der Oasenstadt in der syrischen Wüste aus.

     Goethe, der nie persönlich das Terrain betreten hatte, urteilte nach Ansicht der Zeichnungen, die er während seiner Italien-Reise gesehen hatte, die „Sachen des Cassas“ seien „außerordentlich schön“ und Friedrich Hölderlin pries verzückt die Gassen von Palmyra und ihre „Säulenwälder“.

     In jüngerer Zeit waren es die Experten der Vereinten Nationen und deren Kulturabteilung UNESCO, die 1980 dem mythenhaften Trümmerfeld den Status eines Weltkulturerbes verliehen.


Ein Ende des kulturellen Raubbaus an diesen einzigartigen Relikten ist derzeit nicht in Sicht, betont das Museum. Dem IS-Terror fielen unter anderem der Bēl-Tempel zum Opfer, das wohl bedeutendste religiöse Bauwerk im Nahen Osten aus dem ersten Jahrhundert nach Christus. Ferner auch der Tempel des Baalschamin, der einer phönizischen Gottheit geweiht war und die berühmte Löwenskulptur aus dem Tempel der Allat, einer vorislamischen Göttin der Araber.

     Im Oktober schließlich sprengten die Dschihadisten den einzigartigen Triumphbogen - eine Ikone der Ruinenstadt - in die Luft. Ein filigranes Bauwerk römischer Architekturkunst, das bis dato 2000 Jahre überdauert hatte. Der IS sieht die antiken Tempel und die anderen Kulturgüter in Palmyra als Gegenstände einer Götzenanbetung. Vor dem Hintergrund dieser anhaltend katastrophalen Situation stellt das Wallraf-Richartz Museum zurecht die titelgebende Frage “Palmyra – Was bleibt?”.

 

Bogentor (Triumpfbogen) in Palmyra, es steht am Beginn der berühmten Säulenallee und wurde 2015 zerstört. Foto: Daniel Lohmann © Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Köln 2016

 

Archäologische Bauaufnahme Die Ausstellung ist aber auch ein Blick in jene Zeitspanne, in der europäische Gelehrte und Künstler abgelegene Kulturorte suchten und gezielt wissenschaftlich erfassten (mehr). Und die Cassas-Zeichnungen von den Ruinen der „Palmenstadt“ sind ein Paradebeispiel dafür, mit welchem Wissensdurst, welcher Akribie, Akkuratesse, Exaktheit und Brillanz seinerzeit gearbeitet werden konnte. Im Falle des Zeichners Louis-François Cassas kommt hinzu, dass der Meister sich die Freiheit nahm, seinen dokumentarisch-künstlerischen Abbildungen die eine oder andere zeichnerisch-fantasievolle Ergänzung einzufügen; ästhetisierende Wolken oder Landstriche etwa. Da war er eben mehr Künstler als wissenschaftlicher Sachwalter! Die vor Ort entstandenen Bauaufnahmen und rekonstruierenden Perspektivzeichnungen sind heute auf jeden Fall wichtige Originalquellen, die von der Schönheit und architektonischen Faszination der antiken Stadt- und Tempelanlage berichten.


Louis-François Cassas, von Hause aus ein neoklassischer Landschaftsmaler, hatte sich 1784 für drei Jahre auf eine Orientreise begeben. Er war einer der ersten - in Baukunst und Altertumsforschung gleichermaßen geschulten - Fachleute, die nach Palmyra kamen. Dort suchte er Antworten auf zahlreiche Fragen der Architekturgeschichte. Vor allem ging es um Materialästhetik, Bautechnik und die historische Herleitung einzelner Formen und unterschiedlicher Baustile – Fragen, die, wie das Museum betont, die Fachwelt noch bis heute beschäftigen.

     Neben ihrem dokumentarischen Wert besitzen die präzise ausgeführten und mitunter farbig lavierten Zeichnungen von Cassas einen hohen ästhetischen Wert. Die wechselvolle, von Raub, Zerfall und Zerstörung geprägte tausendjährige Geschichte der Baudenkmäler Palmyras, insbesondere aber die aktuelle Zerstörung der verbliebenen Tempelruinen durch die IS-Truppen, machen die Cassas-Zeichnungen zu einmaligen Zeugnissen einer unwiderruflich für die Menschheit verlorengegangenen Kunst- und Kulturepoche. Die Ausstellung ist in enger Zusammenarbeit mit der RWTH Aachen organisiert worden.

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 Die in dokumentarisch-künstlerischer Weise geschaffenen Zeichnungen von Louis-François Cassas wurden 1878 versteigert. Teile davon erwarb der gebürtige Kölner Architekt Jakob Ignaz Hittdorf (1792-1867). Die Kollektion ging später an die Graphische Sammlung des Wallraf-Richartz-Museums, das heute 260 Blätter von Cassas in seinem Bestand hat.


► Die Zerstörung Palmyras hat viele Reaktionen in der Kulturszene hervorgerufen. Der Prähistoriker Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, forderte den Wiederaufbau von Palmyra nach Beendigung des Krieges. Es müsse ein „sichtbares Zeichen gegen die Barbarei“ gesetzt werden, so Parzinger gegenüber dem „Kölner Stadtanzeiger“. Denn der „perfide Terror“ des IS dürfe nicht das letzte Wort haben. Parzinger sprach sich für die Einrichtung einer Art „Kultur-Eingreiftruppe“ bei den UNESCO-Blauhelmen aus. Die Idee hat historische Vorbilder. Im Zweiten Weltkrieg war es in Europa sowohl bei den Alliierten als auch bei den Achsenmächte geübte Praxis, sogenannte Kulturgüterschutz-Einheiten einzusetzen (mehr).


Die Ausstellung „Palmyra – Was bleibt? Louis-Francois Cassas und seine Reise in den Orient“ wird bis zum 8. Mai 2016 gezeigt.
Wallraf-Richartz-Museum
& Fondation Corboud

Obenmarspforten 40
(Am Kölner Rathaus)
50667 Köln
Tel 0221 / 221 211 19
Öffnungszeiten
DI - SO 10-18 Uhr
DO 10-21 Uhr


 

 

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